So funktioniert der Baustellen-Look als Street-Style
Es ist cool, Arbeitskluft im Schrank zu haben, die eine Geschichte erzählt, wie die französische Traditionsmarke Vétra.
Von Ingrid Greisenegger
"Wir waren unter den allerersten, die Baumwolle aus Bio-Anbau verwendeten", sagt Patrick Beerens, der mit seinen Söhnen das französische Familienunternehmen Vétra leitet, "und das schon seit mehr als 30 Jahren, als noch keiner wusste, dass es Biobaumwolle gibt".
Die Zeiten haben sich geändert. Es ist zwar heute erst eine kleine Gruppe von Kunden, die beim Kauf von Kleidung auch nach deren Nachhaltigkeit fragt. Doch das ehemals als reine Arbeitskleidung gedachte Vétra-Outfit liegt heute bei modebewussten, vor allem jungen Menschen, im Trend.
Urgroßvater Edouard hatte die Firma Vétra (Vétement de Travail, zu Deutsch Arbeitskleidung) 1927 im Herzen von Paris, auf der Ile Saint Louis, gegründet, um Arbeitskleidung für verschiedenste Berufsgruppen, vom Bauarbeiter über den Briefträger bis hin zum Beamten zu produzieren. Auch Uniformen für die Armee waren dabei.
Doch 1940 zerschnitt Edouard die Uniformen in Stücke und zerstörte seine Maschinen, weil er für die Nazi-Besatzung nicht liefern wollte. Für die Flucht in den Westen Frankreichs lud er nur die teuerste seiner Maschinen ins Auto. Später baute er einen Manufakturbetrieb in Lude auf. Dort hat dann die besagte Knopflochmaschine, nach geschätzten 917.000.000 erfolgreich gesetzten Knopflöchern, bis zum Jahr 2010 ihre Dienste geleistet.
Heute gibt es Vétra in der vierten Generation und mit 100 Jahren französischem "Savoir Faire". Die Funktion bestimmte die Form und die Ausführung. Zweinadel-Kappnähte, Riegelnähte, Verstärkungsschichten und vieles mehr garantierten den Arbeitern ein langlebiges Kleidungsstück aus robusten Stoffen.
Den Anfang machten Skater, Rapper, Hip-Hopper
Globaler Player wurde Vétra dann in den 1950 Jahren als das Unternehmen Arbeitskleidung für Ölfirmen oder Fluglinienpersonal produzierte. Doch es blieb nicht nur bei Kleidung für die Menschen auf Baustellen und in den Werkshallen. Heute beträgt dieses Segment bei Vétra nur noch 15 Prozent. Denn Arbeitskleidung ist Alltags-Outfit geworden. Nicht nur Skater, Rapper oder Hip-Hopper haben die "Workwear"-Brands (oft aus den USA, wie das Label Carhartt) als bequem, haltbar und leistbar entdeckt, sondern generell eine modebewusste Klientel, für die auch Vétra seine Klassiker adaptierte.
Schon in den 1970er und 1980er-Jahren waren in den USA, speziell in New York, Overalls und Latzhosen aus Baumwoll-Twill und im Fischgrätmuster aus dem Hause Vétra zu sehen. In Pastell oder in anderen für Arbeitskleidung ungewöhnlichen Farben. Gern wurden dazu gestreifte T-Shirts kombiniert.
Vorreiter Levi Strauss
Apropos, USA. Dort hatten die ab 1873 vom Schneider Jacob Davis und dem Stoffhändler Levi Strauss produzierten Jeans, jene Nietenhosen aus Segeltuch, später aus Denim (einem mit Indigo gefärbten derben Baumwollgewebe) ihren Weg von der Arbeitshose für Goldwäscher zur Mode-Ikone geschafft. Auch Vétra wollte sich einklinken. 1964 hat man ein Joint Venture mit Lee-Jeans in Erwägung gezogen, das dann aber nicht zustande kam, weil beide Unternehmen auf 51 Prozent der Kapitalanteile beharrten.
Ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre erzielte Vétra speziell in Japan mit der Neuinterpretation seiner hochwertigen Arbeiter-Klassiker Erfolge bei einem jungen, modisch anspruchsvollen urbanen Publikum. Heute verkauft man international in Concept Stores, nur ausgewählten Modeläden oder online.
Das Gegenteil von Fast Fashion
"Es geht um eine eher feine Kennerschaft", wie uns ein Wiener Kunde, kreativ tätig in einer Werbeagentur, erklärt, der in waldgrüner Vétra-Arbeitsjacke an seinem Schreibtisch sitzt. Diese ist keine Massenware, sondern das Gegenstück zu Fast Fashion, dem gängigen Wegwerfprodukt. "Die Jacke ist langlebig, was gute Arbeitskleidung auszeichnet", sagt der Connaisseur, "sie hat eine Story, die man sich erzählen kann, und ist komplett 'fabriqué en France', nicht in China“. Das allein hat schon Charme.
Kommentare