Frau lässt sich die Wimpern machen

1,6 Mrd. Euro für Traumwimpern: Was hinter dem globalen Hype steckt

Von der geschönten Welt der sozialen Medien in den Alltag: Dichte, volle Wimpern liegen im Trend. Immer mehr sind gewillt, dafür künstlich nachzuhelfen.

Die Flüssigkeit am Augenlid ist überraschend kühl. Sie prickelt ganz leicht. Aber vielleicht ist das Einbildung. Immerhin soll diese Tinktur die Wimpernhärchen wachsen assen. Müsste man das nicht spüren? Jedenfalls soll man sie ganz nah am Wimpernansatz auftragen, wie einen Lidstrich. Und dann? Warten.

Trotz Models die bei den jüngsten Fashionshows von Dior, Givenchy, oder Loewe nahezu ohne Make-up über den Laufsteg schritten. Trotz Prognosen, dass heuer schlichte Schönheit und zarte Apfelbäckchen gefeiert werden. Trotz Stars die bei den Golden Globes auf natürliches Aussehen setzten: 

Der dramatische Augenaufschlag ist groß im Geschäft. Zu erfolgreich haben die Kardashians und die Beauty-Influencer auf Instagram den Traum der perfekten Wimpern in die Köpfe vieler modebewusster Frauen gesetzt. 

1,6 Milliarden Euro für perfekte Wimpern

Laut Marktforscher Polaris wurden 2023 weltweit 1,6 Milliarden Euro für falsche Wimpern ausgegeben. Diese Zahl soll jährlich um 7 Prozent steigern und sich bis 2032 auf 2,8 Milliarden Euro nahezu verdoppeln.

In Österreich bieten nicht nur Dutzende Beauty-Salons mittlerweile auch Wimpernbehandlungen an, es haben sich auch Dutzende eigene Wimpernstudios gebildet. 

Das Wifi Wien bietet den Diplom-Lehrgang zur Eyelash-Expertin gleich fünf, die Zusatzausbildung zum Lash Lifting drei Mal im Jahr an. Und selbst dann sind sie stets ausgebucht.

Der Wunsch nach Perfektion

"Es gibt einen unheimlichen Hype", bestätigt Kursleiterin Manuela Bici. Als sie vor zehn Jahren mit Wimpernverlängerungen begann, war das eine Nische. Damals wollten alle perfekte Nägel. Heute halten sich in ihrem Studio Wimpernverlängerungen mit Maniküren als erfolgreichste Dienstleistungen die Waage.

Der Grund dafür? "In den sozialen Medien sehen wir ständig perfekte Gesichter. Mit perfekter Nase, perfektem Mund, den perfekten Wangenknochen und eben den perfekten Augen." Während man sich eine Nasen-OP weder leisten kann oder möchte, sind dichte, volle Wimpern für viele ein Luxus, den man sich erlauben darf. 

Dabei soll es jedoch nicht mehr bombastisch, sondern fast schon natürlich wirken. Und so schneidert Manuela Bici jedes Paar maßgenau auf die Augenpartie ihrer Kundinnen zu.  

Emma Stone bei den Golden Globes Awards

©EPA/ALLISON DINNER

Wimpernverlängerungen sind im Trend

©Getty Images/iStockphoto/pashapixel/iStockphoto

Gefragt ist auch das Wimpernlifting, eine Art Dauerwelle für Wimpernhärchen. "Dadurch wirken die Wimpern länger und ausdrucksvoller und die Augen grösser, offener und strahlender", sagt die Wiener Make-up-Artistin Sigrid Thaler 

Und dann gibt es die immer größere Palette an DIY-Produkten im Drogeriemarkt. Wimpernkränzchen zum Selbst-Kleben. Wimpernseren zum Auftragen. "Wie verrückt" habe ein Serum ihre Wimpern wachsen lassen, offenbarte Schauspielerin Sydney Sweeney unlängst.

Für den maximalen Effekt

Wirklich? Aus Neugier wanderte so ein Serum in den Einkaufskorb. Nach einigen Wochen werden die Wimpern deutlich länger (wenn auch nicht unbedingt dichter). Es gibt Komplimente im Freundeskreis und der morgendliche Blick in den Spiegel ist – nicht, dass man es gerne zugibt – etwas wohlwollender.

Kursleiterin Manuela Bici

©Manuela Bici

Aber warum sind lange Wimpern so erstrebenswert? "Es hat mit dem Effekt zu tun", meint Make-up-Artistin Sigrid Thaler. "Wenn wir die Lippen und die Augen betonen dann nimmt man das am allermeisten wahr."  Manuela Bici nickt: "Die Augen sind einfach zentral, mitten im Gesicht. Schöne Augen faszinieren immer."

Seit jeher haben Frauen also diese Partie des Gesichts betont. Im alten Ägypten verwendeten Frauen einen "Kajal" aus Tierfett und Ruß. Im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts ließen sich Frauen eine feine Nadel mit dunklem Haar durch das kokain-betäubte Augenlid stechen. 

Fischhaut aufs Auge

Und 1901 stapelten sich am Friseurtresen des gebürtigen Deutschen Karl Nessler in London Papierschachteln mit unzähligen Karten.

Es gibt Komplimente im Freundeskreis und der morgendliche Blick in den Spiegel ist – nicht, dass man es gerne zugibt – etwas wohlwollender.

©Getty Images/stock_colors/iStockphoto

Auf jeder befand sich ein zartes Wimpernpaar auf einem Streifen Fischhaut, berichtete der Sheffield Daily Telegraph damals. Sie wurde den Kundinnen auf dem Augenlid mit einer Flüssigkeit verhaftet, die falschen Wimpern mit jenen der Frau vermischt. Wunderschön, sei das Ergebnis.

Ungeübt wird es unnatürlich

Aber ist das gesund? Abgesehen von einem unnatürlichen Aussehen bei ungeübter Anwendung können künstliche Wimpern Reizungen und Rötungen verursachen. Durch falsche Produkte können Allergien entstehen oder Wimpern ausfallen. Seren mit Hormonen können die Sehschärfe beeinträchtigen oder die Iris nachdunkeln lassen. 

"Wichtig ist, dass die Wimpernstylistin gut geschult ist", sagt Manuela Bici. "Dass sie Technik, Produkte, Inhaltsstoffe gut kennt." Und, ergänzt Sigrid Thaler, "sie braucht den Blick: Wie kann man die individuelle Schönheit unterstreichen."

Das Serum daheim ist erstmals nach hinten im Badezimmerschrank gewandert. Vielleicht kann sich der Trend zur schlichten Schönheit ja noch durchsetzen. 

Fake-Wimpern

©REUTERS/TINGSHU WANG
Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

Kommentare