Vulven sind überall: Warum der weibliche Intimbereich mehr in den Fokus rückt
Während der Phallus an Hausmauern, WC-Wänden oder Liftverkleidungen prangt, wird die Vulva nach wie vor gut versteckt. Das ändert sich gerade - auch wegen eines neuen Buchs.
Auf Hausmauern und Klos ist der Phallus omnipräsent – rasch hingeschmiert, gekritzelt, gesprayt. Und auch auf so manch alter Schulbank lacht einem ein kleiner, mehr oder weniger lustiger Pimmel entgegen. Aber was ist mit der Vulva?
Eine Frage, die sich die Berliner Stand-up-Comedienne Lisa Frischemeier stellt, und deshalb nun ein Buch mit dem Titel „I see Vulvas everywhere“ (Verlag Dumont, 18 €) herausgegeben hat. „Ob Kakteen, Kunstwerke oder Norman Fosters Erotic Gherkin in London – überall sehen wir phallische Objekte und erkennen sie als solche ... Bei Vulven könnte man fast glauben, sie wären erst vor kurzem erfunden worden, immer noch gibt es veraltete Biologie- und Medizinbücher, in denen ein männlicher Körper mit Penis und Hoden abgebildet ist und ein weiblicher Körper … mit Brüsten?!“, schreibt sie im Vorwort. Von Vulvalippen und Klitoris keine Spur, weil: Ist ja nicht so wichtig. Sowie: „Jungs haben einen Schniedel, Mädchen haben nichts.“ Dazu kommt, dass die Vulvabesitzerinnen selbst oft ein Problem haben, ihrem eigenen Genital liebevolle Zuwendung zu schenken – oder es korrekt zu bezeichnen. So betrachtet würde die Vulva auch sprachlich verleugnet und dauerhaft auf das Prinzip „Muschi“ heruntergebrochen. Öfter aber noch auf das Wort „Scham“ – siehe etwa: Schamlippen.
Frischemeier moniert darüber hinaus die visuelle Unterrepräsentation der Vulva. Ihr Buch ist insofern spannend, als die Künstlerin mit einem für das weibliche Genital sensibilisierten Blick durch die Welt gegangen ist und feststellte: Vulven sind überall. Am Wegesrand als sinnlich geformtes Astloch, in Form von Blumen, durchgeschnittenem Obst, Kakteen. Selbst die Rückenfalte einer beigen Lederjacke oder der Schlagobersgupf auf einem Pancake kann vulvaähnlich daherkommen. Frischemeiers Tipp: Einfach nur bewusst Ausschau halten, nach dem, was wir kennen, erkennen und sehen wollen. Das Buch ist aber nicht nur sehens-, sondern auch lesenswert – als weiterer wichtiger Beitrag zur Sichtbarmachung des Weiblichen.
Vulven sind überall. Am Wegesrand als sinnlich geformtes Astloch, in Form von Blumen, durchgeschnittenem Obst, Kakteen. Selbst die Rückenfalte einer beigen Lederjacke oder der Schlagobersgupf auf einem Pancake kann vulvaähnlich daherkommen.
Vulva aus Gips
Dazu passt perfekt, was die Wienerin Gloria Dimmel tut. Seit 2017 fertigt sie Vulva-Repliken aus Gips an, zuletzt sorgte sie bei der Schau „What the Fem“ im Linzer Nordico Museum für allerlei Aufregung. Dort bot sie zwei Workshops an, bei denen sich die Teilnehmerinnen einen elf Zentimeter großen Abdruck ihrer Vulven anfertigen und mit nach Hause nehmen konnten, verknüpft mit dem nicht ganz unwichtigen Tipp: „Frische Rasur wäre ideal.“ Weiters hat sie ein amüsantes Gedächtnisspiel entworfen, ebenfalls mit dem Ziel, auf das tabuisierte Thema Vulva aufmerksam zu machen und zu normalisieren. „Pussy Pairs“, auch „Mumury“ genannt, besteht aus 36 Karten, die Gipsabdrücke unterschiedlicher Vulven zeigen. Es gilt, die Paare zu finden. Ja, das mögen manche vielleicht belächeln. Wohl auch, weil die Vorstellung, Gäste, die man nett bekocht hat, nach dem Dessert zu einer spontanen Runde „Mumury“ zu animieren, etwas befremdlich wirkt.
Dabei geht es doch einfach nur darum, mit einem längst überholten Tabu zu brechen. Und um darüber nachzudenken, was an dem Thema nach wie vor so verstört oder irritiert. Auch verknüpft mit der Frage, weshalb so viele Frauen mit der Ästhetik ihrer Vulva ein Problem haben. Umso erfreulicher ist es, dass nun die dritte Auflage von „Pussy Pairs“ produziert werden konnte – ermöglicht durch ein Crowdfunding mit 166 Unterstützerinnen und Unterstützern. Im Sinne der Sichtbarmachung mit 18 neuen Abbildungen.
Körperbewusst.
Die Sexualpädagogin Cornelia Lindner (gefuehlsecht.at) ist auf das Thema frühkindliche Sexualität spezialisiert. Gemeinsam mit der Illustratorin Verena Tschemernjak hat sie das Buch „Wuschelkopf und Pupspopo“ geschrieben. Anschaulich werden Körperteile und ihre Namen zeitgemäß und in einfacher Sprache dargestellt, ohne veraltete Begriffe und heteronormative Darstellungen. Achse Verlag, 15 €
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