Die Prinzenrolle: Lokalaugenschein bei den Proben zu Hamlet in Wien
Vor gut 400 Jahren schrieb Shakespeare die wohl bekannteste Theaterrolle der Welt: „Hamlet“. Nach Klaus Kinski, Laurence Olivier und Klaus Maria Brandauer wagt sich nun auch Stefano Bernardin an den Stoff, der Geschichte schrieb.
Schauplatz Theater Akzent in der Argentinierstraße im vierten Wiener Gemeindebezirk. Im Studio im Dachgeschoß wird auf einer gut 25 Quadratmeter kleinen Bühne eine Großtat geprobt: „Hamlet“, die Tragödie um den dänischen Prinzen, der in einen Strudel aus Gewalt gerät, obwohl er nur die Liebe sucht. William Shakespeare hat den Stoff um Brudermord, Inzest, gespielten Wahn und gefühlte Melancholie vor mehr als 400 Jahren verfasst. Ein Stoff, der alles andere als angestaubt wirkt, besonders, wenn man auf diese Bühne blickt.
Neben dem Thron lehnt eine E-Gitarre, links steht ein Schlagzeug, und der Dänenprinz wirkt eher angriffslustig statt apathisch. Kein Wunder, bei dem Verständnis, das Regisseur Hubsi Kramar von der Figur hat: „Hamlets Vater wird ermordet, seine Mutter ist im Bett mit dem Mörder. Sein wichtigstes Merkmal ist daher der Zorn. Unser Hamlet ist ein Mensch, der in korrupten Verhältnissen einen Zorn hat.“
Schauspieler Stefano Bernardin greift das Stichwort auf und platziert sich ganz in Schwarz auf dem bordeauxroten Thron. Seine Miene wirkt freundlich, fast zu freundlich. Er deklamiert: „Wie wohl das Andenken an den Tod meines teuren Bruders, des ehemaligen Königs, noch grün ist, und unser ganzes Königreich zu einer einzigen Stirn des Kummers sich zusammenziehen sollte ...“ Aha, es spricht nicht Hamlet aus ihm, sondern Claudius, der Killer. Und gleich mischt sich – „Huhuhuu!“, Bernardins Stimme geht um eine Oktave hinauf, – die Herrscherwitwe ein. Ja, zwischendurch ist durchaus auch Komödie, Satire angesagt. Auftritt Duo Güldenstern und Rosenkranz, besser gesagt: Stefano Bernardin als Güldenstern UND als Rosenkranz. Dialoge der Sonderklasse sozusagen. Warum tut er sich das an, warum spielt er gleich alle Rollen selbst?
Hamlet als One-Man-Show
„Ich habe ,Hamlet’ zum ersten Mal bei den Wiener Festwochen gesehen“, sagt der Schauspieler nach der Probe. „In einer fantastischen, fulminanten Inszenierung von Peter Brook.“ Zwanzig Jahre sei das schon her, aber dieses Ereignis hallt offenbar noch nach. „Ich war hin und weg vonder schauspielerischen Leistung aller Darsteller“, erinnert sich Bernardin: „‚So und nur so soll Theater sein!’ dachte ich mir damals.“ Die Dialoge mehr noch als die klassischen Monologe ließen ihm keine Ruhe. „Ich fand alles so spannend und auch so nachvollziehbar, dass Hamlet seinen tiefen Schmerz und die Ungerechtigkeit dieser Welt in einen Zynismus verwandelt. Sich unter der Maske des Wahnsinns zu verstecken, weil man sonst auf der Stelle sterben müsste vor Zorn. Das ist ein Zugang, den ich gut verstehe. Das will ich spielen.“
Aber warum nahm er sich vor, gleich alle Rollen zu übernehmen, vom hinterlistigen Onkel Claudius bis zur aufrichtigen Ophelia? Warum „Hamlet“ als One-Man-Show?
Regie-Partner Hubsi Kramar meldet sich zu Wort: „Stefano wollte zu Recht, weil er ja weiß, was alles in dieser Figur steckt, den ,Hamlet’ spielen. Ich aber meinte: ,Bist du verrückt, zwanzig Leute, weißt du, was das kostet, wer zahlt denn das?’“
Ein Kniff wie ein Riff
Vor drei Jahren war das. Auch am Theater eine lange Zeit. Was seither geschah? Der Schauspieler hat genervt und genervt, er wollte das durchziehen, koste es, was es wolle. Der Regisseur winkte ab, erinnerte immer wieder an den immensen Aufwand, dann kam ihm der rettende Gedanke. „Wenn ein Mensch stirbt, heißt es, zieht sein ganzes Leben an ihm vorüber“, so Kramar. „Also gehen wir von der Situation aus, in der Hamlet ermordet wird und sein Leben noch einmal Revue passieren lässt.
Mit diesem dramaturgischen Kniff musste sich der Schauspieler erst anfreunden: „Natürlich ist es anstrengend, alles zu spielen. Am Anfang ist es ein ,Kopfgulasch’, man denkt sich, um Gottes Willen!“ Aber was wäre die Alternative? Gerade „Hamlet“ sei ein Stück, wo jeder „seinen Senf dazugibt“, so Bernardin. Wie muss man ihn nun spielen? Ist er in Trauer oder doch nicht? In einem Ensemble hätte jeder Einzelne eine Meinung dazu. Und eben diese Meinung – man sieht es der Miene des Schauspielers an – könne einen mitunter von hinten wie ein Dolchstoß treffen.
„Einer meint, so spielt man den nicht“, äfft Bernardin mit weitausholender Geste nach. Um mit Pathos sich selbst zu kontern: „Aber sooo spielt man den Hamlet ganz sicher nicht.“
„Unsere Aufgabe ist es nicht“, attestiert Regisseur Kramar, „die Figur Hamlet zu spielen, sondern eine Geschichte zu erzählen.“ Dass sich auch junge Leute von dem alten Stoff angesprochen fühlen, machte Ethan Hawke klar, als er vor 20 Jahren im Kino einen zeitgemäßen Hamlet verkörperte. „Er hat Probleme mit seinen Eltern, eine Identitätskrise und eine schwierige Freundin. So geht es doch allen Jungs, oder?“, erklärte der Hollywoodstar damals seine Sicht von diesem Klassiker der Theatergeschichte.
Im Wiener Theater Akzent wird der Star dann und wann zur E-Gitarre greifen und mit ein paar rockigen Riffs die Aktualität mancher legendärer Sätze einfordern. Textlich muss da nichts dazu erfunden, eher etwas gestrichen werden. „Der bekannte Spruch ,Etwas ist faul im Staate Dänemark’ klingt halt ganz zeitgemäß, wenn ,Dänemark’ nicht ausgesprochen wird“, erklärt der Regisseur mit Augenzwinkern.
Die von vielen Inszenierungen und Verfilmungen bekannte Szene des Prinzen mit dem Totenkopf in der Hand wird es vermutlich ebenso nicht geben. Bei den Proben lag er zumindest unbenutzt am Boden.
Oberste Liga
Und geprobt wird bis zuletzt. Kommenden Dienstag ist Premiere, „im großen Saal“, wie beide unisono erfreut ausrufen. Der Tontechniker lässt sich noch etwas einfallen, damit die E-Gitarre richtig laut kracht. Der Lichttechniker feilt schon an diversen sinistren Stimmungen. Im Vergleich dazu kann sich Stefano Bernardin beinahe ausruhen und zurücklehnen – zumindest wenn es um das Einstudieren des Textes geht. Denn seine Vorlage hat sich seit Jahrhunderten bewährt.
„Die Figuren Shakespeares sind alle aus der obersten Liga“, meint der Schauspieler. „Sie sind einfach alle perfekt gezeichnet. Und ihre Denkmuster sind wunderbar in Bilder umgesetzt. Sei es Romeo oder Richard, Shylock oder King Lear, Falstaff, Puck oder Malvolio, sie sind alle kostbar. Und Hamlet ist mir besonders wertvoll, weil er nicht weiß, wo er dazugehört. Ist er ein Held? Ist er ein Narr? Ist er ein Enfant terrible? Was ist er denn? Ein Mensch, der versucht, den richtigen Weg zu gehen, sich hinterfragt und die anderen entpuppt. Er macht Fehler. Doch er denkt, reflektiert und sucht, und will zur Wahrheit gelangen. Er ist so zeitlos und aktuell in seinen Gedanken. Ich liebe ihn. Ich verstehe ihn gut.“
Premiere: 16.11; weitere Aufführungen: 26.11., 16.12., 12. & 28.1.2022.
Hamlet: Eine Lebensrolle
Ein Stück, viele Stars – von Sarah Bernhardt bis Klaus M. Brandauer
Das Zwiegespräch mit dem Totenkopf des Hofnarren Yorick, die berühmte Frage „Sein oder Nichtsein?“ oder die ernüchternde Erkenntnis „Etwas ist faul im Staate Dänemark“: Kaum hatte Shakespeares Stück über die inneren Konflikte eines nordischen Edelmannes Premiere, rissen sich Schauspieler um diese Prinzenrolle – selbst weibliche.
Die Französin Sarah Bernhardt erregte 1899 Aufsehen als erster weiblicher Hamlet. Vor 100 Jahren übernahm der dänische Stummfilmstar Asta Nielsen für eine deutsche Kinoproduktion die Hauptrolle. Unter den legendären Darstellern befinden sich Klaus Kinski, der Anfang der 1962 die „klassischen Monologe“ Shakespeares sogar im Berliner Sportpalast deklamierte, Maximilian Schell sowie Bruno Ganz. Der Schweizer spielte diese Rolle 1982 in einer sechsstündigen Fassung an der Schaubühne Berlin. Als Klaus Maria Brandauer 1985 „Hamlet“ an der Burg gab, legte er sich so ins Zeug, dass es im „Spiegel“ hieß: „Wie hat (Regisseur; Anm.) Hollmann es geschafft, seinen Star daran zu hindern, auch noch den Horatio, den Claudius, den Polonius zu spielen?“
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