Sexualerziehung einst und heute: Wie sag’ Ich’s nur?

Blick zurück: Wieviel die eigene Sexualaufklärung mit der Aufklärung der Kinder zu tun hat.

Sex, Porno und die Freiheit der anderen – Was von der sexuellen Revolution blieb“: Ein bisserl nachdenklich ließ mich diese Doku auf 3sat unlängst zurück. Ich stellte mir ein paar Fragen: Wie war das mit meiner Aufklärung genau? Wer hat mir eigentlich erklärt, dass die Babys doch nicht vom Storch eingeflogen werden? Was habe ich damals gefühlt?

Da geht’s mir beinahe wie der 81-jährigen Wiener Schauspielerin Christa Schwertsik. Sie sprach in der Doku mit ihrer 22-jährigen Enkelin Fanny über Sex und erzählte, dass sie daheim keinerlei Aufklärung bekommen hätte. Ähnlich war’s bei mir. Irgendwann, ich glaube da war ich neun Jahre alt, fischte meine Mutter ein Buch aus dem Kasten – Titel: „Woher kommen die kleinen Buben und Mädchen?“ Dann sagte sie beiläufig: „Du liest ja so gerne, da hast!“ Immerhin. Was sie allerdings ausließ: dass sie mir bei allfälligen Fragen zur Verfügung stehen würde. Und so vertiefte ich mich in anatomische Zeichnungen von Geschlechtsteilen und biologische Fakten. Das 1961 erstmals erschienene Werk des Pädagogen Kurt Seelmann galt damals als „progressiv“ und wurde zum Aufklärungsklassiker. Insofern: Danke, Mama. Trotzdem schade, dass mir nie jemand sagte, dass das Kindermachen höchst angenehm sein kann und man den Koitus auch abseits des Baby-Bastelns hemmungslos genießen darf. Das alles musste ich mir im Alleingang erarbeiten.

Trotzdem schade, dass mir nie jemand sagte, dass das Kindermachen höchst angenehm sein kann und man den Koitus auch abseits des Baby-Bastelns hemmungslos genießen darf. Das alles musste ich mir im Alleingang erarbeiten.

Abstruse Mythen

Nur gut, dass während meiner Pubertät der „Geist der 1968er“ stark spürbar war, abseits rigider Moral und abstruser Mythen. Kein allzu schlechtes Gewissen beim Flaschendrehen und Petting. Trotzdem: Über Sexualität locker reden war nicht. So ging es vielen meiner Generation – mit sämtlichen Risiken, Nebenwirkungen und weitreichenden Folgen. Bis hin zur Aufklärung der eigenen Kinder. Auch mir stellte sich eines Tages die Frage, wie ich’s meinen Kindern sage. Und auch ich griff zu Büchern. Mein liebstes: „Mutter sag, wer macht die Kinder?“ von Janosch. Da konnte man lachen und drauflosplaudern, wie herrlich.

„Eigentlich ist das Begleiten von Kindern im Themenfeld Sexualität einfach. Es reicht, wenn Eltern sich in der akuten Erziehungsfrage rund um Körper, Liebe, Lust und Geschlecht in die eigene Kindheit zurückversetzen und sich fragen: Welcher klärende Satz, welche Reaktion hätte mir damals geholfen?“, schreibt Autorin Christiane Kolb im neuen Buch „Aufklärung von Anfang an“ (siehe Sexbox unten). Das ist ein wunderbarer Ansatz, und dennoch holpert’s da mitunter. Weil sich viele Mütter und Väter nicht bewusst sind, wie sehr sie von verinnerlichten Annahmen und Glaubenssätzen aus ihrer eigenen Kindheit geprägt sind – und ebenso vom damals üblichen Schweigen. Das verdeutlicht, wie wichtig es wäre, Eltern in diesen Fragen noch mehr zu unterstützen, weil – so Kolb – „Aufklärung auch bedeutet, etwas sichtbar zu machen, was zuvor im Dunklen lag.“ Ob Tabu, Gefahr oder die Faszination aufregender Gefühle: Sie ist überzeugt, im Hellen kommen wir besser damit zurecht. Zumal die Fragen in Sachen Sex immer komplexer werden – einerseits die vielen Möglichkeiten, andererseits Grenzen betreffend.

So betrachtet, sollten sich aufklärende Eltern fragen, welche Werte, Annahmen, Prägungen oder Gefühle sie ganz tief in sich tragen – und was davon sie womöglich an ihre Kinder weitergeben. Da geht es um Bewusstsein und das Aufspüren alter Denkmuster, verknüpft mit einem letzten „Blick zurück“, am besten ohne Zorn. Denn heute weiß ich, dass es meine Mutter nicht besser konnte, mit der Aufklärung. Aber sie hat das Beste daraus gemacht.

Lesetipp

„Warum hat mein Kind die Hand in seiner Hose?“, „Was treiben die Kleinen  in der Kuschelecke?“,  „Was sage ich, wenn mein Kind mich fragt, wie das Geschwisterchen in Mamas Bauch kam?“ Heikle Fragen brauchen mehr denn je gute und ehrliche Antworten, zumal sich  das Thema Sexualität  sehr gewandelt hat.  Das neue Buch „Aufklärung von Anfang an“ will Eltern dabei unterstützen. Verlag Kösel, € 20,60, erscheint Ende August.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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