Wie Paul Bocuse zum Jahrhundertkoch wurde
Buchautorin Ute Cohen hat ein Buch über Spitzenkoch Paul Bocuse geschrieben. Darin geht es nicht nur um seine Kochkünste, sondern auch um sein Privatleben.
Paul Bocuse (1926-2018) "war ein Aufsteiger, der sich nicht einem Programm unterjochen ließ": Ute Cohen, Autorin von "Der Geschmack der Freiheit - Eine Geschichte der Kulinarik" (Reclam), erklärt, wie der Jahrhundertkoch gewirkt hat.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur "spot on news" verrät die Schriftstellerin und Journalistin zudem, warum Bocuse auch in seinem Privatleben für Aufsehen sorgte.
In "Der Geschmack der Freiheit" widmen Sie sich der Geschichte der Kulinarik und unter anderem auch den Stars der Kochkunst. Paul Bocuse gilt als einer der größten Köche des 20. Jahrhunderts. Was war das Außergewöhnliche an seiner Person und seiner Küche?
Ute Cohen: Ah, Monsieur Paul! Er war ein widerspenstiger Geist, der sich in kein Schema pressen ließ, dabei aber auch einen ausgeprägten Geschäftssinn besaß. Als die Gastrokritiker Gault und Millau ihn zur Galionsfigur der Nouvelle Cuisine krönten, wussten sie nicht, dass er gleichzeitig deren Ende besiegeln würde. Bocuse - den gallischen Hahn hatte er sich auf den Arm tätowieren lassen! - hatte mit dem Intellektualismus und dem Minimalismus der neuen Kochszene nicht viel am Hut. Er war ein Aufsteiger, der sich nicht einem Programm unterjochen ließ.
Kulinarisch zeigte sich das auch darin, dass er den Geschmack der Kindheit und die Schlichtheit der Landküche zu verbinden wusste.
Hatte sein Auftreten und Image Auswirkungen darauf, wie sich nachfolgende Generationen von Koch-Superstars präsentierten und wahrgenommen wurden?
Ute Cohen: Oh ja, Bocuse war eine Art Role Model, ein Symbol dafür, dass man es schaffen kann. Seine Aufsteigerbiografie inspirierte viele aufstrebende Köche. Er hatte sich mit seinen Restaurants, Büchern, dem Kücheninstitut und erfolgreichem Merchandising ein Imperium aufgebaut, das er als machtbewusster Patriarch immer weiter ausdehnte.
Das war freilich eine Zeit, in der undogmatische Einzelgänger und Provokateure vielleicht etwas misstrauisch beäugt, aber in erster Linie bewundert wurden und den eigenen Geschäftssinn anstachelten. Seine Epigonen erkannten, dass man auf der Klaviatur der Provokation, sei es ästhetisch oder durch eine bestimmte Lebensweise, spielen musste, um durchzudringen im Business. Bei manch einem mag dabei auch die Kochkunst auf der Strecke geblieben sein. Auf andere wiederum wirkte des Meisters Kunst und Kenntnis ansteckend. Sie taten das, was Bocuse immer schon eigen war: Sie lassen sich von ihrer Nase und ihren Geschmacksknospen leiten, nicht von küchenpolitischen Maximen.
In Ihrem Buch heißt es, französischen Feministinnen sei Bocuse ein Dorn im Auge gewesen, weil er neben seiner Gattin weitere Lebensgefährtinnen hatte. "Gleichwohl könnte man ihn auch als Avantgardisten der Polyamorie bezeichnen (...)." Wie sehr standen die Frauen in Bocuses Leben mit ihm im Rampenlicht und wie haben sie seine Marke mitgeprägt?
Ute Cohen: Oh ja, Bocuse wurde ziemlich angefeindet wegen seiner Lebensweise. Bocuse, der sich einen Harem gönnt, Bocuse, der die Frauen im Schatten wirken lässt, während er selbst die große Bühne genießt! Man kann das aus einer dogmatischen feministischen Perspektive heraus so sehen, aber können wir auch in die Köpfe dieses Liebes- und Arbeitsensembles hineinschauen?
Sofern die Beteiligten zufrieden sind - mit diesem oder jenem Lebensstil - maße ich mir kein Urteil an. Die drei Frauen, mit denen er sein Leben teilte, gestalteten die Firmenexpansion jedenfalls maßgeblich mit. So leitete seine erste Gattin Raymonde Bocuses Flagship-Restaurant "L'Auberge du Pont de Collonges", seine dritte Frau Françoise gründete 1971 bereits die Firma "Les Produits Paul Bocuse".
Dass aber trotz dieses Versuchs, Business und Privatleben gut zu verbinden, nicht Friede, Freude, Eierkuchen herrschte, deutete Bocuse am Ende seines Lebens selbst an. In seiner Biografie schrieb er: "Ich bereue nichts, außer vielleicht den Schmerz, den ich den Frauen in meinem Leben zugefügt habe. Ich hoffe, dass sie mir verzeihen können".
Unter den Sterneköchen gibt es bis heute wenige Köchinnen. Woran liegt das?
Ute Cohen: Man ist natürlich in Versuchung, das Patriarchat und Sexismus dafür verantwortlich zu machen. Kommen wir damit aber weiter? Es ist meines Erachtens zu simpel, sich mit Stichwörtern zu begnügen. Mir geht es darum, die konkrete Arbeitssituation ins Auge zu fassen und gezielte Verbesserungen für Frauen, aber auch für Männer zu erringen. Ein Blick in die Historie ist dabei hilfreich: In der Küche wehte seit jeher ein rauer Wind. Es ging laut, hektisch und auch schmutzig zu. Erst die Köche Carême und Escoffier führten eine straffe Ordnung ein, klare Regeln, Hierarchien.
Escoffiers Küchenbrigade war vom Militär inspiriert, diese damals definierten Ränge gelten heute noch in Großküchen. Diese Küchendressur ist Frauen vielleicht fremder als Männern, die in vielen Bereichen des Lebens auf Hierarchien geeicht sind. Dass Männerbündisches und die Sicherung von Pfründen auch eine Rolle spielen für die geringere Präsenz von Frauen in der Haute Cuisine, spielt natürlich auch eine Rolle. Ich traue uns Frauen aber auch zu - und Beweise dafür gibt es inzwischen genug! - dass wir diese Verkrustungen aufbrechen. Letztlich wirkt sich das auch positiv für Männer aus, die ebenso unter dem enormen Druck leiden. Die Küche der Zukunft sollte keine Frage der Geschlechter, sondern des Menschlichen sein.
Welche Kulinarik-Trends setzen sich durch?
Ute Cohen: Oh, da tut sich eine Menge gerade! So wie unsere Gesellschaft im Wandel begriffen ist, verändert sich auch die Kulinarik. Ein wachsendes Nachhaltigkeitsbewusstsein wirkt sich auf die Produktionsbedingungen sowie auch den Handel aus, ebenso auf das gastronomische Angebot. Man spricht vom "New Glocal", von einer Re-Regionalisierung der globalisierten Lebensmittelwirtschaft. Biodiversität und Bodenregeneration spielen beim Anbau eine Rolle.
Kunden kaufen faire, ressourcenschonende Produkte, der Fleischkonsum geht zurück, die bereits seit Jahrzehnten übliche Word Cuisine entwickelt sich weiter zu neuen Fusion-Gerichten. Das wiederum stellt uns vor neue Herausforderungen: Wie können wir nicht nur einer elitären Schicht gesundes und schmackhaftes Essen ermöglichen, sondern eine naturverträgliche Genussküche für alle anbieten?
Dystopisch wäre eine Küche der Armen mit gesundheitsschädlichem Covenience Food, während sich eine Minderheit labt an Delikatessen. Ups, sind wir vielleicht gerade auf dem Weg dorthin? In meinem Buch beschreibe ich ja auch, inwiefern Essen Symptom einer gesellschaftlichen Schieflage sein kann und welche kulinarischen Utopien und Dystopien es in der Geschichte bereits gab. Das Gute ist: Jeder einzelne kann den Kochlöffel schwingen und damit auch - ha, ich bin eine unverbrüchliche Idealistin! - die Welt verändern (schmunzelt).
Kommentare