Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl

Paaradox. Szenen einer Redaktions-Ehe: Schau mal, was da fährt!

Wie er bei der Reise ins Blaue begann, eine gar seltsame Vorliebe zu entwickeln – während sie erst Musik hörte, und dann doch nicht anders konnte, als mitzutun.

von Gabriele Kuhn & Michael Hufnagl

SIE:

Zugegeben, dass Verkehrsaufkommen auf der Fahrt ins sehr lange Wochenende war durchaus knackig – aber so verkrampft hätte der Mann gegenüber jetzt auch wieder nicht dreinschauen müssen. Daher dachte ich nach, worüber er nachdenken könnte: die aktuellen Fußballtransfers, wie er vielleicht doch noch die Welt retten könnte oder welches B-Action-Movie aus den 1990er-Jahren er sich als nächstes reinziehen würde. Ich tippte auf „American Ninja, 2“, danach fragte ich ihn: „Wieso schaust du dauernd so ernst, wo wir doch ins Schöne fahren?“

Unerwartetes

Erst räusperte er sich, dann servierte er mir folgende Antwort: Weißt, ich zähle Kfz-Länderkennzeichen. Im ersten Moment checkte ich nicht, was er meinte. Doch bevor ich nochmals nachfragen konnte, startete er eine großflächige Erklärung: Also, ich habe bereits Slowenien, Italien, Bulgarien, Schweiz, Deutschland, Belgien und Holland.

Super wären jetzt noch Serbien, Niederlande, Rumänien und irgendwas völlig Unerwartetes. Alles klar. Nun, ich weiß ja, dass er einen leichten Hang zum Zwängeln hat – so zählt er stets alle Stufen, die er auf dem Weg nach irgendwo steigen muss. Oder vermeidet es, beim Tennis auf die Linien zu treten, außer während des Spiels per se. Und er wäscht sich sehr, sehr oft die Hände.

Das jetzt war mir aber neu. Ich sagte also nur „Aha“ und versuchte mich zu entspannen, oder wie Therapeuten gerne sagen: „Bei mir zu bleiben“. Gelang leider nicht, weil ich von nun an ebenfalls finster und hoch konzentriert auf den Autoverkehr rund um uns blickte. In der Hoffnung, das völlig Unerwartete als Erste zu entdecken, um seine Sammlung mit einem extravaganten Letten, zum Beispiel, zu ergänzen. Genau – mich hatte ebenfalls der Ehrgeiz gepackt, er hat es tatsächlich geschafft, mich mit seinem Schwachsinn anzustecken. Den Rest der Fahrt führten wir daher eine bemerkenswerte Diskussion zum Thema „amtliche Kfz-Länderkennzeichen“ – und ja: Ich weiß jetzt auch nicht.

ER:

Gemeinsame Autofahrten bedeuten in der ersten halben Stunde immer Schweigen. Ich habe gelernt, dass es in dieser Startphase sinnlos ist, meine Frau in Dialoge zu verwickeln, weil sie gedanklich in einem Musikpalast verschwindet, zu dessen Türen ich keine Schlüssel besitze. Heißt: Sie verbindet ihr Handy mit dem Autoradio und sucht dann die (für sie) richtige Musikbegleitung. Dazu muss man wissen, dass der Song, der sich nicht in ihrem Fundus befindet, noch gar nicht komponiert wurde. Sie besitzt 43 so genannte Playlists, es können auch 71 oder 104 sein, das weiß nicht einmal sie. Es dauert daher ein Weilchen, ehe sie den Palast vom Ost- zum Westflügel, vom Turmzimmer bis zum Kellergewölbe tippend und wischend abgeschritten ist. Austro-Pop? 70er-Rock? Schlager? Barock? Klassik? Liebeslieder? Filmmusik? Das Angebot ist überdimensioniert, ihr Tüfteln dementsprechend angestrengt. Meistens wird es dann die Option Zufallsmix, was dazu führen kann, dass ich auf dem Weg in die Sommerfrische "Let it snow" mitsumme. 

 

BY-Entdeckung

In der Zwischenzeit konzentriere ich mich auf den Verkehr, und dabei habe ich allerlei Beobachtungsspiele entwickelt. Etwa, von wie vielen Autos ich als 130 km/h-Schleicher gesetzeswidrig überholt werde. Oder ich versuche, aus den zwei Anfangsbuchstaben der Nummerntafeln die Initialen berühmter Persönlichkeiten zu finden. Zuletzt sammelte ich via Kennzeichen Nationen – wie viele Länder entdecke ich bis zum Ziel? Als gnä Kuhn ihren Palast verließ, kommentierte sie mein Treiben: Ein bisserl strange, oder? Um Minuten später zu fragen: Hast du Dänemark schon? Und zwei Stunden danach auf einem Parkplatz atemlos zu berichten: Ich habe BY entdeckt. Keine Idee, was das ist, aber das muss auf deine Liste. Ich sagte: „Das gibt’s fix nicht.“ Sie googelte, fand BY als Code für Weißrussland und sprach triumphierend bis stolz: Tja, Reisen bildet. Und aus ihrer Playlist erklang: "Driving Home for Christmas".

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