Touristin im Souvenirshop

Warum kaufen wir im Urlaub Dinge, die wir daheim nie kaufen würden?

Wer noch keinen Käsehobel mit Stadtwappen zuhause hat, werfe den ersten Stein.

Schuld war nur der Aperol. Oder was hat uns sonst so Laune gemacht, all diese unerklärlichen Dinge zu kaufen? Kaum haben wir die Landung mit dem Flieger beklatscht, den Sonnenschirm in den Sand gesetzt und selbstverständlich in Landessprache Essen bestellt, schon werden wir übermütig. Und schleppen Dinge im Übergepäck mit nachhause, die wir ebendort bei klarem Gemüt wahrscheinlich nie erstanden hätten. 

Klobige Keramik-Kühlschrankmagnete berühmter Kathedralen. Antik anmutende Krüge mit Konterfeis gekrönter Häupter. Socken mit Pizza-Muster. Kreischgrelle Creolen. Hawaiihemden mit Sonnenuntergang. Käsehobel mit Stadtwappen. Der Blick in den Kasten und in diese eine Schublade, die wir das ganze Jahr über nie aufmachen, ist ein Blick in ein unbekanntes Selbst. Wer waren wir, als wir uns all dieses Zeug zugelegt haben?

Geheime Sehnsüchte

"Im Urlaub ist man ein anderer Mensch", weiß die Innsbrucker Psychologin Marcella Stolz, "wir begeben uns in einen anderen Bewusstseinszustand. Die fremden Eindrücke und schönen Erlebnisse lassen uns offener werden für andere Kulturen, Meinungen und Anschauungen. Die Ratio geht zurück, die Emotion gewinnt die Oberhand." Die Folge: Wir lassen uns vom neuartigen Warenangebot gerne verleiten. Auch mit dem Geld gehen wir lockerer um. "Wir denken: Jetzt gönne ich mir einmal etwas!"

Tja, nun gönnt sich der Mensch natürlich nicht das 08/15-Gewohnte. Das kennt er ja zur Genüge von daheim. Jetzt darf es etwas Außergewöhnliches sein. Nur Mut! Wer sich dabei noch nie grandios verschätzt hat, werfe den ersten Stein. "Durch unsere Urlaubsgefühle schätzen wir Dinge mitunter falsch ein. Selbst wenn wir insgeheim ahnen, dass wir gerade einen Blödsinn kaufen."

Ob diese Käufe nicht unser echtes Ich offenbaren oder die Sehnsucht, jemand anderer zu sein – etwa lieber Beachboy als BWLer? "Im Urlaub probieren wir aus, wie es ist, unseren Wünschen nachzugeben und vielleicht eine andere Persönlichkeit auszuleben", weiß die Psychologin. "Wir befreien uns von Zwängen, die uns abhalten, sich frei zu verhalten. Und legen weniger Wert darauf, was andere denken."

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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