Der Topiary-Garten von Levens Hall im englischen Lake District

Pflanzen-Skulpturen: Das ist der älteste Topiary-Garten der Welt

Der Topiary-Garten von Levens Hall im Lake District ist ein Wallfahrtsort exzentrischer englischer Gartenkunst und der älteste der Welt.

von Ingrid Greisenegger

Es ist, als bekäme der Garten gerade einen frischen Haarschnitt. Bis alle Gehölze dran waren, wird in Levens Hall Weihnachten ins Land gezogen sein. Es sind über 100 immergrüne Pflanzenskulpturen, sogenannte "Topiaries", die es in dieser Open-Air-Galerie im Norden Englands, in der Grafschaft Cumbria, zu beschneiden und zu trimmen gilt.

Schon im September ist man durchgestartet. Mehrere Gärtner, im Wert von vier Vollzeitjobs, sind mit einer Schar von Volunteers (jenen freiwilligen Helfern, die sich im Land einer enthusiastischen Gartenkultur weitaus leichter rekrutieren lassen als bei uns) mit ihren Werkzeugen ausgerückt. Es sind batteriebetriebene Heckenscheren, Handscheren, Teleskopscheren. Man ist auch auf ausfahrbare Arbeitsplattformen angewiesen, um hochragenden Topiaries an den Scheitel zu fassen.

Als besonders schwierig gilt der Pflegeschnitt für den "Großen Schirm". Für diese 10 m hohe Figur benötigt man eine Hubarbeitsbühne, von der aus sich der "Friseur" mutig aus einem Korb lehnt. 

Man beginnt mit der Arbeit am höchsten Punkt und arbeitet sich an den Seiten nach unten. Dort, wo durch den natürlichen Wachstumsprozess der Bäume im Frühling und im Sommer der akkurate Formschnitt unscharf geworden ist (wie bei einem herausgewachsenen Haarschnitt) und wo da und dort ein Buchs- oder Eibentrieb aus der Reihe tanzt, setzt jetzt der Schneidekünstler sein Werkzeug an. 15 cm bis 30 cm des Umfangs werden entfernt.

Der Topiary-Garten von Levens Hall im englischen Lake District

Durch Formschnitt in Facon gebracht.

©Steve Silverman/CC BY-NC-ND 2.0

"Manche Figuren schneide nur ich selbst, ich betreue sie wie Kinder", sagt Chefgärtner Chris Crowder. Er ist seit über 30 Jahren hier und der Elfte in der Reihe von Gärtnern, die über Generationen die Formschnitte in Levens Hall begleitet haben.

Chefgärtner Chris Crowder ist seit Jahrzehnten für den lebenden Skulpturenpark auf dem Herrensitz Levens Hall verantwortlich

Chefgärtner Chris Crowder ist seit Jahrzehnten für den lebenden Skulpturenpark auf dem Herrensitz Levens Hall verantwortlich. Er dirigiert vier Vollzeit-Mitarbeiter und viele Freiwillige. 

©Ingrid Greisenegger

Dicht an dicht und in unterschiedlichen Grüntönen stehen hier traditionelle Formen wie Pyramiden, Spiralen, Zylinder und solche, die jeder für sich ein wenig anders deuten kann: Schachfiguren, Queen Elisabeth I. und ihre Hofdamen, ein ins Rutschen geratener Tortenturm, Pfauen und etwas, das man für Homer Simpson halten könnte. Es ist eine surreale und einzigartige Sammlung uralter Buchsbäume und Eiben in geometrischer oder abstrakter Form, die sich aus einer Unterpflanzung abhebt, die mit einer ständig wechselnden Auswahl von über 30.000 bunten Beetpflanzen bestückt ist, die in den Gewächshäusern vor Ort gezogen werden.

Der Topiary-Garten von Levens Hall im englischen Lake District

Manche der über 100 Topiary-Bäume, es handelt sich um Eiben und Buchs, stammen noch aus der Anfangszeit des Gartens von Levens Hall Ende des 17. Jahrhunderts. Mehr als die Hälfte der immergrünen Gartenkunstobjekte zählt mehr als 150 Jahre.

©Ingrid Greisenegger

"Dreidimensionaler Picasso"

"Manche Linien wirken geradezu fließend, als seien sie aus Wachs modelliert und zu lange der Sonne ausgesetzt gewesen. Exaktheit ist weichen Linien gewichen", bemerkt der englische Formschnitt-Spezialist Jake Hobson in seinem Buch "Schnittkunst im Garten". Man fühlt sich an die Landschaft der Umgebung erinnert, an die dunkel aufragenden Hügel des Lake District. Bestimmte Formen sieht Hobson als kubistische Interpretationen des Baumes, als "einen dreidimensionalen Picasso".

"Ich bleibe den ursprünglichen Entwürfen treu, aber jeder Baum entwickelt einen eigenen Charakter."
Chris Crowder, Obergärtner

Riesiger Regenschirm-Baum

Weithin berühmt ist der über 300 Jahre alte "Great Umbrella Tree", ein überdimensionierter Regenschirm (als wäre man bei "Alice im Wunderland" angekommen), der zu den 50 größten Bäumen Großbritanniens zählt. Doch nicht genug damit. Levens Hall steht auch im Guinness-Buch der Rekorde als ältester Topiary-Garten der Welt.

Der alte Streuobstgarten ist ein Paradies der Biodiversität. 

©Ingrid Greisenegger

Das Pflanzengestalten ist ein altes Kunsthandwerk. Ars topiaria nannten es die Römer, die britische Variante lautet Topiary. Schon Plinius der Ältere berichtet in seinen Schriften von aus Zypressen geformten Figuren zu den Themen Jagd oder Seefahrt, von Tieren und von Obelisken. Der italienische Humanist und Architekt Leon Battista Alberti setzte dann Riesen und Drachen in die von ihm gestalteten Renaissance-Gärten. Die Niederländer perfektionierten komplizierte, bizarre Topiaries mit großer Leidenschaft, die dann auch die Franzosen teilten. Später wurde dann England von dieser Modewelle überrollt.

Aus dieser Zeit stammt auch der Garten von Levens Hall im Lake District südlich der Stadt Kendal. Der Topiary-Garten wurde ab 1694 angelegt, als ein Colonel Grahme, Schatzmeister von James II., sich einen Garten modernsten Designs wünschte, der seines Status würdig war. Vom ersten Stock seines elisabethanischen Herrenhauses aus wollte er ihn überblicken können.

Grahme beauftragte Guillaume Beaumont, zu dem biografische Daten eher spärlich sind. Er gilt als Schüler von Le Notre, dem Gartengestalter, der auch die Gärten von Schloss Versaille bei Paris für Ludwig XIV. angelegt hat. Für Beaumont wurde in den Garten von Levens Hall ein Haus gesetzt, von dem aus man das ganze Areal überblickt.

Erfinder des "Ha Ha"-Effekts 

Der Topiary Garten ist aber nur das aufsehenerregende Herzstück der Anlage. Auch die imposante Buchenhecke, Obstbaumpflanzungen, Staudenrabatten und der sogenannte "Ha Ha"-Effekt gehen auf Beaumont zurück. Beim "Ha Ha" handelt es sich um den Trick, den Garten noch größer erscheinen zu lassen, als er ist, indem man ihn nicht mit einem Zaun oder einer Mauer zur umgebenden Landschaft hin abschließt, sondern ihn nur durch einen Graben, also ohne Blickbehinderung, von dieser trennt.

Das Rasenstück diente ehedem dem Bowling, jetzt wird Croquet gespielt.

©Ingrid Greisenegger

Es waren die Gärtner des Hochadels, die dann Jahrzehnte später ihren spezifisch englischen Beitrag zur Gartenkunst leisteten: den Landschaftsgarten. Die neue Gartenmodewelle löste im folgenden Jahrhundert den formalen französischen Stil ab, jene steifen Barockgärten, wie sie dem politischen Absolutismus entsprachen. Im Zeitalter des Aufklärers und Naturforschers Jean Jaques Rousseaus wurden die alten Gärten von diesem Regelwerk befreit. Von nun an war es Absicht der Gestalter, durch kreative Eingriffe (Baumgruppen, Teiche, markant in die Landschaft gesetzte Tempel) der Natur zu noch größerer Vollkommenheit zu verhelfen. 

Modernisierung überlebt

"Die Kunst des Formschnitts galt nun als so verzopft, wie eine Perücke", hat es Englandkenner Peter Sager in seinem Buch "Englische Gartenlust" formuliert. Fast alle formalen Gärten wurden zu Landschaftsgärten umgestaltet. Die altmodischen Topiaries von Levens Hall haben überlebt. Was für ein schöner Zopf!

Levens Hall

Kendal, Cumbria

www.levenshall.co.uk

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