Vom Familienbetrieb bis zur Fashion Week: Tracht in Pacht & Barbie-Look
Schon ihre Vorfahren trugen Tracht. Heute ist diese aktueller denn je und der Familienbetrieb in Frauenhand 75 Jahre alt.
Von Ingrid Greisenegger
Enger Leib, weiter Rock, Schürze. Das ist die Essenz des Dirndls. Mit Form und Farbe darf man spielen, meint Anna Tostmann-Grosser, die gelernte Juristin, die vor mehr als 20 Jahren den gleichnamigen Betrieb von ihrer Mutter übernommen hat. Gexi, die, wie sie selbst gerne erzählt, nicht nähen kann, hat in Wien Volkskunde studiert.
Gexi kommt von Gesine. Ein ungewöhnlicher Name für eine ungewöhnliche Frau, die nicht nur über die Jahre hinweg dem Alltagsgewand von Mägden und Sennerinnen Salonstatus verpasste, sondern als begnadete Netzwerkerin auch kulturell und politisch auffällig wurde (so gehen beispielsweise die gelockerten Ladenöffnungszeiten klar auf ihr persönliches Konto).
Gesine wiederum hatte von ihrer Mutter Marlene übernommen, einer Modemacherin, die bei Meistern der Wiener Werkstätten gelernt hatte, bei Eduard Josef Wimmer-Wisgrill und Josef Hoffmann.
Schon seit damals ist alles, was das Tostmann-Label trägt, made in Austria, und zwar zu 100 Prozent. Aus hochwertigen Materialien, kein „Plastik“, wie die Seniorchefin betont. Von rund 100 Mitarbeiterinnen in Wien und im Stammhaus in Seewalchen wird genäht und verkauft, von Attersee-Ureinwohnerinnen bis hin zu afghanischen Lehrlingen.
Designer brauchen wir keinen, sagen die Tostmann-Frauen, das geschieht bei uns im Teamwork mit den hauseigenen Schnittmacherinnen. Es gibt zwei Kollektionen im Jahr, doch es wird auch laufend kreiert, individuell für die Kundschaft. Wer diese ist? „Tracht ist heute sehr stark eine „Anlasskleidung.“
Man gönnt sie sich gern dort, wo es festlich wird. Dann darf das Dirndl auch aus Seide sein, wo sonst schönes Leinen und Baumwolle dominieren. „Anna kreiert Dirndl auch ‘stadttauglich’, lobt Gexi Tostmann die Leistung der Tochter, „das sieht dann fesch aus, aber auch so, dass einem beim Gang durch die Innenstadt niemand nachjodelt.“ Und es gibt auch Moden innerhalb der Dirndlmode, sagt Anna Tostmann-Grosser. So wird jetzt anstelle der Schürze, eine Schärpe um die Taille getragen. Das ist eigentlich ein Stilbruch, aber eben beliebt.
Apropos Schürze. Hier knüpft zum Beispiel Gert Korentschnig im KURIER in einem Salzkammergut-Artikel mit einer ideologischen Frage an, indem er festhält: „Rechts oder links ist an einer Tracht nur, wo die Schürze beim Dirndl gebunden wird. Rechts bei verheirateten oder verlobten Frauen, links bei ungebundenen.“
Dass die Nazis die Tracht vereinnahmt haben, unter anderem als ‘Ehrenkleid der Väter’ oder ‘Heiligtümer der heimatlichen Scholle’, darf man nicht verdrängen“, sagt Gexi Tostmann, „sich das Tragen aber auch nicht vermiesen lassen.“ Und Anna zitiert André Heller: „Sie haben auch den Sonnenuntergang geliebt.“ Und überhaupt.
Bei den Tostmanns trugen die Ahnen schon Tracht, ehe diese von den Nazis vereinnahmt worden war. Entwarnung vor rechter Schieflage und Heimattümelei erreichte die Trachtenfans auch seitens der internationalen Haute Couture. Die Punk-Lady unter den Modedesignerinnen, die Britin Vivienne Westwood, und ihr österreichischer Mann Andreas Kronthaler waren den Tostmann-Frauen zugetan.
2017 holten sie gemeinsam entwickelte Dirndlmodelle auf den Laufsteg der Pariser Fashion Week. Die Modells trugen Dirndl-Mutationen und „Raschpatschen“ aus geflochtenem Seegras. Die große Hommage an Gesine Tostmann folgte bald danach in Gestalt des „Gexi Spencer Jackets“, das man heute noch online bei Westwood bestellen kann. Auch Margot Robbie posierte im pinken „Gexi Spencer“ (Bild unten) für den sehr erfolgreichen Film über die legendäre Barbiepuppe.
Billig ist das traditionsaffine Outfit nicht. Handwerk und Stoffqualität haben ihren Preis. Dafür braucht man aber nur wenige Exemplare in einem Leben (nur Gexi Tostmann selbst kann 365 Dirndl, für jeden Tag des Jahres eines, ihr Eigen nennen). „Es ist das Kleidungsstück der Stunde, im Sinn von Enkeltauglichkeit“, meint Tostmann, „wir schneidern das Dirndl gleich so, dass es weiter, enger, kürzer oder länger gemacht werden kann.
Mit einer neuen Schürze oder Schärpe sieht es gleich wieder anders aus. Es ist vielfach zu nutzen und gut vererbbar an die nächste Generation“. Angeregt von einem japanischen Kunden, der von zu Hause gewohnt war, fast überall Kleidung leihen zu können, statt sie im Koffer mitschleppen zu müssen, entstand dann das Angebot der „Tracht auf Pacht.“ Gegen eine Kaution und eine Mietgebühr (20 bis 30 Prozent vom Neupreis) kann man sich jederzeit trachtig ausstaffieren.
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