Als die Tutmanie in den „Roaring Twentys“ die Welt erfasste
Die Entdeckung des Grabes des jungen Pharaos am 4. November 1922 hatte enormen Einfluss auf die Populärkultur in der ganzen Welt.
Es gibt ja das Gerücht, dass King Tut einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte, dass Herbert Hoover 1928 zum US-Präsident gewählt wurde: Wahlkampfmanager rieten dem steifen und kühlen Republikaner mehrere Tausend Fotos zu unterschreiben, die ihn lächelnd mit seinem Lieblingshund zeigten. Der Name des belgischen Schäfers: King Tut.
Schon bald nach der Jahrhundertentdeckung 1922 war in Europa und den USA eine regelrechte „Tutmania“ ausgebrochen – ein heftiger Schub des dort seit Napoleons Feldzug an den Nil immer wieder grassierenden Altägypten-Fiebers. Ägyptische Motive tauchten auf Kleidern, Schmuck, Stoffen, Möbeln und in der Architektur auf; die Begeisterung für Tutanchamun wirkte auch auf Kunst und Kultur der 1920er-Jahre. Sogar ins Weiße Haus zog King Tut ein.
Es gab Zigaretten namens „Treasures from Tutankhamens Tomb“:
Parfums und deren Verpackungen verbreiteten den Zauber des Orients:
Cartier entwarf Broschen, Anhänger und Ohrringe, die sehr an altägyptische Schmuckstücke erinnerten:
Für den kleinen Geldbeutel gab es Spiele und Tarotkarten, denn jeder wollte ein wenig von Tut haben. In Kalifornien benannte die Johnston Fruit Company sogar Zitronen nach „King Tut“.
Vor allem Amerika war besessen vom Pharao. Der Bühnenmagier Charles Carter benannte sich in seinen ägyptisch angehauchten Werbespots nach dem Entdecker von Tutanchamun. Auf dem Plakat war zu lesen: „Carter der Große bringt die Geheimnisse der Sphinx und die Wunder des Grabes des alten Königs Tut der modernen Welt nahe“:
Die Entdeckung des Grabes zu Beginn der „Roaring Twentys“ folgte auf die globalen Umwälzungen des Ersten Weltkriegs. Die Massenmedien konnten die Nachrichten über die aus dem Grab getragenen Objekte schneller als je zuvor an ein breites Publikum weitergeben. Sogar die österreichische Provinz erreichte die Sensation. Im Dezember 1923 vermeldete etwa das Kärntner Tagblatt unter dem Titel „Ein ägyptisches „Königsgrab von märchenhafter Pracht“, dass wohl einer der bedeutendsten ägyptologischen Funde im gegenwärtigen Jahrhundert gemacht worden sei. Bei der Öffnung des Grabes habe sich den Anwesenden „ein herrliches Schauspiel dargeboten. Es wurden mit Elfenbein und Edelsteinen ausgelegte Ruhestätten und zahlreiche mit Jagdszenen bemalte Truhen, ein Dhron von bewunderungswürdiger Arbeit, mit Edelsteinen, Bildern und Königsstatuen geschmückt, vorgefunden.“
Im selben Jahr landete der Liedermacher Harry Von Tilzer mit Old King Tut einen der großen Hits seiner Zeit. Pharaonenzeit trifft Charleston – die Leute liebten es.
Genauso wie Claudette Colbert (unten). Ganz dem Zeitgeist folgend, trug sie nicht nur in ihrer Rolle als Kleopatra, sondern auch privat ein Satinkleid im ägyptischen Stil. Der mit Juwelen besetzte Kragen bestand aus diamantgeschliffenen Saphirsteinen in einem Lotusblumenmuster:
Dass die Strahlkraft von Tutanchamun über die Jahrzehnte um nichts nachgelassen hatte, zeigte sich, als der Schatz aus dem Grab 1976 durch die USA reiste. Aus Angst vor Diebstahl wurden die wertvollen Artefakte heimlich an Bord der U.S.S. Sylvania gebracht, wo sie inmitten von Kisten mit gekühlten Hamburger-Pattys gelagert wurden. In Washington angekommen, tourte die Sammlung inklusive Goldmaske durch Chicago, New Orleans, Los Angeles, Seattle und New York. Millionenpublikum inklusive. Der Ansturm war so gewaltig, dass sich die Leute bis zu zwölf Stunden um Tickets anstellten. 1978 produzierte der Komiker Steve Martin den Song „King Tut“, in dem er die langen Warteschlangen persiflierte. Ein Hit. „King Tut“ verkaufte sich mehr als eine Million Mal.
Tut-Hysterie 2.0.
Wie in den 1920ern war Tutanchamun auch jetzt überall: Weinetiketten zeigten die Kartuschen des Königs, Restaurants servierten Pharaos Fish. „In einem Restaurant in Washington gab es um 39 US-Dollar ein Spezialdinner Dine with the Pharaos – und 39 Dollar waren damals beträchtlich mehr als heute“, erinnert sich der Ägyptologe Zahi Hawass in seinem Buch „Auf den Spuren des Tutanchamuns“.
Bei manch einem kippte die Tutmanie gar ins Pathologische: So kreuzte in Los Angeles eine Frau mit Federkrone und ganz in Goldlamé gehüllt auf, um sich als Mutter von Tutanchamun vorzustellen. Sie soll ja nicht die Einzige sein, die seit der Entdeckung vor 100 Jahren meinte, in einem früheren Leben in Ägypten der Pharaonen gelebt zu haben.
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