Der Mann und seine Midlifecrisis: Es ist nur eine Phase, Hase

Männer zwischen Selbsttäuschung, Sex- und Sinnlosigkeit sowie Jugendwahn. Eine Zeit, die auch viele Chancen birgt.

Beigegrau statt bunt: Hätte er einen Pinsel, würde Leser K seinen Seelen-Status-quo in dieser Farbe malen, erzählt er. Seinen „Pinsel“ betreffend, umschreibt er das aktuelle Befinden so: „Es gab Zeiten, da bin ich mit einer Morgenlatte aufgewacht und hätte der Welt einen Hax’n ausreißen können. Da war Lebendigkeit, Verrücktheit und so viel Zukunft.“ Dabei träumt er von Nächten im Zelt, ohne Bandscheibendilemma und Lagerfeuerromantik samt Petting. Von Sex am Strand, als nebenan keine Deluxe-Suite mit Kingsize-Bett lockte. Oder von angekotzten Badewannen und gebrauchten Kondomen im Wohnzimmer, als er seinen 30er exzessiv feierte.

Und jetzt? Geburtstage begeht der reife Mann beim Italiener mit prämiertem Brunello. Das Höchste an Exzess ist ein schneller „Geht da noch was?“-Check in einer Bar. Das macht K fertig, den es gerade in die 50er-Kurve schleudert. Auf einmal weiß er nicht mehr, wer er ist. Als Mensch, als erotisches Wesen. Die Morgenlatte ist zwar immer noch da, doch die Projektionsfläche dafür fehlt. Ja eh, da wäre die Ehefrau, die Kinder sind erwachsen, man könnte quer durch die Wohnung vögeln. Tut man aber nicht. Warum? Vielleicht, weil alles getaktet und die Romantik an Netflix-Serien delegiert wird. Herz und Hirn stellen Fragen: War’s das? Ist da noch was? Die andere? Die anderen, gar? Da poppt rasch das Klischee des Midlife-krisengeschüttelten Mannes auf: Der sich als Sugardaddy mit Top-Gehaltsklasse inszeniert, um es der schnöden Welt noch einmal zu zeigen. Der mit hartem Body durch das neu getunte Leben surft, weil er jeden Tag gegen den Verfall im Fitnesscenter pumpt, bis der Arzt kommt. Und sein neues Spiegelbild genießt: Endlich wieder Mann in Sicht und kein Wrack in Endzeitstimmung, das den Begriff Sex nur mehr als Wort vom Scrabble-Brett kennt.

Mehr! Mehr Sex, mehr Weib und Wein, mehr alles. Man tindert und datet und trägt noch öfter weiße Sneakers. Allenfalls wird das Konzept „Frauentausch“ in Betracht gezogen, als Strategie gegen das drohende „Matt“.

Jugendliche Unverwundbarkeit

Und so schleudert’s manches Mannsbild zwischen 40 und 50 ganz schön herum. Diese Sinn- und Identitätskrise! Viele landen dabei in Trugbildern, weil sie an der Idee jugendlicher Unverwundbarkeit kleben bleiben, statt beherzt und reflektiert zu reifen. Viel lieber karikiert man sich als Jugend-Stilikone, einmal noch so tun wie 25! Im Glauben, dem Verfall durch das „Polieren“ von äußeren Lebensumständen etwas entgegenzusetzen, wird versucht, das Leben wie eine Zitrone auszupressen. Mehr! Mehr Sex, mehr Weib und Wein, mehr alles. Man tindert und datet und trägt noch öfter weiße Sneakers. Allenfalls wird das Konzept „Frauentausch“ in Betracht gezogen, als Strategie gegen das drohende „Matt“. Ein finales Aufbäumen der Romantik, wie es in „Der Tanz um die Lust“ von Ariadne von Schirach geschrieben steht: „Alles Scheiße hier, zukunftslos, nutzlos und sowieso hohl, falsch und nichtig. Aber du, Prinzessin, du allein und ich – wir beide“. Weiter: „Wahrscheinlich verbrauchen diese Herren einen ganzen Berg an Taschentüchern auf dem einsamen Weg ins fünfzigste Lebensjahr. Und Pornos.“

Ist das der einzige Ausweg? Natürlich nicht. Weil sich Pubertät nicht verlängern lässt und es niemandem (auch Frauen) steht, wenn man auf dem „Boulevard of Broken Dreams“ verzweifelt nach Kicks sucht, um sich von der Endlichkeit des Lebens abzulenken. Es gäbe viele Ansätze, diese Form- und Identitätskrise zu gestalten und zu nutzen. Etwa, indem der Mensch versucht, bei sich selbst anzukommen statt im Partyhimmel. Ja, auch mit Hilfe einer Therapie. Mit dem Ziel, sich selbst gelassener zu betrachten, zu wachsen, zu werden. Umfassender Wandel – auch sexuelle Wünsche betreffend. Dann wird klar, dass das Beste erst kommt. Auch deshalb, weil alles anders ist, als es früher einmal war. Gott sei Dank.

Wissen

Der Begriff „Midlife-Crisis“ wurde vom  Psychoanalytiker Elliott Jaques im Jahr 1957 geprägt.  Weltweit bekannt wurde das Wort  durch den feministischen Bestseller „In der Mitte des Lebens“ von Gail Sheehy. 1978 veröffentlichte der Psychologe Daniel Levinson das Sachbuch „Das Leben des Mannes“.  Darin beschrieb er die „zweite Adoleszenz“ von Männern und ihren Ausbruch als „Playboys“ aus dem Familienleben. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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