Der Bart vom Nikolo und der neue Trend "Dirtbag Moustache"

Die Kulturgeschichte des Bartes ist wechselhaft. Aktuell gilt: Hipster-Vollbart ist out, in ist jugendlich inspirierter Flaum.

Ho-ho-ho! Ein tiefrotes Gewand um den mächtigen Körper, dem nicht selten ein imposanter Wanst vorangeht. Eine hohe Bischofsmütze, die den Riesenkerl noch einmal ein ordentliches Stückerl größer macht. In der einen Hand den Bischofsstab als Symbol der Macht, in der anderen hoffentlich einen prall gefüllten Sack mit Geschenken. 

So steht er da, der Nikolo, am 6. Dezember in den Wohnzimmern dieser Welt. Manchmal steckt der Papa im Kostüm, dann wieder der Pfarrer, ein anderes Mal ein Student als Nebenjob. Eines ist aber sicher wie das Amen im Gebet: Im Gesicht trägt er selbstverständlich einen gigantischen Rauschebart, so lang wie die Wunschzettel der Kinder, die er besucht, so weiß wie Eis und so geheimnisvoll wie seine Historie.

Ein Bart wie ein Gedicht

Das Erscheinungsbild des rundlichen Gesellen ist aber, wie viele mittlerweile glauben, keineswegs die Erfindung der Coca-Cola-Company. 

Das Aussehen des Nikolo gründet sich auf die historische Person des Nikolaus von Myra, einem Bischof im 4. Jahrhundert in einer Region, die heute zur Türkei gehört. Die Mythen um seine Wunder und Wohltaten vermengten sich zu Bräuchen, die sich von der Verehrung des Heiligen immer mehr lösten und verweltlichten. 

Und so tragen auch zwei Gedichte viel zur Darstellung des Weihnachtsmannes mit seinem Rauschebart bei: Einerseits sind die Illustrationen des Gedichts "Old Santeclaus with Much Delight" von William B. Gilley von Bedeutung, andererseits die Verse in "The Night Before Christmas" von Clement Clarke Moore. Einen roten Mantel also benötigte der Mann, einen Rentierschlitten – und einen langen Bart. Das Schöne ist: Auch das historische Vorbild, das weiß man jetzt, trug die mächtige Gesichtsbehaarung.

Bartträger: Der heilige Nikolaus von Myra

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Der rekonstruierte Bart

Über die Jahre brachten allerlei wissenschaftliche Untersuchungen Erstaunliches ans Tageslicht. So wurde festgestellt, dass der Bischof Nikolaus 1,67 Meter groß war, an Arthritis litt und wahrscheinlich an chronischen Kopfschmerzen. Der britischen Anthropologin Caroline Wilkinson von Scotland Yard schließlich gelang es, mit moderner Computertechnik sein Gesicht zu rekonstruieren. Dabei stellte sie fest, dass er mit einer gebrochenen Nase durch die Welt ging – und dass er Bart trug.

Ein Gottesmann mit Bart: Nichts Ungewöhnliches, verknüpfte die Kulturgeschichte des Bartes sich doch immer wieder mit religiösen Sichtweisen (etwa gilt er als Zeichen der Frömmigkeit). Eine Auslegung, die dem modernen Bartträger meistens fremd ist. Wer sich heute einen Schnauzer oder Kinnbart stehen lässt, richtet sich dabei nach weltlichen Werten, die da Stylingtrend oder schlicht Art des Bartwuchses heißen.

Weihnachtsmann: Rauschebart muss sein

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Vermeintlich eitel war man jedoch schon viel früher. In der Bronzezeit wurden bei Bestattungen der Männer Messer und Spiegel beigegeben. Ein Hinweis darauf, von welcher Bedeutung das Design des Bartes damals wohl gewesen sein muss.

Pharaonin mit Bart

Im Alten Ägypten rasierte man sich glatt, um Reinheit zu demonstrieren – der Bart galt dafür aber als Statussymbol. Der berühmte Königsbart der Pharaonen war ein künstlicher Kinnbart, der etwa aus Materialien wie Gold oder Lapislazuli bestand und am rasierten Kinn mittels eines Riemens befestigt wurde. Getragen wurde er bei wichtigen Zeremonien und verkörperte hohen sozialen Status und Macht. Auch die weibliche Pharaonin Hatschepsut, die bis 1458 vor Christus herrschte, trug ihn. 

Bei den Griechen der Antike stand der Bart für Würde und Weisheit. Zeus schmückte sich in den Darstellungen selbstverständlich mit Rauschebart, und so taten es auch ehrwürdige Philosophen und Gelehrte. Wurde der jemandem abgeschnitten, dann als Bestrafung. Später kam der sogenannte Strategenbart auf, den Alexander der Große einführte. Er selbst trat mit glattem Kinn auf. Und das forderte der Eroberer auch von seinen Mannen ein – ein langer Bart sollte im Kampf nicht behindern und daher kurz gestutzt werden.

Bei den Römern wechselten die Moden. Erst rasierte man sich glatt, um seine Kultiviertheit zu betonen, bis Kaiser Hadrian dem ein Ende bereitete. Er war der erste römische Kaiser, der sich mit Vollbart abbilden ließ – weil er seine Bewunderung der griechischen Kultur auch durch sein Erscheinungsbild präsentiert wissen wollte.

Wie ein Herrscher seinen Bart trägt, wirkte sich oft stark auf sein Volk aus. Heinrich VIII. von England prägte den vollbärtigen Tudor-Bart, Peter der Große, Zar von Russland wiederum hielt Bärte für unzivilisiert, befahl per Gesetz die Rasur und forderte von allen, die dennoch Bart tragen wollten, eine Steuer ein. Auch der Franz Joseph-Bart, nach dem Kaiser von Österreich und Ungarn, trat in Mode beim Volk.

Flaumiger Bartschatten: Austin Butler trägt den "Dirtbag Moustache"

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Im Trend: Dirtbag Moustache

Heute liegen Bärte seit Langem wieder im Trend. Der neueste Hit ist der "Dirtbag Moustache" – ein adoleszenter Flaum, der sich über der Oberlippe dahinfläzt und manchmal auch über die Wangen huscht. Ganz wie das erste zarte Bärtchen, das sich bei einem Teenager abzeichnet. Eine Mode, der derzeit Hollywoodstars wie Jacob Elordi, Paul Mescal oder Timothée Chalamet huldigen – und auch all jene erfreuen wird, die sich bislang aufgrund schwachen Bartwuchses nie einen waschechten Vollbart wachsen lassen konnten. 

Jetzt ist der Anschein eines Bartes gefragt. Der omnipräsente Hipster-Rauschebart könnte damit fürs Erste ziemlich aus dem Alltagsbild verschwinden. Außer eben man ist der Nikolo.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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