Warum ein alter Hut bis heute verzaubert

Der Zylinder, vor 100 Jahren Zeichen für Freiheit und Gleichheit, erlebt ein modisches Comeback.

"Mit Hüten schafft man Illusionen“, sagte einer der bekanntesten Hutmacher der Welt, Philip Treacy, einmal. Besonders dann, wenn es um die Kopfbedeckung geht, aus der weiße Kaninchen gezaubert werden und die als Glücksbringer aus Schokolade oder Blei das neue Jahr einläuten.  
Dabei soll der erste Zylinder-Träger einst sogar eine Strafe für die Erregung öffentlichen Ärgernisses kassiert haben: Nämlich als 1797 der Londoner Hutmacher den steifen, hohen Seidenhut mit der schmalen Krempe, erstmals ausführte. Damals wurde er üblicherweise aus grobem Wollfilz und Biberhaar gefertigt und von Aristokraten höchstens zum Reiten getragen.

Der königliche Hutmacher Philip Treacy hat Humor. Seine fantastischen Hutkreationen sind sehr begehrt

©mauritius images / Alamy Stock Photos / evan Hurd/Alamy Stock Photos/evan Hurd/mauritius images

Zudem galt so ein Zylinder im Alltag als unelegant. Längst hat diese Art der Kopfbedeckung im Reitsport, etwa bei den traditionellen Pferderennen von Ascot, die Seiten gewechselt und sitzt heute in Luxus-Varianten meist auf gekrönten Häuptern, kreiert vom irischen Haute-Couture-Modisten Treacy, der als königlicher Hutmacher und für seine Zylinder und fantasievollen Headpieces bekannt ist.  

 

Klassischer Zylinder von Zechbauer by Mayser

©Hersteller

Erst im frühen 19. Jahrhundert eroberte der schwarze Zylinder die Garderobe des Bürgertums. Er galt als Symbol für Freiheit und Gleichheit und wurde später Bestandteil der Berufstrachten von Fiakern und Rauchfangkehrern. Von letzteren hat er übrigens den Ruf als Glücksbringer. Früher waren Rauchfangkehrer schwer zu bekommen. Man war froh, wenn man die Wandergesellen zufällig auf der Straße antraf. Dann konnte man sie ins Haus holen, wo sie die verrußten Kamine putzten um Kaminbrände zu verhindern.

Vom Reitsport zum Party-Glam

Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Zylinder als Reithut wieder beliebt, diesmal bei  Damen. So trug Kaiserin Sisi einen Zylinder mit Tuch bei ihren Ausritten, ein Modell, das heute noch etwa die Grazer Hutfabrikation Josef Kepka & Söhne fertigt.

Der Sisi-Zylinder wird heute von der Grazer Hutfabrikation Josef Kepka & Söhne hergestellt, 

©lex-karelly

Glück für die Besitzer brachten auch diese Zylinder: Ein Reitzylinder von Kaiserin Sisi erzielte bei einer Auktion im Wiener Dorotheum den Rekordpreis von 134.500 Euro, der von Präsident Abraham Lincoln sogar 6 Millionen Dollar bei einer Auktion in Amerika. 

Marlene Dietrich eroberte die Herrengarderobe in den 1930er-Jahren und verlieh dem Zylinder neuen Glamour

©imago/Cinema Publishers Collection/Cinema Publishers Collection/imago

In den 1930er-Jahren verkörperte der Zylinder wieder etwas Neues: Marlene Dietrich spielte mit Geschlechterrollen und verlieh ihm Glamour. Ein Stil, der heute wieder gefragt ist. Denn nicht nur Chanel-Chefin Virginie Viard brachte heuer den Ofenrohrhut auf den Catwalk zurück und erinnerte damit an den Hut als Symbol von Zirkus und Magie.

Der Zylinder feierte heuer sein Comeback am Laufsteg von Chanel

©IMAGO/Avalon.red

Einen Zauber, den auch Timothée Chalamet als Wonka im Film "Charlie und die Schokoladenfabrik“, versprüht.

Timothée Chalamet versprüht als Wonka süßen Zauber mit seinem Zylinder

©Courtesy of Warner Bros. Pictures

Pop-Sängerin Beyoncé brachte den Hut wiederum auf ihrer Renaissance World Tour modisch in die Zukunft. Die metallischen Zylinder-Kreationen für die Bühne stammen von dem ukrainischen Star-Designer Ruslan Baginskiy.

Beyoncé trug bei der Renaissance World Tour einen Metallzylinder des ukrainischen Designers Ruslan Baginskiy

©Getty Images for Parkwood/Kevin Mazur/Getty Images

Dass die Nachfrage nach klassischen Hutformen wie Zylindern und Melonen steigt, bestätigt Modistin Julia Cranz, die Stars wie Sarah Jessica Parker und Anna Netrebko mit auffallenden "Fascinators“ ausstattet. Sie arbeitet gerade an einer Silvesterbestellung (auch das Foto ganz oben mit dem weißen Zylinder stammt aus dem Atelier Julia Cranz).

Julia Cranz fertig Head-Pieces und Zylinder jeder Art auf Bestellung

©Privat

"Der Glamour ist zurück. Ich mache zum Motto 1950er-Jahre einen pistazien-flamingo-farbenen Zylinder aus einem Vintage- Stück der 1940er-Jahre.“ Cranz kaufte zwar ganze Konvolute von Modisten in San Francisco auf, musste sich aber trotzdem neue Hutformen aus Holz machen lassen.

Der pistazienfarbene Zylinder in Arbeit, im Atelier von Julia Cranz

©lukas gansterer

"Die Köpfe der Männer sind fast doppelt so groß wie vor 100 Jahren“, erzählt die Niederösterreicherin, "war früher Größe 57 gängig, ist es heute Nummer 62. Die Köpfe werden offenbar immer größer.“ Modisterei gehört zum selten gewordenen Kunsthandwerk, in Europa gibt es nur noch drei Formenmacher. Der von Cranz sitzt in Florenz. 

Hut mit Eichhörnchentotenkopf (gefunden im Wald) und Leucht-Augen aus LED-Lichtern, 580 €, von Julia Cranz

©lukas gansterer

Heute wird der Klassiker, der nach wie vor auf Hochzeiten zum Cut gestylt wird, auch auf Partys wieder hipp. Immer mehr junge Menschen bestellen Zylinder in verrückten Farben. "Meine Kunden tragen ihn schon auch mal zur Bomberjacke“, sagt Cranz.

Hut mit Eichhörnchentotenkopf und Leucht-Augen, 580 €,  Julia Cranz

©lukas gansterer

"Auch Nachhaltigkeit wird bei Bestellungen wichtiger, deshalb verwenden wir Vintage-Stumpen, die wir umarbeiten, sowie bunte Wollfilze.“ Prosit Neujahr!

 

Florentina Welley

Über Florentina Welley

Mag. Florentina Welley schreibt seit 2006 als Lifestyle-Autorin über ihre Lieblingsthemen: Mode, Reise, Design und Kunst. Darüber hinaus konzipiert sie Shootings, kuratiert auch Kunst- und Designevents. Auch Film-Erfahrung hat sie, etwa als Co-Produzentin für den Spielfilm „Die toten Fische“, darüber hinaus ist sie in Werbung und Medien bekannt für Konzepte, Textierungen jeden Genres und Modeproduktionen samt Styling, Regieassistenz, Ausstattung und Kostümbild.

Kommentare