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Filmkritik zu Wes Andersons "The French Dispatch": Sehr viel mehr davon

Wes Andersons leidenschaftliche Hommage an den Journalismus der alten Schule und das legendäre Magazin „The New Yorker“

Weinen ist nicht erlaubt. Wenn es eine Regel gibt, die Arthur Howitzer Jr., Zeitungsherausgeber des US-Magazins „The French Dispatch“ streng verteidigt, dann ist es das Verbot von Sentimentalität. Insofern ist Weinen selbst dann nicht gestattet, als Howitzer stirbt und sich seine niedergeschlagenen Redakteure und Redakteurinnen versammeln, um einen Nachruf auf ihn zu verfassen.

Sie treffen sich in der französischen Stadt Ennui-sur-Blasé, wo vier außergewöhnliche Geschichten, darunter ein Krimi, entstehen. Die Storys sind von der Erinnerung an Howitzer geprägt und werden für die letzte Ausgabe des „French Dispatch“ zusammengetragen.

Natürlich gibt es keine französische Stadt namens Ennui-sur-Blasé, was ungefähr so viel bedeuten würde wie „Langeweile an der Gleichgültigkeit“. Auch „The French Dispatch“, ein Magazin mit Sitz in Kansas, existiert nicht. Ähnlichkeiten mit dem legendären US-Magazin The New Yorker sind aber keineswegs zufällig; und die Vorliebe für alles Französische in „The French Dispatch“ stammt eindeutig aus der geistigen Wahlheimat von Regisseur Wes Anderson, der als geborener Texaner Zeit seines Lebens vom New Yorker schwärmte und immer schon in Frankreich leben wollte.

Frankophiles US-Magazin: "The French Dispatch"

©Disney

Denn Wes Anderson ist bekanntlich ein Mann mit starkem Stilwillen, der bei den Manschettenknöpfen anfängt und seinen Filmen längst nicht aufhört. Dafür liebt ihn die Fangemeinde.

Anderson ist berühmt für seine sorgfältig konstruierten Bilder, die er, symmetrisch und farblich bis ins kleinste Detail perfekt ausgeklügelt, zu gewitzten Tableaus arrangiert und mit lakonischem Humor versiegelt.

Insofern ist „The French Dispatch“ nicht nur ein typischer Wes-Anderson-Film, sondern eher die Steigerung. More of the same, aber sehr viel mehr davon.

Hommage an "The New Yorker": Wes Andersosn "The French Dispatch"

©Disney

In allen Tonlagen – in Farbe, in Schwarz-Weiß, als Animation – singt der „Grand Budapest Hotel“-Regisseur sein Liebeslied auf den Journalismus der alten Schule.

Reibungsverlust

In der erzählerischen Anmutung liegt „Grand Budapest Hotel“ der französischen Postille und ihren Geschichten aus den 50er- und 60er-Jahren am nächsten. Doch im Gegensatz zu „Grand Budapest Hotel“ kennt „The French Dispatch“ keine in sich geschlossene Geschichte. Stattdessen reihen sich mehrere Episoden, die von den schrulligen Auslandskorrespondenten recherchiert werden, wie Vignetten lose aneinander – mit emotionalem Reibungsverlust.

Bill Murray als Arthur Howitzer Jr., Herausgeber von "The French Dispatch"

©Disney

Wie immer bietet Anderson aber nicht nur visuelle Preziosen, sondern liefert auch eine imposante Star-Parade. So lässt Bill Murray als Chefredakteur Howitzer Jr. – angelehnt an Harold Ross und William Shawn, Herausgeber von The New Yorker – seinen schrägen Mitarbeitern alle Freiheiten.

Die barsche Frances McDormand spielt eine Journalistin auf Recherche im Revolutionsjahr 1968, wo sie auf protestierende französische Studierende trifft und mit einem von ihnen – dem hübschen Timothée Chalamet – ins Bett geht (ungewöhnlich für einen Wes-Anderson-Film).

Frankreichs berühmte Léa Seydoux trägt Gefängnisuniform und steht einem mörderischen Häftling (Benicio del Toro) als Nacktmodell zur Verfügung. Seine Bilder erzielen daraufhin Millionenpreise und machen ihn zum Star der Kunstszene.

Tilda Swinton trägt falsches Gebiss und hält dazu einen Vortrag. Und wer genau hinschaut, findet zwischen all den Promis sogar Christoph Waltz bei einem Kurzauftritt – mit schütterem Haar und blonden Bartkoteletten.

INFO: D/USA 2021.108 Min. Von Wes Anderson. Mit Bill Murray, Frances McDormand

Star-Parade in Wes Andersons "The French Dispatch"

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Filmkritik zu "Halloween Kills": Sadistisch, aber nicht spannend

Manchmal ist die Feuerwehr einfach zu schnell. Mit letzter Kraft haben  Laurie Strode (Scream Queen Jamie Lee Curtis), ihre Tochter und ihre Enkelin den  Maskenmörder Michael Myers in einem Keller eingesperrt und das Haus angezündet. Doch die unwissenden Brandbekämpfer retten ihm das Leben. Und während Laurie verletzt im Krankenhaus liegt, marschiert Michael bereits wieder blutig mordend durch die Halloween-Nacht  von Haddonfield.

David Gordon Green hat mit   „Halloween“ (2018), gemeinsam mit Jamie Lee Curtis, dem Horror-Klassiker von John Carpenter  eine würdige Fortsetzung verpasst. Dem neuen Sequel aber fehlt jedes Charisma: Myers  zahllose Morde  – vom schwulen Pärchen bis hin zum alten Ehepaar – sind  extrem sadistisch und grausig anzusehen, erzeugen aber keine Spannung im guten Horrorsinn.   Curtis selbst hat wenig zu tun, während sich eine    Bürgerwehr zusammenrottet und – natürlich – den falschen Verdächtigen umbringt. Metzelei, Lynchjustiz und anschließende Moralpredigt ergeben keine gute Horrormischung.

 INFO: USA 2021. 106 Min. Von David Gordon Green. Mit Jamie Lee Curtis, Judy Greer, Will Patton.

Kommt nicht zur Ruhe: Jamie Lee Curtis (li.) in "Halloween Kills"

©UPI

Filmkritik zu "Venom 2": Schwarze Tentakeln im Rücken

Venom, der hässliche Parasit aus dem All,  frisst gerne menschliche Gehirne. Wenn man ihm aber gut zuredet, kann er  auch   nett sein: Dann begnügt er sich  mit Hühnern und Schokolade.
„Venom“, der erste Film aus Sony’s Spider-Man Universe, spielte im Jahr  2018 gewaltige Summen  ein und legte  eine Fortsetzung  nahe. In Teil 2 hat sich Venom im Körper des Journalisten Eddie Brock – unrasiert: Tom Hardy – häuslich eingerichtet.

Die beiden streiten viel, und in der Hitze des Gefechts  wachsen Eddie mitunter auch schwarze Tentakel aus dem Rücken und verwüsten sein Zimmer. Das muss man erst einmal lustig finden, um lachen zu können.   
Als sich  Venoms  teuflisch roter  Gegenspieler im Körper eines Serienmörder einnistet, ist Schluss mit lustig. Auf Witze wie „Good-bye, Granny, du alter Schließmuskel“ muss man dann verzichten.

Woody Harrelson spielt Venoms Todfeind wie eine demente Version von Herman Munster. Die Spezialeffekte sind scheußlich, die Handlung löchrig. Blutbad für sehr eingefleischte Fans.

INFO: USA/GB/KAN 2021. 97 Min. Von Andy Serkis. Mit Tom Hardy, Woody Harrelson.

 

Blutbad mit Venom und seinem roten Gegenspieler: „Venom 2: Let There Be Carnage“ 

©Sony

Filmkritik zu "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen": Rollenspiele

Gesammelt, vergraben – und dann?
Eichhörnchen, die ihre Winter-Vorräte nicht wiederfinden, sind ein beliebtes Thema für Märchen und Mythen. Aber hinter dem heiter klingenden Titel steckt ein ernstes Thema. Alzheimer.
 Der schwermütige Ton des Films wird immer wieder von humorvoller Leichtigkeit durchbrochen. Und er stellt auch schwierige Fragen. Etwa, ob ein Mensch von einer Schuld, die er auf sich geladen hat, entbunden wird, weil er sich nicht mehr daran erinnert.

Als Marija im Bus nach Deutschland sitzt, weiß sie noch nicht wirklich, worauf sie sich da eingelassen hat.
 Mit 27 hat die junge Frau ihren Sohn, ihre Mutter und ihre ukrainische Heimat hinter sich gelassen, um den dementen Curt rund um die Uhr zu pflegen.  Als er sie zum wiederholten Male mit seiner verstorbenen Frau Marianne verwechselt, lässt sie sich auf das Rollenspiel ein. Sie tauscht den weißen Kittel gegen die teuren Kleider  aus Mariannes Schrank und lässt sich zum „Hochzeitstag“ von Curt im Mercedes Cabrio in ein schickes Restaurant einladen.  
Die gelungene Balance zwischen Ernst und Komik verdankt das Regie-Duo Nadine Heinze und Marc Dietschreit dem überzeugenden Zusammenspiel der Schauspieler Emilia Schüle als Marija und Günther Maria Halmer als Curt.

Text: Gabriele Flossmann

INFO: D 2021. 109 Min. Von Marc Dietschreit, Nadine Heinze. Mit Günhter Maria Halmer, Emilia Schüle.

Emilia Schüle und Günther Maria Halmer als „Ehepaar“ in "Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen"

©Einhorn

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