Der Porno, den alle sehen wollten: 50 Jahre „Deep Throat“

Als sich die Menschen mit Popcorn ins Mainstream-Kino setzten, um einen Pornofilm zu schauen.

Ja, auch bei Pornofilmen gibt’s „Klassiker“ – vorrangig fällt Kennern dazu das Oeuvre „Deep Throat“ ein, das vor 50 Jahren gedreht wurde, 1972. Ein für damalige Verhältnisse expliziter Film zum mittlerweile Mainstream-Thema „Oralsex“. Der Unterschied zu heute: Der Streifen hatte eine (wenn auch recht simple) Handlung, im Gegensatz zu den eher stupiden Szenen vieler aktueller Pornos. Dass er seinerzeit als „Skandalfilm“ durch aller Munde ging, logisch. Für alle, die sich nicht mehr erinnern können, worum’s geht: Die etwa zwanzig Jahre alte Linda klagt über sexuelle Probleme, niemals hätte sie einen Höhepunkt erlebt. Folglich konsultiert die arme Frau auf Anraten ihrer Freundin einen Spezialisten, der feststellt, dass sie keine Klitoris hätte. Falsch: Die Klitoris sei zwar da, aber an einer ungewöhnlichen Stelle, nämlich in der Kehle der jungen Dame. Ab sofort widmet sich Linda hingebungsvoll ihrer sexuellen Erfüllung mittels Oralsex, daher der Titel des Films – übersetzt: „Tiefe Kehle“. Und weil’s so gut tut, geht sie in dieser Causa dem netten Onkel Doktor zur Hand, indem sie nicht nur ihm, sondern auch seinen Patienten Mundgeblasenes offeriert.

Der Low-Budget-Streifen (das Geld dafür stammte aus Mafia-Kreisen), in nur sechs Tagen abgedreht, wurde ein Mega-Erfolg, der 600 Millionen Dollar einspielte. Das Publikum war angetan und pilgerte massenhaft in die Mainstream-Kinos, darunter jede Menge Promis wie Frank Sinatra oder Warren Beatty. Der Anfang einer Welle, die heute als „Porn-Chic“ bekannt ist, auch: „Golden Age of Porn“. Jene Ära, in der es angesagt war, sich mit Popcorn ins Kino zu knotzen, um sich munteres Herumgeturne reinzuziehen. Alle, die „Deep Throat“ nicht gesehen hatten, galten als fad. Danach diskutierte man das Gesehene, als hätte man eine Doku über den Urknall betrachtet. Der Film gilt auch deshalb als Klassiker, weil über ihn bis heute noch nachgedacht wird, ob in der Sexualwissenschaft oder unter Filmexperten. In einer ARTE-Doku zum Thema meinte etwa der US-Historiker Whitney Strub, dass der Film zwar albern sei, zugleich seriös in Sachen Sexualität. Vor allem vor dem Hintergrund der damaligen sexuellen Revolution, die an Fahrt aufnahm. Deshalb wird die Klitoris-Kehle retrospektiv als Hinweis auf den weiblichen Orgasmus verstanden, um den sich zu dieser Zeit keiner scherte. Der Film bekam daher rasch den Stempel von „sexueller Befreiung“, die Katze war aus dem Sack – es folgte ein Porno-Mainstream-Boom.

Jene Ära, in der es angesagt war, sich mit Popcorn ins Kino zu knotzen, um sich munteres Herumgeturne reinzuziehen. Alle, die „Deep Throat“ nicht gesehen hatten, galten als fad.

Unschöne Umstände

Apropos „Befreiung“. Da gibt’s Zweifler, zumal die Hauptdarstellerin Linda Lovelace (echter Name: Linda Boreman) in ihrem Werk „Die Wahrheit über Deep Throat“ die näheren und sehr unschönen Umstände des Drehs outete, darin schrieb sie in Bezug auf ihren Ehemann: Machte es mir manchmal Freude? Gab es einen Moment der Lust? Ich möchte das so klar machen wie nur möglich: Es gab weder Freude noch Lust. Es gab keine Liebe, keine Zuneigung, keinen normalen Sex seit dem Tag, als mir Chuck Traynor begegnete bis zu dem Tag, als ich ihn endlich verlassen konnte. An der Seite der Feministin Gloria Steinem wurde sie später Aktivistin gegen sexuelle Gewalt und Pornografie, sie wurde in viele Talk-Shows geladen. Zum berühmtesten Pornofilm der Welt wurde im Jahr 2005 eine Doku veröffentlicht: „Inside Deep Throat“, das Unschöne rund um Lovelace sparte er aus. Lovelace starb im Alter von 53 an den Folgen eines Autounfalls. Sehr aufregen muss man sich über die Handlung von „Deep Throat“ naturgemäß nicht mehr – heute wird jede auch nur erdenklich mögliche Perversion den Laptop-Besitzern in aller Welt via Internet ins Gehirn gespült.

 

Historisches.

Wer denkt, Pornografie hätte mit der Erfindung des Films begonnen, irrt. Sie begann schon mit gezeichneten Bildern, aber im technischen SInn mit der Fotografie, bereits im 19. Jahrhundert, als  sich Menschen erstmals von einer Kamera ablichten ließen. Was typisch ist für das Genre – denn jeder technischen Neuentwicklung folgte auch der Bedarf nach expliziten Bildern. Daher ist die Geschichte der Pornografie nicht von der Entwicklung der Massenmedien zu lösen.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

Kommentare