Das rustikale Gilet

Das gewisse Extra: Gilets machen den Unterschied

Warum das Gilet 2025 das „Kleine Schwarze“ für Männer ist? Es ist der einfachste Weg, sofort besser angezogen auszusehen. Von Tweed über Streetstyle bis zum klassischen Dreiteiler,

Eigentlich braucht kein Mensch ein Gilet. Es wärmt nicht, es schützt nicht, es ist im Prinzip nur ein Stück Stoff, das man zwischen Hemd und Sakko klemmt. Aber genau darin liegt seine Größe: Das Gilet ist das unnötigste Kleidungsstück der Herrenmode – und vielleicht gerade deshalb das lässigste.

Wer’s trägt, setzt ein Statement. So wie Patrick Jane im "Mentalist", der schon vor fünfzehn Jahren im Dreiteiler durch die Polizeireviere schlenderte, während rundherum Polyesterhemden und Funktionsjacken dominierten. Sein Gilet machte ihn sofort sympathisch anachronistisch – und ein bisschen überheblich. Weil es genau das signalisiert: Ich bin besser angezogen als ihr, ohne dass ich mir dabei die Krawatte abschnüren muss. 

Und genau darum erlebt das Gilet gerade ein Comeback. Es hat keinen praktischen Nutzen – außer, dass es Männer schlanker, aufrechter und interessanter aussehen lässt. Und mal ehrlich: Welches andere Kleidungsstück kann das schon von sich behaupten?

The Mentalist

Ein bisschen frech, überheblich - und ein bisschen „out of time“: Mr. Patrick Jane in "The Mentalist"

©IMAGO/Newscom / GDA/IMAGO/Agencia el Universal

Man kann es auch so sehen: Das Gilet ist das Mode-Äquivalent zu einem Oldtimer in der Garage. Man braucht es nicht, aber wenn man es hat, wirkt man sofort interessanter. Es macht einen Anzug komplett – oder es macht alleine den Unterschied. Es ist das gewisse, vielleicht sogar entscheidende Extra. Ohne Gilet kann ein Mann auch „ordentlich“ angezogen sein. Mit Gilet: ein Gentleman, ein Gauner oder ein Genie!

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch:

  • Welche Modemacher auf das Gilet setzen
  • Von Spader bis Elordi - die lässigsten Style-Vorbilder
  • Das passende Gilet für jeden - zu jedem Preis

Von Königen und Kummerbäuchen

Charles II. von England führte 1666 das Gilet am Hof ein, um dem überladenen Pomp der Cavaliers ein Ende zu setzen. Klappte nur so mittel – die ersten Gilets waren prachtvoll bestickt, aus Samt und Brokat. Aber die Idee war geboren: Ein Kleidungsstück, das gleichzeitig Disziplin und Extravaganz signalisiert. 

Später kam dann Edward VII. ins Spiel. Der hatte einen üppigen Bauch und soll deshalb den untersten Knopf seines Gilets einfach offen gelassen haben. Aus Bequemlichkeit wurde Etikette – bis heute gilt „unterster Knopf offen lassen“ gemeinhin  als grundsätzliche Gentleman-Regel.

The Blacklist

Sogar, wenn er verhaftet wird, wirkt er souverän und überlegen: Superschurke "Red" Reddington (James Spader) in der Erfolgsserie "The Blacklist"

©ORF/David Giesbrecht

Und heute? Man muss keine Serien binge-watchen, um zu merken: Das Gilet ist längst wieder Popkultur. Andererseits hilft es schon, ein Auge aufs TV-Angebot zu werfen. Denn „Peaky Blinders“ hat das Gilet zum Markenzeichen der coolsten Gangster-Bande Englands  gemacht. 

Und auch in anderen Serien spielt es eine nicht zu unterschätzende Rolle: In „Blacklist“ trägt der geniale „Red“ Reddington (James Spader) fast immer Gilet oder Dreiteiler – und sieht dabei so aus, als hätte er jeden Raum schon vor zehn Minuten gekauft. Andrew Scott in „Ripley“ ist so so elegant, dass man sofort Lust bekommt, die eigene Steuererklärung zu fälschen und  in „Succession“ wirken Roman Roy und Tom Wambsgans darin so  überlegen  UND diskret, dass von Anfang an klar ist, wer sämtliche Machtspielchen gewinnen wird.  

So etwas färbt natürlich auch aufs echte Leben ab. Sam Heughan, der Star der Erfolgsserie „Outlander“ sieht privat in seinem rustikalen Tweed-Gilet derart nach britischem Land-Adel aus, dass man in seinem Umfeld automatisch ein Glas Single-Malt und einen brennenden Kamin vermutet – und ihn auf der Stelle ins „House of Lords“ setzen möchte. David Beckham ist schon seit Jahren ein wahrer „Dreiteiler-Gott“, dem mittlerweile auch Hollywood-Stars wie Ryan Gosling nacheifern. 

Und wenn’s um Bohemian Chic oder Streetstyle geht, wissen A$AP Rocky, Timothée Chalamet und Harry Styles ganz genau, wo das passende Gilet – Samt, Cord, Paisley-Muster – für jede Gelegenheit hängt.

➤ Hier mehr lesen: Womanizer-Erfinder Michael Lenke: "Orgasmus ist ein Grundrecht!"

Gilet Solo

Lässige Eleganz kombiniert mit  smartem Anachronismus. Das Gilet zum Hemd, ganz ohne Sakko, wirkt vielleicht ein bisschen überheblich – aber genau das macht’s auch charmant (Bild: StudioSuits).

©Hersteller

Ein Gilet ist also nicht nur Stoff, sondern Storytelling: Wer’s trägt, schreibt seine eigene Figur. Ein Gilet macht Männer anders – und zwar sichtbar. Es schneidet die Silhouette, zieht die Taille zusammen, streckt den Oberkörper. Plötzlich steht man aufrechter, wirkt fokussierter, kontrollierter. Selbst wenn man es nicht ist. 

Und ja, genau deshalb tragen es auch Hochstapler, Banker und Trickbetrüger so gern. Das Gilet ist eine kleine Machtmaschine – unscheinbar, aber wirkungsvoll. 

Klassischer Dreiteiler

Al Pacino in Der Pate II und Daniel Craig als Bond machten’s vor – heute sorgen Serien wie „Succession“ für Breitenwirkung.  Gentleman pur, zeitlos, smart – und überlegen (Bild: Hawes & Curtis).

©Hersteller

Ikonen & coole Angeber

Dass das Gilet aus der Mode kam, lag an der Bequemlichkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten Männer lockerer auftreten, und plötzlich war der Dreiteiler „zu viel“. Heute ist genau dieses „zu viel“ wieder spannend. Ein Gilet über T-Shirt? Funktioniert. Über Hoodie? Schon mal gesehen. Zum Anzug? Klar – dann aber bitte richtig, mit Selbstverständlichkeit, und nicht nur bei der Hochzeit.

Denn im Prinzip ist das Gilet selbst schon  längst wieder eine Rebellion: gegen den Einheitslook aus Chino und Poloshirt, gegen Casual Fridays, die längst zur Casual Week mutiert sind. 

Und von Al Pacino in "Der Pate II" über Prince, der es lieber ohne Hemd drunter trug, bis hin zu Daniel Craig als James Bond – das Gilet ist immer auch ein Angeberstück gewesen. Wer’s trägt, will gesehen werden. Aber: Es ist nie plump, nie so laut wie ein Hawaiihemd oder so demonstrativ wie eine Rolex. Das Gilet ist die smarte Art des Angebens.

Streetstyle / Casual

„Peaky Blinders meets Skater-Culture“:  Zeitgemäß geschnittene Gilets über T-Shirts oder Hoodie vermitteln ein wenig Rebellion und eine ordentliche Portion modische Ironie (Bild: Brentiny Paris).  

©Hersteller

Herrenschneider berichten längst von einer steigenden Nachfrage nach Dreiteilern. Junge Männer lassen sich wieder Maßgilets fertigen, weil es individueller wirkt als ein bloßes Sakko. Top-Designer wie Tom Ford setzen auf Smoking-Gilets auch ganz ohne Sakko, Labels wie Brioni, Hawes & Curtis oder Suitsupply machen Dreiteiler wieder relevant, britische Klassiker wie Oliver Brown, Hackett London oder Cordings sind mit ihrem rustikalen Chic plötzlich wieder top-angesagt. 

So sehr, dass auch US-Ikone Ralph Lauren Sakkos und Gilets entwirft, mit denen man praktisch in einem Landrover Defender über die Felder brettern MUSS.  

46-218507641

Britischer Country-Chic in Tweed. Zum Sakko mit klassischen Ellbogen-Patches – oder einfach so. Gioberti, ab 29 €

©Hersteller

Wir sehen also der Tatsache ins Auge: Das Gilet ist zurück. Und diesmal nicht, weil es praktisch wäre – sondern weil es völlig unpraktisch ist. Und genau  deshalb so unwiderstehlich.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare