Aus dem Dornröschenschlaf: Das Josephinum eröffnet bald neu

Eine Venus, einige Männer und viele Wachsmodelle: Ab 29. September ist das medizinhistorische Museum der MedUni Wien neu zu entdecken.

Mit wallendem Haar, vollen Lippen und verträumtem Blick liegt sie seit bald 240 Jahren auf einem kleinen Kissen gebettet. Als „Mediceische Venus“ präsentiert sich das wächserne Ganzkörpermodell so lange schon mit täuschend echter Perlenkette unter einer kostbaren Vitrine aus mundgeblasenem venezianischen Glas. Und das beinahe im Herzen von Wien – im Josephinum in der Währingerstraße 25 vis-à-vis dem Palais Clam-Gallas.

Anmut im Dienste der Anatomie: Das Josephinum mit einem seiner Schätze, dem Wachsmodell der „Mediceischen Venus“ 

©Josephinum

„Nur“ eine Attraktion, gar eine Sensation, oder steckt noch mehr hinter diesem einen Herzstück der Wiener Sammlung für Medizingeschichte?

Für den Literaten Gerhard Roth erweckte sie „den Eindruck, als sei sie in Erwartung eines unsichtbaren Liebhabers“. Weniger prosaisch lässt sich behaupten, dass die hier mit offenem Korpus liegende Schönheit einst eine tragende Rolle im anatomischen Theater, dem Hörsaal des Josephinums, inne hatte. Bei besagter Venus handelt es sich nämlich weniger um eine Kuriosität als um ein historisches didaktisches Lehrmittel für Ärzte und angehende Chirurgen.

Wunderkammern des Wissens: Lesesaal und Bibliothekim 1785 fertiggestellten Josephinum

©Bene Croy

Medizin mit Geschichte

Modelliert im Florenz des 18. Jahrhunderts von kunstsinnigen Handwerkern „fand sie ihren Weg auf dem Rücken von Maultieren über die Alpen nach Wien“, macht uns Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und Direktorin des Josephinums, mit ihr bekannt.

Josephinum

©Bene Croy

Vier Jahre lang wurde das 1785 von Joseph II., dem Sohn von Maria Theresia, im Rahmen seiner Reformen zur Ausbildung der Militärärzte und Chirurgen gegründete Haus renoviert. Ab Oktober präsentiert sich das Josephinum samt seinen international einzigartigen historischen Sammlungen in neuer Pracht: auf zwei Ebenen, auf knapp 1.000 Quadratmetern. „Wien hat ein Kunsthistorisches sowie ein Naturhistorisches Museum und nun eben ein auch vorzeigbares Museum für Medizingeschichte“, freut sich Christiane Druml. Einige Tage vor der Wiedereröffnung führt sie die FREIZEIT durch das Josephinum.

Auf den Gängen duftet es noch nach frischer Farbe, manche Säle, etwa die Bibliothek, müssen erst wieder mit ihren Schätzen befüllt werden. Die Säle mit den lebensgroßen Wachsmodellen sind jedoch schon in neuer Anordnung, etwas luftiger. Am 29. September findet die Eröffnung statt – ein Ereignis, das hoffentlich auch zahlreiche wie auch interessierte Besucher zu würdigen wissen.

Christiane Druml ist Direktorin des Josephinums: „Dieses Museum ist ein Gesamtkunstwerk.“

©Kurier/Juerg Christandl

Bis inklusive 1. Oktober, dem Tag, an dem die Lange Nacht der Museen ansteht, gibt es jedenfalls freien Eintritt. Wie auch sonst Frau Druml und Kurator Niko Wahl sich alle Mühe geben, das nicht ganz einfache Thema Medizin publikumsnah aufzubereiten.

Inspiration für Fantomas?

In der permanenten Ausstellung der knapp 2.500 medizinische Instrumente umfassenden Sammlungen des Josephinums stechen ein vergoldetes Mikroskop „aus dem Besitz von Theodor Billroth“ (Niko Wahl) und das um 1880 entstandene „Augenphantom“ hervor. So wie es sich den Besuchern zeigt, könnte es Inspirationsquelle für die Maske der fiktiven französischen Figur des Fantômas gewesen sein. Aber sein Zweck war ein durchaus praktischer. Druml: „Mit echten Kalbs- oder Schweinsaugen wurden daran Operationen am Auge geübt.“

Alle Wachsmodelle wie auch die Vitrinen mit dem venezianischen Glas stammen aus der Zeit Josephs II. 

©Kurier/Juerg Christandl

Muss man als Besucher hart gesotten sein, um diese Objekte auch würdigen zu können? Nun, sich dem Ganzkörpermodell des „Lymphgefäßmannes“ zu nähern, kostet vielleicht mehr Überwindung, als die „Mediceische Venus“ zu betrachten. Sie unter Augenschein zu nehmen, kommt jedenfalls einer faszinierenden Zeitreise gleich.

„Als der vielseitig interessierte und musisch talentierte Kaiser Joseph II. 1769 inkognito als Graf von Falkenstein durch Italien reiste, machte er auch in Bologna halt“, erläutert die Museumsdirektorin. Eine der Innovationen von „La Dotta“, der Gelehrten, wie die älteste Universitätsstadt Europas genannt wird: anatomische Wachsmodelle als plastische wie auch innovative Lehrbehelfe.

Ein paar Jahre danach ergab sich für Joseph II. und seinen Leibarzt Giovanni Brambilla die Gelegenheit, die detailliert ausgearbeiteten Modelle für den anatomischen Unterricht in der geplanten militärischen Akademie nach Wien zu bringen. „Erstmals konnte man so etwas sehen, das man nie zuvor gesehen hat: das Innere des Menschen“, bringt Christiane Druml das Sensationelle an dieser Sammlung auf den Punkt.

Restauratorin Martina Peters behandelt die Kunstwerke mit Pinsel, Sauger und Schwamm  

©Kurier/Juerg Christandl

Faszinierende Malereien

Damit nicht genug, sind nun für die breite Öffentlichkeit endlich jene Wandmalereien zu sehen, die vor zwölf Jahren nach den Positionsangaben des Architekturhistorikers Markus Swittalek durch den Restaurator Karl Scherzer freigelegt werden konnten. "Grundlage dazu war ein kolorierter Stich von Hieronymus Löschenkohl aus dem Jahr 1785", so Swittalek. Entdeckt wurden sie im historischen Hörsaal nach Entfernung der nach 1945 eingezogenen Zwischendecke. Diese Malereien zeigen Mediziner aus der Antike bis in die Neuzeit.

©Josephinum

Während der FREIZEIT-Visite wurde im Saal noch gebastelt und geschuftet, der neue Glanz war nur zu erahnen. Die Direktorin verheißt einen alten Steinway-Flügel in dieser Räumlichkeit und verspricht: „Mit diesem halbrunden und neun Meter hohen Hörsaal hat Wien bald einen weiteren Begegnungsort.“

Mit dem in der Nähe gelegenen Freud-Museum, der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm und dem unmittelbar daneben liegenden Alten AKH bildet das Josephinum eine bedeutende Achse des Medizinischen Wiens, das nicht zuletzt durch die Erste und die Zweite Medizinische Schule zu Weltgeltung kam.

Das „Augenphantom“: An ihm wurde für Operationen geübt.

©Bene Croy

Eine Achse, an der auch Martina Peters, die Restauratorin des Josephinum, tagtäglich mitwirkt. Wenn sie eines der tausenden Objekte auf Vordermann gebracht hat, befindet sich das nächste schon in Warteposition.

Josephinum

Im Jahr 1785 wurde das Josephinum von Kaiser Joseph II. eröffnet. Anmutig wie ein charmantes französisches Stadtpalais beherbergt es mehr als 650 Jahre Wiener Medizingeschichte. Die Bandbreite der Objekte reicht von historisch bedeutsamen Instrumenten bis zu der weltweit einzigartigen Sammlung anatomischer Wachsmodelle.

1090 Wien, Währinger Straße 25

geöffnet ab 29.9., Mi-Sa & Feiertag 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr

freier Eintritt von Do 29.9. bis Sa 1.10. josephinum.ac.at

 

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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