Ein Paar sitzt an einem Tisch mit einem Scheidungsvertrag und Eheringen.

„Wann kann man das Spiel vor Gericht drehen?“

Zwei Anwälte, zwei Ansichten, eine Rechtslage: Das Wiener Duo erzählt Geschichten aus seiner Ehe, beantwortet Fragen, die uns im Alltag beschäftigen, erklärt, was vor Gericht zählt – und wie er oder sie die Causa sehen.

Der Fall: „Hoch wern mas nimma gwinnen“: So lautete die legendäre Antwort des Fußballers Toni Pfeffer auf die geistreiche Frage des Reporters im Halbzeit-Interview, was denn in der zweiten Spielhälfte für Österreich noch drinnen sei. Da das Nationalteam zur Pause gegen Spanien bereits mit 0:5 zurücklag, war es nicht überraschend, dass sich die ironische Prophezeiung bewahrheitete – mit 0:9 erlebte Österreich eines der schlimmsten Debakel in der Länderspielgeschichte. Doch nicht nur im Sport gibt es Situationen, in denen das Spiel gelaufen ist. Auch in Partnerschaften, sei es privater oder geschäftlicher Natur, kann der Punkt kommen, dass einfach nichts mehr geht, außer Streit vielleicht, aber oft nicht einmal mehr das. Wie man in solchen Situationen reagiert, ist nicht einfach, man will ja nicht unbedingt der sein, der den Schlussstrich zieht, aber halt auch nicht ins Hintertreffen geraten. 

Mag. Carmen Thornton 

In Beziehungen ist der „Point of no return“ selten klar erkennbar. Manchmal ist es ein großer Betrug, ein tiefer Vertrauensbruch, das Geständnis, dass jemand anderes im Spiel ist, oder der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Meist aber ist es ein schleichendes Scheitern auf Raten. Kleine Dinge – ein vergessenes Date, ein liebloser Kommentar, eine verächtliche Geste – bringen irgendwann das Fass zum Überlaufen.

Auf dem Weg dorthin gibt es mehrere Momente, in denen sich die Abwärtsspirale noch stoppen ließe: durch eine Paartherapie, ehrliche Gespräche, Hinschauen, Nachfragen, Bemühen. Besonders lohnenswert ist das, wenn Kinder im Spiel sind. Doch wer diese Momente verpasst, weil er unaufmerksam war oder sich von Emotionen leiten ließ, wird irgendwann erkennen, dass sich das Rad nicht mehr zurückdrehen lässt.

Zeitpunkt ist entscheidend

So schwer der Zeitpunkt des endgültigen Scheiterns auch zu bestimmen ist – rechtlich ist er entscheidend und kann bei einer Scheidung große Folgen haben. Denn bei der Verschuldensscheidung zählt nicht nur, welche Eheverfehlungen begangen wurden, sondern auch, ob sie zum Scheitern der Ehe beigetragen haben. Daher kann selbst eine außereheliche Beziehung im Verfahren keine große Rolle mehr spielen, wenn die Ehe zuvor schon „unheilbar zerrüttet“ war – wie es juristisch heißt.

Diese Rechtslage bringt viele in eine schwierige Lage: Verzeihen – oder lieber Unterhalt und Vermögen sichern? So wichtig es ist, an einer Ehe zu arbeiten – wenn das Vertrauen endgültig verloren ist, muss man sich den harten Tatsachen stellen. Dann geht es auch um finanzielle Fragen, um Unterhalts- und Aufteilungsansprüche, und damit oft um die eigene Existenz. Und hier gilt: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Vor Gericht zählt, was man beweisen kann. Wer rechtzeitig Beweise sammelt und eine Strategie hat, ist klar im Vorteil.

Eine Frau im roten Kleid lehnt an einer Wand in einem Bürogebäude.

Carmen Thornton ist Rechtsanwältin in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

In der Praxis erlebe ich immer wieder, dass Menschen sich lange nicht mit den Konsequenzen einer Trennung auseinandersetzen. Das ist menschlich verständlich, aber ein Nachteil. Die entscheidenden Weichen werden nicht im Gerichtssaal gestellt, sondern lange davor – idealerweise, bevor der andere erkennt, dass der Bruch endgültig ist.

Und wenn es schließlich zum Showdown kommt, gilt: Je früher ich meinen Standpunkt darlege, meine Argumente bringe und meine Wünsche äußere, desto besser wird das Ergebnis am Ende sein. Das gelingt am besten, wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen. Sowohl bei Vergleichsgesprächen als auch in Gerichtsverfahren sollte man sich frühzeitig einen klaren Überblick über die Situation verschaffen.

Ausnahmefälle

Vor Gericht ist es selten ratsam, Erlebnisse nach und nach zu schildern oder Beweise erst vorzulegen, wenn das Verfahren zu kippen droht. Wer zuerst seine Geschichte erzählt, hat die Deutungshoheit, der andere ist dann oft nur mehr damit beschäftigt, sich zu rechtfertigen und zu erklären, warum das alles nicht so war.

Nur in Ausnahmefällen ist es sinnvoll, die Gegenseite im Unklaren zu lassen, welche Beweise man hat – etwa, wenn der Partner vor Gericht lieber Märchen erzählt, als sich an Tatsachen zu halten. Dann kann eine kurzfristige Konfrontation mit unumstößlichen Beweisen helfen, Erinnerungslücken zu schließen und die Aussage des Gegners in geordnete Bahnen zu lenken. So kann man vor Gericht vielleicht noch einen letzten Sieg einfahren, selbst wenn man in der Liebe verloren hat. 

Mag. Johannes Kautz

Auch als Anwalt ist man bei der Übernahme eines Mandats mitunter geneigt, das Toni-Pfeffer-Zitat zu bemühen. Denn Auseinandersetzungen sind oft von Emotionen bestimmt, nicht nur im Familienrecht. Und wenn Entscheidungen getroffen werden, ohne die rechtlichen Konsequenzen zu bedenken, trägt das meist nicht dazu bei, dass sich die Chancen vor Gericht dadurch verbessern. 

Doch selbst wenn man gefühlt schon vor dem Anpfiff mit 0:5 im Rückstand ist, muss das nicht viel bedeuten. Denn Recht haben bedeutet nicht automatisch Recht bekommen. Das gilt für beide Seiten. Allerdings kommt auch vor Gericht irgendwann der Punkt, an dem das Spiel praktisch verloren – oder gewonnen ist. Und das ist nicht immer erst dann der Fall, wenn der Instanzenzug ausgeschöpft ist.

Wenn es auf Glaubwürdigkeit ankommt

Die Entscheidung darüber, was tatsächlich passiert ist, trifft das Gericht in erster Instanz nach freier Überzeugung und ohne dabei an strenge Beweisregeln gebunden zu sein. Nicht immer muss ein schriftlicher Beweis vorliegen, und eine Zeugenaussage ist auch nicht mehr oder weniger wert als die Aussage einer Partei. Es kommt nur darauf an, ob die Beweise das Gericht überzeugen. 

Was dabei zählt, sind der persönliche Eindruck und damit auch Emotionen. Wenn es keine objektiven Beweisergebnisse gibt und jeder eine völlig andere Version der Geschichte erzählt, macht oft das Bauchgefühl den Unterschied. Wer organisiert ist und seinen Standpunkt von Anfang an klar und verständlich darlegt, hat bessere Chancen als jemand, der in der Sache vielleicht recht hat, aber nicht in der Lage ist, seine Position zu erklären. Und schon der erste Schriftsatz, in dem jede Partei ihren Standpunkt darstellt, verschafft dem Gericht einen Eindruck von der Sache, der dann auch die weiteren Entscheidungen beeinflusst.

Ein Mann im Anzug lehnt an einer Wand in einem Bürogebäude.

Johannes Kautz ist Rechtsanwalt in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

Eingeschränkte Überprüfung 

Wenn das Erstgericht den Sachverhalt im Urteil festgestellt hat, bleibt es in der Regel dabei, denn das übergeordnete Gericht überprüft die Beweiswürdigung nur auf Plausibilität. Das Gericht muss nur begründen, warum es einer Partei geglaubt hat und der anderen nicht. Denn die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu erheben, bedeutet nicht, dass der Fall zur Gänze neu aufgerollt wird. 

Vor den Zivilgerichten können im Rechtsmittelverfahren keine neuen Tatsachen oder Beweismittel mehr vorgebracht werden. Und die höheren Gerichte bekommen die Menschen, um die es geht, nicht zu Gesicht, sie hören die Aussagen der Zeugen und der Parteien nicht persönlich, sondern überprüfen das Ersturteil nur anhand der Aktenlage.

Im Rechtsmittelverfahren können daher vor allem Rechtsfehler oder Verfahrensfehler geltend gemacht werden. Wer der Meinung ist, dass seine eigene Aussage in Wahrheit viel glaubwürdiger war als die der Gegenseite, wird mit einer Berufung wenig Chancen haben. Wurde hingegen ein wichtiger Zeuge nicht einvernommen, sieht die Sache schon anders aus. Denn auch wenn das Erstgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einzelner Beweisergebnisse sehr frei ist, darf es nicht einfach auf einen Zeugen verzichten, weil es der Meinung ist, dass der ohnehin nicht die Wahrheit sagen wird.

Letzte Instanz

Wurde eine Entscheidung in der Instanz einmal bestätigt, sind die Möglichkeiten noch eingeschränkter. Denn der Oberste Gerichtshof befasst sich nur mit grundlegenden Rechtsfragen. Nicht jeder Fall kann bis zum Höchstgericht gebracht werden.

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