Schrecklich oder cool? Die verpönte Ballonseide ist wieder hier
Seit wann das Gewebe in der Mode eingesetzt wird, was zuerst aus ihm geschneidert wurde und welche Botschaften man senden kann.
Der raschelnde Stoff sorgte nicht immer unbedingt für Knistern bei den Fashion-Aficionados.
Eigentlich war die Ballonseide in der Alltagsmode zeitweise ziemlich verpönt. Zu tief waren die Spuren, die Fußballer vergangener Zeiten hinterlassen haben. Statt wie heute sich in feinstem oder zumindest sauteurem Zwirn zu kleiden, traten sie gerne auch abseits des grünen Rasens mit weiten, federleichten Kunststoff-Trainingsjacken und -hosen auf. Dazu noch ein akkurater Vokuhila und einen prächtigen Schnauzer – fertig war das Kicker-Klischee.
Dass das Gewebe übel beleumundet war, liegt wohl auch daran, dass es sich beinahe jede Proll-Parodie watscheneinfach machte und nicht ohne auskommen wollte. Ungehobelte Menschen im Fernsehen, idealerweise wohnten sie im Ruhrpott oder in einem Arbeiterbezirk, trugen neben Badeschlapfen und Goldketterl fast immer bunt gemusterte Trainingsanzüge. In der holländischen Brachialhumor-Serie „New Kids“ über Männer aus dem Prekariat funktionierte das einige Jahre ziemlich gut.
Aber wie das so ist: Was einen schlechten Ruf hatte, wird wieder zum heißen Ding. Zuerst noch ironisch, dann bierernst. Zuletzt gesehen beim Schnurrbart und beim Vokuhila.
Trendige Jogginghosen
Ab den 2000ern tauchte der weiche, dicht gewebte Stoff auf den Fashion Shows wieder auf. Designer wie Alexander McQueen holten ihn aus der Schmuddelecke. Daneben sieht man seit geraumer Zeit bunte Trainingsjacken aus den Secondhand-Shops verstärkt auf der Straße. Jetzt ist auch die Trainingshose aus Ballonseide wieder voll da. Die Stücke heißen jetzt Parachute Pants, sind weit geschnitten und besonders bei Frauen beliebt. Die Style-Vorbilder der Gen Z wie Hailey Bieber oder Bella Hadid wurden in den vergangenen Monaten in den bequemen Beinkleidern abgelichtet. Sportartikelhersteller wie Edelmarken haben derzeit die luftigen Hosen im Angebot.
Ein wenig fühlt man sich in die Neunziger zurückversetzt, als MC Hammer im Video zu seinem Hit „U Can’t Touch This“ in einer Aladin-Pluderhose herumsprang. Oder als etwas später Mel C und Mel B der Spice Girls mit teils in Militärfarben gehaltenen Stücken „Girl Power“ propagierten. Oder als gegen Ende des Jahrzehnts junge Menschen mit weiten Schlaghosen die Tanzböden der Großraumdiscos bevölkerten.
Auf Höhenflug war die Ballonseide aber schon in den 80ern. Da sorgten knallbunte Skioveralls oder Dieter Bohlen nicht nur für Schrecken. Immerhin waren die Sportoutfits auf den Pisten omnipräsent wie das blonde Modern-Talking-Musikgehirn in Fernsehshows.
Erstmals für die Bekleidung eingesetzt wurde die Ballonseide während des Zweiten Weltkriegs. In den USA tauchten um 1943 die ersten Zeitungsartikel über unerschütterliche jungen Frauen auf, die nichts wegwarfen – auch nicht die Militärfallschirme, mit denen ihre Geliebten aus dem Flugzeug sprangen. Aus den hellen Stoffen entstanden Hochzeitskleider.
Am Ende des Kriegs setzte sich das auch in Europa fort. Überliefert ist die Lage in Landeck, als die Wehrmacht die Kaserne aufgab und sich Menschen Fallschirme schnappten. „Noch in den 1950er-Jahren waren in der Stadt glückliche Bräute und Mädchen anzutreffen, die Erwachsenen freuten sich über das Hochzeitskleid, die Kinder über das Gewand für die Erstkommunion, angefertigt aus der Ballonseide des geplünderten Wehrmachtsbestandes“, berichtet Horst Schreiber im Buch: „Endzeit: Krieg und Alltag in Tirol 1945“.
Präsident im Jogginganzug
Auch ohne den Stoff zu Anzügen umzunähen, kann man ihn zu feierlichen Anlässen tragen – wenn man ein autoritär regierender lateinamerikanischer Politiker ist. Venezuelas Staatspräsident Nicolás Maduro zeigt sich immer wieder im ballonseidenen Trainingsanzug. Bei seinem Wahlsieg 2013 jubilierte er in einem Exemplar, das in den Nationalfarben glänzte.
Durchaus ungewöhnlich, aber darin steckte doch jede Menge Symbolkraft. Die Süddeutsche Zeitung machte damals gleich dreierlei Aspekte aus: „Wer die Hingabe für das eigene Volk durch das möglichst großzügige Auftragen der Nationalfarben zeigen will, für den ist der Jogginganzug die einzige Möglichkeit. Denn so eine Trainingsklamotte in drei Farben ist zumindest noch einigermaßen vertretbar“, hieß es. Ein Maßanzug oder eine Militäruniform in drei Farben würden ihn eher wie einen Zirkusdirektor wirken lassen. Außerdem konnte er damit zeigen: Der Staatsmann ist ein Mann des Volkes. Und zuletzt erinnerte Maduro an seinen verstorbenen Vorgänger Hugo Chávez, der – entgegen seiner Taten – derart angezogen wie ein gemütlicher Opa wirkte.
Maduro überreichte bei einem Treffen auch einmal Fidel Castro einen Trainingsanzug in den venezolanischen Farben. Womöglich zog er ihn an – Kubas Staatschef zeigte sich in seinen letzten Lebensjahren auf Bildern im sportlichen Zweiteiler.
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