Achtsamer Genuss beim Sex: So trainiert ihr Sinnlichkeit

Leben im Moment ist Übungssache, aber auch beim Sex eine tolle Erfahrung. Zum Beispiel als sinnliche Reise durch den Körper.

Eine Rosine mit allen Sinnen erkunden: Kennen Sie das? Könnten Sie das? Zumal die meisten von uns Dinge nur allzu gerne ruckzuck vernaschen, ohne tiefgehende Empfindungserfahrung. Was schade ist, wir versäumen so viel.

An dieser Stelle daher eine kompakte Anleitung der Achtsamkeitsübung: Man nehme eine Rosine in die Hand und betrachte das Goodie als wär’s ein kleines Wunder, das man zum allerersten Mal sieht. (für Rosinenhasser: Es kann auch eine Erdbeere sein, ein Stück Melone, irgendwas Feines halt)Wie fühlt es sich an? Wie wirkt es? Wie ist es beschaffen? Was daran erstaunt? Nun wird die Rosine/Erdbeere/was-auch-immer mit allen Sinnen erkundet. Mit der Nase, den Augen, den Fingern, dem „Herzen“, vielleicht auch mit den Ohren. Schließlich wird das Häppchen erst verkostet und dann verspeist. Aber nicht einfach nur so, sondern ganz langsam. Bevor es in den Mund geschoben wird, wird daran geleckt. Erst dann darf es auf der Zunge zergehen.

Wie spürt sich’s da an? Und dort? Was will berührt, massiert, gehegt oder gepflegt werden? Wo ist ein Ziehen? Ein Sehnen? Ein Wollen? Gibt’s Spannung? Erregung? Müdigkeit? Atmen, atmen, atmen!

Woll-Lust: Ich will das, ich will dich!

Klar, das ginge alles schneller – doch die Idee dieser Übung ist eine tiefe, achtsame Erfahrung des Genussmoments. Dieses „Im-Augenblick-sein-Können“ hat auch viel mit gutem Sex zu tun. Je präsenter wir sind, desto intensiver werden wir fühlen und erleben. Nix Huschpfusch, sondern ab in die Tiefen des Spürsinns. Mit Haut, Haar und allen uns zur Verfügung stehenden Sinneszellen und „Fühl“-Nerven. Eine Frage der Übung, zumal wir gewohnt sind, das Leben und Lieben im Eiltempo zu konsumieren. Ich will alles, und das sofort, meist gleichzeitig. Während wir vögeln, kann es dann schon einmal sein, dass wir gedanklich in die letzte Folge der vorletzten Staffel unserer Lieblingsserie abgleiten und uns einfällt, dass wir diesen Sommer lieber in die Berge statt ans Meer fahren wollen. Wir denken also, statt zu spüren, was da ist: der Atem, die Hitze, eine Hand, Feuchtigkeit, Geilheit, Sehnen, Brauchen und Wollen.

Apropos „Wollen“: Mir fällt dazu das wunderbare Wort „Wollust“ ein, als begehrendes, augenblickliches Sehnen nach Sexualität: Ich will dich! Ich will das! Umso mehr sollte Woll-Lust zelebriert werden. Am besten wir fangen gleich bei uns selbst an. Statt um die Rosine geht es nun um unseren Körper – von oben bis unten, von außen nach innen. Dafür machen wir es uns gemütlich (Kerze, gute Musik), setzen uns hin, schließen die Augen und reisen von einer Körperregion in die andere. Wie spürt sich’s da an? Und dort? Was will berührt, massiert, gehegt oder gepflegt werden? Wo ist ein Ziehen? Ein Sehnen? Ein Wollen? Gibt’s Spannung? Erregung? Müdigkeit? Atmen, atmen, atmen! Dann folgen wir einem Impuls: Welche Körperregion schreit am lautesten „hier“? Will berührt werden, eingeölt, gecremt, massiert? Nun geht die Fantasiereise weiter – indem wir uns vorstellen, wie jemand zupackt, hingreift und das tut, was wir brauchen. Fest oder zart, fordernd oder sanft. Verspannungen werden gelöst, erogene Zonen stimuliert – dabei atmen wir, seufzen wir und lassen uns in diese herrliche Vorstellung fallen. Es ist, als würde der Körper wachberührt werden und an Schönes erinnert – an das, was er wirklich mag. Die Idee ist es also, sich im Geiste liebkosen zu lassen und dabei besser kennenzulernen. Menschen, die auf diese Weise regelmäßig durch ihren Körper reisen und als fühlende, sehnende „Lust-Wesen“ auftanken, sind erotisch wacher. Eine Wachheit, die dazu führt, dass man sich noch viel mehr als sinnlich-sexuell empfindet. Das macht nicht nur sehr glücklich, sondern sehr begehrenswert. Ach ja: Die Rosinenübung geht auch wunderbar zu zweit, aber viel besser mit Erdbeeren :-)

Lesetipp

Sexualität ist etwas, das sich ein Leben lang verändert, abhängig von dem, was ein Mensch erlebt und tut. So entsteht eine „sexuelle Biografie“. Wichtig ist dabei vor allem, dass man sie gestaltet. Dazu gibt die  klinische Sexologin Nicole Siller in ihrem neuen Buch „Mein Sex, what else?“ jede Menge Anregungen, Lust und Sinnlichkeit immer wieder neu zu entdecken. Erscheint im Juni, Verlag Styria, 22 €

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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