"Nobel-Preisträger" für Architektur sagt: „Jeder verdient Luxus!"
Mit Diébédo Francis Kéré gewann zum ersten Mal ein Afrikaner den bedeutendsten Architektur-Preis der Welt.
Der Pritzker-Preis ist quasi Nobel-Preis und Oscar in einem, die höchste Auszeichnung, die einem Architekten zu Teil werden kann. Seit 44 Jahren wird er vergeben, der Preisträger steigt in olympische Höhen auf, Rem Koolhaas hat ihn gewonnen, Frank Gehry, Oscar Niemeyer, Norman Foster und Zaha Hadid. Und jetzt Diébédo Francis Kéré. Eine ausgewachsene Sensation. Denn der 57-jährige Architekt kommt aus einem kleinen Dorf in Burkina Faso. Und Afrika, der gesamte Kontinent, war im Gegensatz zu allen anderen Erdteilen bisher auf der Landkarte der mit diesem Preis Geadelten ganz einfach nicht existent.
Welches Afrika?
Wie man mit dieser Ehre, die vielleicht auch eine Last ist, umgeht? Auch mit dem Etikett „afrikanischer Architekt“? Der Kontinent ist mehr als divers, ein Bewohner Malis hat mit einem Menschen aus Malawi etwa so viel gemeinsam wie ein Isländer mit einem Sizilianer, Sprachen und Traditionen könnten unterschiedlicher nicht sein, boomende Großstädte stehen in fast allen 55 Staaten Afrikas endlosen Landabschnitten gegenüber, in denen tatsächlich noch mit der Natur gelebt wird, imperiale, uralte Hochkulturen einem zyklischen Leben mit Regen- und Trockenzeiten.
„Ich bin aus Afrika“, sagt Francis Kéré, „ich habe meine Arbeit hier begonnen, ich fühle mich mit dem Kontinent verbunden.“ Und auch wenn der Begriff „Afrikaner“ lange Zeit nicht weiter hinterfragt wurde, weil es eben kein Bewusstsein für die Vielfalt dieses Kontinents gab, sei es vielleicht durchaus an der Zeit, zusammenzurücken. Als Afrikaner. So wie auch Europäer langsam ein europäisches Bewusstsein entwickeln.
Diébédo Francis Kéré war das älteste von 13 Kindern eines Dorfvorstehers. Als einziges Kind des Dorfes durfte er eine Schule besuchen. Der Weg war viel zu weit, also lebte er ab seinem siebten Lebensjahr bei Verwandten in der Stadt, wo es eine Schule gab. „Es war unglaublich heiß und stickig in dem flachen Betonbau. Etwa 100 Kinder in einer Klasse. Ich wusste nicht, was ein Architekt ist – aber ich habe damals beschlossen, einmal bessere, angenehmere Schulgebäude zu entwerfen“, sagt Kéré.
Der Weg war weit
Als 20-Jähriger durfte Kéré mit einem Stipendium nach Deutschland, wo er eine Lehre als Zimmermann absolvierte. Dann folgte die Abend-Matura, schließlich, endlich, ein Studium an der Technischen Universität in Berlin, die er 2004, mit 39 Jahren erfolgreich abschloss.
Da hatte er allerdings schon seinen ersten wichtigen Preis gewonnen. Wie er es sich als Kind erträumt hatte, baute er tatsächlich eine Grundschule für sein Heimatdorf Gando. Eine, die nicht nur besser war als diejenige, die er besuchen durfte, sondern so gut, dass der Student mit dem Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet wurde. Weil er, wie es hieß, die „wesentlichen Fragen beantwortet, die das neue Jahrhundert prägen“.
Denn Kérés Architektur zeichnet sich nicht nur durch beeindruckende Klarheit und herausragende Ingenieurtechnik aus, eine Formensprache, deren Schönheit völlig unprätentiös ist, sondern auch durch die nachhaltige Philosophie, die dahinter steckt. „Schaut nach West Afrika, um die Zukunft grüner Architektur zu sehen!“, titelte die L. A. Times gleich nach der Preisverleihung. „Wenn die finanziellen Ressourcen knapp sind, muss man eine Idee haben“, sagt Francis Kéré im Interview.
Lokal statt global
Fakt ist, dass der preisgekrönte Architekt sehr stark auf lokale Materialien setzt. Nichts sollte um die halbe Welt gekarrt werden, um einem Bau einen internationalen Touch zu verleihen. Fakt ist auch, dass Kéré vor allem für seine westafrikanischen Schulbauten die lokale Bevölkerung miteinbezieht. „Durch die koloniale Vergangenheit wurden die Menschen passiv, man wartet darauf, dass etwas gebaut oder geflickt wird. So kann keine eigenständige Architektur entstehen. Deswegen versuche ich, die Leute in meine Projekte einzubinden, was zudem auch die Baukosten reduziert. Und: Durch ihre aktive Beteiligung sind sie stolz auf ihre Bauten, identifizieren sich damit.“
Dabei ist Francis Kéré so sehr Pragmatiker, wie er Idealist ist. Traditionelle Lehmbauweise gilt bei vielen Hipstern als Trend. In seinem Heimatdorf Gando wollte man für die Schule aber lieber Beton, weil der moderner ist, und man dann nicht nach jeder Regenzeit das komplette Gebäude renovieren muss. Der Architekt mischte also etwa 10 % Zement in den lokalen Lehm. Dadurch wurde der Bau widerstandsfähig – und wies alle Vorteile auf, die sich seit Jahrhunderten in diesen Breitengraden bewährt haben: Die Räume bleiben angenehm kühl, ein weit überhängendes, quasi schwebendes Dach spendet Schatten und lässt die Hitze entweichen. Die Luft zirkuliert ganz ohne Klimaanlage. „Jeder verdient Qualität, jeder verdient Luxus, jeder verdient Komfort“, sagt Kéré.
Eine Oper für Schlingensief
Wer Francis Kéré aufgrund seines Engagements als Nischen-Größe sieht, tut ihm Unrecht. Der Architekt aus Burkina Faso hat derzeit eine Professur an der TU München, unterrichtete an der Accademia di Architettura di Mendrisio, in Harvard und Yale.
Fürs hippe Coachella-Festival in Colorado gestaltete er eine spektakuläre Communication-Zone mit zwölf illuminierten Türmen, für die Londoner Serpentine Art Galleries in Kensington Gardens einen luftigen Pavillon.
Im Tippet Rise Art Center in Montana steht seine ebenfalls preisgekrönte Versammlungshalle aus verwittertem Stahl und Holz, in Berlin soll demnächst ein monumentaler Museumsbau realisiert werden und in Benins Hauptstadt Porto Novo wird derzeit ein neues Parlamentsgebäude nach seinen Plänen realisiert.
Und dann ist da natürlich noch das berühmte „Opern Dorf“, das Kéré für und mit Christoph Schlingensief in Burkina Faso baute. Ein einzigartiges Zentrum für Kultur und Bildung, das kontinuierlich wächst. Francis Kéré hat viel zu tun, und nach dem Pritzker-Preis wird es wohl noch mehr werden.
Wo die internationalen Aufträge ihn hinführen werden, weiß er nicht – aber er wird nie vergessen, woher er kommt: „Ich kann mich an den Raum erinnern, in dem meine Großmutter uns Geschichten erzählte. Es gab nur ein ganz kleines Licht und wir Kinder drängten uns dicht zusammen und ihre Stimme in dem Raum war überall um uns, sie zog uns an, immer näher, und wir formten gemeinsam einen sicheren Ort. Das war meine erste Ahnung von Architektur.“
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