Food Report 2023: Das essen wir dieses Jahr
Trendforscherin Hanni Rützler prognostiziert mehr Spezialisierung – vor allem, was pflanzliche Ernährung betrifft.
Traditionelle Küche und veganes Leben – das geht sich für die meisten nicht aus. Zu hoch ist der Anteil an tierischen Produkten wie Butter, Eiern oder Käse in den heiß geliebten Rezepten, die von Oma und Mutter bekannt sind. Der seit Jahren anhaltende Trend zur rein pflanzlichen Ernährung spezialisiert sich dabei aber immer weiter, wie die Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler in ihrem aktuellen „Food Report 2023“ feststellt. Nach dem Weglassen tierischer Lebensmittel und der Entwicklung von Alternativen ist nun die Veganisierung klassischer, traditioneller Gerichte an der Reihe.
Langfristige Trends
Eine Entwicklung, die die Trendexpertin nicht überrascht. Sie sieht sogenannte „Trends“ nicht als schnelllebige Ereignisse, die sich nach ein oder zwei Jahren schon wieder selbst überlebt haben. In ihren jährlichen Reports gehe es „immer um größere Zeiträume“. Und das zeigt sich gerade in der erwähnten Weiterentwicklung der veganen Ernährung gut: Nicht nur die Lebensmittelindustrie reagiert längst mit Fleischalternativen aus pflanzlichen Grundstoffen auf die Wünsche der Konsumenten. „Die Ersatzprodukte werden immer raffinierter.“
Ebenso die Rezepte und kreativen Ideen von Köchen und Köchinnen, weshalb Rützler von „Veganizing Recipes“ spricht: „Veganisierte Rezepte werden in Zukunft zu einem selbstverständlichen Teil unserer Esskultur.“ Vegane Adaptionen von Leibspeisen kommen zudem „ohne lange Zutatenlisten“ aus.
Dennoch hänge es stark vom Stellenwert der traditionellen Esskultur in den einzelnen Ländern ab, ob und wie rasch alternative Fleischprodukte zum Mainstream werden. Und nicht nur Fleisch und Alternativen sind davon betroffen. „Erlernter Geschmack und eine lebenslange Gewöhnung an bestimmte Speisen sind große Hürden für eine Ernährungsumstellung.“
Eischnee vegan
Allerdings: Mit den richtigen Rezepten und Tipps ist nicht einmal ein auf Eischnee basierendes Mousse au Chocolat unmöglich. In der veganen Szene schwört man etwa auf „Aquafaba“, was so viel wie Bohnenwasser heißt. Es handelt sich dabei schlicht um die dickflüssige Flüssigkeit, die beim Kochen von Kichererbsen entsteht. Und auch Ei-Alternativen gibt es immer mehr „Dabei handelt es sich in der Regel um Pulver, die aus einer Mischung von Lupinenmehl, Tapioka, Kartoffel- oder Maisstärke bestehen“, erklärt Rützler.
Starke Dynamiken zeigen sich aber allgemein in der Nahrungsmittelindustrie.
Vernetzte Lebensmittelproduktion
„Die ökologischen Folgen einer hoch vernetzten globalisierten Lebensmittelproduktion geraten zunehmend ins öffentliche Bewusstsein“, konstatiert die Trendforscherin. „New Glocal“, eine Kreation aus „global“ und „lokal“, rückt den Fokus der Nahrungsmittelproduktion noch mehr auf Regionalität und Nachhaltigkeit. Da spielen nicht nur globale und lokale Aspekte eine Rolle, auch die Hierarchien verändern sich. Das werde auch Auswirkungen auf die Sortimentsgestaltung der Supermärkte haben, prognostiziert Rützler. „Nicht der günstigste Preis, sondern die lokale Verfügbarkeit werden zunehmend zu einem wichtigen Kriterium, ob Lebensmittel importiert werden oder nicht.“
Fast ist es ein Paradox: Die Lebensmittel können nicht regional genug sein, im Idealfall kennt man den Bauern seines Vertrauens auch persönlich. Gleichzeitig etabliert sich aber auch eine immer stärkere Internationalisierung auf der Ebene der Speisen selbst, konstatiert Hanni Rützler in ihrem zehnten Foodreport.
Dabei geht es aber nicht mehr darum, die authentischsten Curries oder Sushis zu erschmecken und in den eigenen Alltag zu integrieren. Rützler beobachtet eine „zunehmende Lust am Fusionieren und Vermischen von Küchenstilen und Küchentraditionen“.
Diese Internationalisierung der Speisepläne sieht sie als globales Phänomen – nicht zuletzt durch Social Media-Plattformen, Rezept-Datenbanken oder Food-Influencer: unkompliziertes Vermischen von Gerichten und Zutaten.
Nicht zuletzt stehen Nachhaltigkeit und Lebensmittel im Zentrum des dritten Foodtrends. „Regenerative Food“ beschreibt Visionen einer „gesünderen Agrarwirtschaft, mit gesünderen Böden für gesundes Essen“, erklärt Rützler. Auch dieser Trend ist nicht erst 2023 aufgetaucht. Immer mehr Menschen stellen sich die Frage, wie Lebensmittel produziert werden, wie groß ihr Anteil an der Klimakrise ist. „Es ist an der Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass Krisen das neue Normal sind.“ Was Rützler aber positiv sieht: „Einige Akteure sind endlich aus der Schockstarre aufgewacht und versuchen, die Chancen zu sehen.“ Das heiße unter anderem, konsequenter in die nachhaltigere Produktentwicklung zu gehen.
Rützler prognostiziert für die Zukunft übrigens noch mehr Regionalität. „Wie auch immer ‚Region‘ dann definiert wird – als Bundesland, Staat oder Europa. Darüber müssen sich Gesellschaft und Produzenten klar werden.“
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