Mai ist Monat der Masturbation: Aber wer hat den Solosex erfunden?

„Ein Maitag ist ein kategorischer Imperativ der Freude“, dichtete Friedrich Hebbel und wusste nicht, dass die Menschheit etwa 180 Jahre später diesen Monat dem Thema „Masturbation“ widmen wird. Aber warum?

M wie Mai. Und Masturbation. Ja, genau: Seit 1995 wird im Wonnemonat die Selbstbefriedigung gefeiert. Das ist einer Ärztin namens Joycelyn Elders zu verdanken – die erste Schwarze an der Spitze der obersten US-Gesundheitsbehörde. Im Jahr 1994, auf einer Konferenz der Vereinten Nationen, sprach sie über Aids und wurde gefragt, wie sinnvoll es wäre, Masturbation zu fördern, um riskantes Sexualverhalten zu minimieren. Darauf meinte sie, Selbstbefriedigung gehöre zur menschlichen Sexualität und sollte gelehrt werden, O-Ton: „Aber wir haben unseren Kindern nicht einmal die Grundlage beigebracht.“ Sie sprach sich in Folge für mehr sexuelle Bildung aus. Das gefiel dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton gar nicht – noch im gleichen Jahr musste sie zurücktreten, worauf „Good Vibrations“, eine bekannte Sextoy-Firma, die sich intensiv um sexuelle Aufklärung bemühte, den 8. Mai zum „Tag der Masturbation“ ernannte. Die Idee: Ja zur Selbstliebe ohne Schuldgefühle. Was Bill Clinton einige Zeit später – Stichwort „Monicagate“ – dazu dachte, ist nicht überliefert.

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Bleibt offen, wer das Masturbieren entdeckt hat. Rein evolutionsbiologisch betrachtet macht das Selfservice wenig her – Arterhaltung geht anders. Möglicherweise war einem Neandertaler irgendwann fad, während er in der Savanne lag und in den Himmel starrte. Auf einmal begann er, an sich selbst herumzufummeln: Oh! Ah! Oha. Da tut sich was! Die Geburtsstunde der Onanie. Vielleicht war es ganz anders. Fix ist, dass es viele berühmte Freunde der gepflegten Masturbation gab – schon in der Antike. „Wenn es nur so einfach wäre, den Hunger durch Reiben des Bauches wegzufegen, wie es bei der Masturbation geschieht“, soll Diogenes von Sinope gesagt haben. Der alte Anarcho, der sich zum Schlafen und Wohnen in ein Fass zurückzog und überzeugt davon war, dass sich der Mensch von sämtlichen Zwängen frei machen müsse. Deshalb plädierte er für öffentliches Masturbieren. Amüsant ist, was der Schriftsteller Mark Twain zum Thema beitrug. Als bekennender Freund des Handbetriebs verfasste er die satirischen „Überlegungen zur Kunst der Onanie“, die er 1879 in Paris vortrug. Dafür dichtete er Prominenten erfundene Aussagen an, etwa Königin Elizabeth den Satz: „Sie ist das Bollwerk der Jungfräulichkeit.“ So ging’s dahin: „Homer ruft im zweiten Buch der Ilias mit feinem Enthusiasmus aus: ,Lasst mich masturbieren – oder sterben!’“

Korsette und Keuschheitsgürtel

Quer durch die Jahrhunderte hatte Selbstbefriedigung niemals einen guten Ruf, sie galt als „Ursache aller Übel“. Sie wissen schon, die Sache, von der die Menschen komplett verelenden und verblöden würden. Und so kam es immer wieder zu fanatischen Antimasturbationsfeldzügen mit entsprechenden Accessoires wie Korsette und Keuschheitsgürtel oder mit Stacheln versehene Penisringe, um das Onanieren zu unterbinden.

Und heute? Aus der Schmuddelecke ist das Masturbieren weitgehend raus, doch so richtig entspannt und locker wird immer noch nicht mit dem Thema „Selbstliebe“ umgegangen – auch nicht im Sexualunterricht. Und nein, dabei geht es nicht um gruppendynamische To-do-Anleitungen oder gemeinsames Stöhnen, sondern vielmehr um fundiertes Körperwissen, etwa die weibliche Klitoris betreffend. Außerdem schämen sich manche noch dafür. Man genießt, aber schweigt – vor allem in Partnerschaften. Dabei ist Solosex wie Wellness: entspannend und gesund. Ein Form von Selbstfürsorge. Und Selbsterfahrung. Wer masturbiert, weiß, was guttut. Und davon profitiert auch die Beziehung.

Gute Idee

„Sibels Journey“ heißt das erste deutsche, per Crowdfunding finanzierte, Lernspiel (auch auf Türkisch und in Englisch) zu Themen wie Geschlecht, Sexualität, Körper, persönliche Grenzen. Jugendliche  von 11-15  können sich interaktiv damit auseinandersetzen, ohne dass sie sich an  Erwachsene wenden müssen – zu Themen wie  eigener Körper, Normen, Grenzen, Vielfalt.  Im App-Store und bei Google Play um € 5,99

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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