1996: Elfie Semotan fotografiert Martin Kippenberger in Venedig

Dichtes Programm zur Festspielzeit: "Eingreifen heißt ordnen"

Kunst in Salzburg: Richard Kriesche im Museum der Moderne, Elfie Semotan im Fotohof und "Jedermann" Lars Eidinger mit Schnappschüssen

Bei ihrem Liederabend über Flucht, Einsamkeit und Heimatverlust brachten Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser, der Intendant der Salzburger Festspiele, vor zwei Wochen auch ein von Schubert vertontes Goethe-Gedicht zu Gehör: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß, / Wer nie die kummervollen Nächte / Auf seinem Bette weinend saß, / Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“

Auf diese Zeilen stößt man auch im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg – in der Richard-Kriesche-Retrospektive „a solo exhibition : a solo presence“ (bis 2. Oktober). Der gebürtige Wiener und sozialisierte Steirer hatte bereits Anfang der 70er-Jahre die neuen Technologien wie Video und die Konzeptkunst für sich entdeckt: Die „Malfläche“ war fortan die Gesellschaft. Mit seiner Kunst wollte er etwas bewirken. Seine Ideologie konnte er ab 1972 in mehreren – damals geradezu verstörenden – Werbespots für Humanic darlegen. „Eingreifen heißt ordnen“, postulierte er.

Soziale Plastik

Zusammen mit Horst Gerhard Haberl, Karl Neubacher und Roland Goeschl griff er in Graz radikal ein: Es entstanden u. a. Plakate für den „steirischen herbst“, die auf größtmögliches Unverständnis stießen. Beteiligt an den Prozessen waren auch Fabriksarbeiter. Und 1974 realisierte Kriesche ein Projekt mit Strafgefangenen: Er ermöglichte ihnen, sich mithilfe der Kunst – „Jeder Mensch ist ein Künstler“, so Joseph Beuys – zu äußern. Ein Ergebnis ist im Museum der Moderne ausgestellt: Ein junger Mann hat sein fotografisches Selbstporträt, betend, um das leicht abgewandelte Gedicht ergänzt: „Doch alle Schuld rächt sich auf Erden.“

Kurator Jürgen Tabor hat in der Retrospektive Themen zu bündeln versucht. Dies gelingt zum Teil erstaunlich gut, wenn er die seriell entstandenen Tafelbilder „numerische systeme“ (ab 1963) mit einer Werkgruppe aus 1989 kontrastiert, in der Bilder von Caspar David Friedrich, Wassily Kandinsky, Vincent van Gogh, u. a. mit digitalen Methoden gescannt wurden, um dem Geheimnis der „Ikonen“ auf die Spur zu kommen.

Es gibt zudem eine neue Installation, mit der Kriesche an die frühen 70er erinnert, als er – immer auch Selbstdarsteller – die Besucher mit der Polaroid-Kamera ablichtete und die Abzüge in die Arbeit integrierte. In Salzburg wird jedem Neugierigen eine angeblich „persönliche Hexadezimalzahl“ zugeordnet, die aus der „Datenspur“ in einer Blackbox errechnet worden sein soll. Es handelt sich dabei aber eher um einen amüsanten Taschenspielertrick.

1971: Richard Kriesche stellt sich selbst aus - und fotografiert seine Besucher, die in der Folge wieder Teil der Ausstellung werden

©Richard Kriesche / Bildrecht

Kriesches in sechs Jahrzehnten entstandenes Oeuvre ist derart umfassend, dass verschiedene Felder, etwa die Kontextualisierung von Relikten aus der NS-Zeit, zu kurz kommen. Mitunter hat man sogar den Eindruck eines Schaulagers. Wegweisende Videoarbeiten werden zwar in „echten“ Monitoren abgespielt, aber unverständlicherweise nicht formatfüllend, sondern in einem schwarzen „Rahmen“. Gerade die Humanic-Zeit hätte viel prächtiger inszeniert werden können. Der erste Spot war übrigens in Venedig entstanden: Kriesche stand in einem weißen, mit Maiskörnern beklebten Anzug auf dem Markusplatz; die Tauben pickten und flatterten, veränderten unentwegt die humane Skulptur.

Spiegelungen

Im Fotohof entdeckt man quasi das gleiche Motiv – als Schnappschuss mit Martin Kippenberger als Darsteller. Er entstand 1996 in Venedig und dokumentiert die kurze Phase des Glücks: Der deutsche Künstler starb nur wenige Monate später, im März 1997 an Leberkrebs. Die Retrospektive „All Personal“ (bis 24. September) bildet ein Gegenstück zu all dem, was man von der Mode- und Werbefotografin kennt: Semotan, 1941 in Wels geboren (und damit ein Dreivierteljahr jünger als Kriesche), stellte den Kuratoren Rainer Iglar und Michael Mauracher ihr privates Archiv zur Verfügung.

Zu sehen gibt es daher nicht die Inszenierungen für Palmers oder Römerquelle, sondern Stillleben und Reportagen, zumeist in Schwarzweiß. Herausragend sind die Straßen- und Stadtporträts – etwa von Graz (1975). Semotan liebt Spiegelungen.

1968 von Elfie Semotan in Paris porträtiert: Sarah Moon

©Elfie Semotan

Im Zentrum der dichten Schau, die mit dem hinreißenden Porträt von Model-Kollegin Sarah Moon 1968 in Paris einsetzt, stehen aber die Familienmitglieder: Kurt Kocherscheidt, die Söhne Ivo und August, dann die Kippenberger-Zeit. Ein „Selbstporträt mit Martin“ sticht ins Auge – und das Foto eines zerwühlten Betts in Venedig.

Schnappschuss von Lars Eidinger: "Salzburg, 2021"

©Lars Eidinger

Es hätte auch von Lars Eidinger stammen können, der akribisch seine Hotelbetten dokumentiert. In der Salzburger Dependance der Galerie Alba zeigt er (bis 26. August) eine Auswahl seiner immer pointierten Schnappschüsse unter dem Titel „Good Gosh / Guter Gott“: Alle Fotos haben mit Religion, Leid und Buße zu tun. Eidinger fallen die Besonderheiten, Kontraste, Absurditäten im Vorbeigehen auf. Fündig wurde der „Jedermann“ der Jahre 2021 und 2022 mehrfach auch in Salzburg. Blickfang der Schau ist ein Bettler-Becher: das Jesusbildchen korrespondiert mit dem Starbucks-Logo.

Lars Eidinger: "Salzburg, 2021"

©Lars Eidinger
Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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