Schauspielerin Johanna Wokalek: "Ich habe immer eine Neugierde"

Das ehemalige Ensemblemitglied des Burgtheaters, ROMY-nominiert als beliebteste Schauspielerin Film, überzeugte in „Die Macht der Kränkung“.

Paulus Manker rühmt sich, Johanna Wokalek entdeckt zu haben: Die Schauspielerin, 1975 in Freiburg im Breisgau geboren, spielte 1996 in der Uraufführung von „Alma – A Show Biz ans Ende“ die Titelrolle. Das stimmt schon, meint Johanna Wokalek. Denn sie studierte am Max-Reinhardt-Seminar, und er hätte dort ein Vorsprechen gemacht.

„Das Besondere an dieser Produktion war das völlig neue Format, eben dieses Stationendrama mit parallelen Handlungen“, sagt sie. „Ich kam zur Probe ins Sanatorium Purkersdorf – und wusste gar nicht, was ich spielen sollte. Paulus sagte nur: ,Du bist die Alma!‘ Das Tolle an ihm ist, dass er den anderen Beteiligten alles zutraut – wie er ja sich selbst alles zutraut. Das war eine tolle Herausforderung für junge Schauspielerinnen. Es braucht denjenigen oder diejenige, der einen ins kalte Wasser schubst.“

Dass Manker, wie man immer wieder hört, despotisch gewesen wäre, will Wokalek nicht bestätigen: „Wir sind nach wie vor befreundet, wir rufen uns an, wir gehen miteinander essen. Der Paulus ist der Paulus. Mehr kann man dazu nicht sagen.“

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Drei Jahre lang war Wokalek die Alma – und sie wirkte 1999 auch in der Verfilmung mit. Zudem spielte sie am Burgtheater in Mankers Regie die Polly in der „Dreigroschenoper“. Aber dann wollte sie Neues entdecken: „Ich habe immer eine Neugierde. Auch jetzt. Daher habe ich in den letzten Jahren in zwei Produktionen von Pina Bausch am Tanztheater Wuppertal mitgewirkt. Oder Oper. Dazwischen Film. Dieser Wechsel auch zwischen den Genres: Das interessiert mich.“

Am Burgtheater

Nach dem Studium folgte ein Dreijahresengagement am Theater Bonn. Wokalek spielte dort unter anderem die Titelrolle der Rose Bernd von Gerhart Hauptmann. Dann kehrte sie nach Wien zurück – als Ensemblemitglied des Burgtheaters. Mehrfach begeisterte sie in den Inszenierungen von Andrea Breth, darunter in „Das Käthchen von Heilbronn“ (2001), „Emilia Galotti“ (2003), „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (2004), „Don Carlos“ (2005) und „Zwischenfälle“ (2011).

2015 verließ Wokalek die Burg – und Wien: Sie ging mit ihrem Ehemann nach Hamburg. Denn Thomas Hengelbrock, einst Musikdirektor der Volksoper, war dort der Chef des NDR Sinfonieorchesters. Mitunter gab es gemeinsame Projekte, darunter die CD „Nachtwache“ mit Musik und Poesie der Romantik oder Henry Purcells „Dido und Aeneas“ bei den Salzburger Festspielen. „Normalerweise aber geht jeder seines Weges“, sagt Wokalek.

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Seit fünf Jahren leben die beiden mit ihrem Sohn in Paris. „Es war ein gemeinsamer Aufbruchsgedanke. Wir wollten in eine andere Sprache, in eine andere Kultur. Und das Wagnis wurde belohnt.“ Ihr Mann habe in Paris viel Arbeit, und sie sei gerade in Proben mit Krzysztof Warlikowski für die Leonard-Bernstein-Oper „A Quiet Place“, die am 7. März im Palais Garnier Premiere haben soll.

2019 kam sie als Gast wieder ans Burgtheater. Denn Andrea Breth inszenierte Gerhard Hauptmanns „Die Ratten“; Wokalek berührte als Frau John, die sich ein Kind wünscht. Sollte es wieder einmal ein Angebot geben, sei sie nicht abgeneigt, sagt Wokalek. Denn sie hänge nach wie vor an Wien: „Das Reinhardt Seminar und die Zeit am Burgtheater sind ein großer Teil meiner künstlerischen Biografie und meines Lebens. Ich bin nach wie vor sehr verbunden mit vielen Kolleginnen und Kollegen.“ Und mit Breth werde sie weiterarbeiten, es gäbe bereits Pläne.

Als RAF-Terroristin

Johanna Wokalek überzeugte auch in vielen Filmen: Für ihre Rolle als Lene im Heimatfilm „Hierankl“ erhielt sie 2003 den Bayerischen Filmpreis und den Adolf-Grimme-Preis, 2008 spielte sie in Bernd Eichingers „Der Baader Meinhof Komplex“ die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, 2009 die Hauptrolle in der Literaturverfilmung „Die Päpstin“, 2012 die Tiffany Blechschmid in „Anleitung zum Unglücklichsein“ und 2019 die Ditte Nansen in „Deutschstunde“ nach dem Roman von Siegfried Lenz.

Nominiert für die ROMY wurde Wokalek aber für ihre Rolle in der sechsteiligen, in Wien gedrehten Serie „Die Macht der Kränkung“: Ihre Darstellung der alleinerziehenden Mutter Sarah im zermürbenden Kampf mit dem Ex-Mann ist derart überzeugend, dass man der Figur durchaus zutraut, im Shoppingcenter Amok zu laufen.

Sie hätte sich sehr gut in die Rolle hineinfühlen können, sagt Wokalek: „Ich bin ja selbst Mutter – und bewundere daher alle alleinerziehenden Mütter über die Maßen. Für alles verantwortlich zu sein: Das ist kaum zu schaffen. Ich wollte diesen Zustand der Überforderung emotional nachvollziehbar machen.“

Als Sarah war sie hypernervös, fahrig, gereizt; als Sara hingegen erst kürzlich das glatte Gegenteil: Im „Tatort“ (er spielte in ihrer Geburtsstadt Freiburg) verkörperte sie eine Frau, die nach einem Gefängnisaufenthalt abgeklärt und ruhig ist – abgesehen von einem gelungenen Gewaltausbruch.

Die außergewöhnlichste Rolle sei aber sicher die der Gudrun Ensslin gewesen: „Sie war eine reale Person. Ich habe mich zur Vorbereitung sehr mit ihrer Biografie und der RAF auseinandergesetzt. Es ging darum, die extreme Absolutheit, die sie gelebt hat, fühlbar zu machen.“

Ob sie ein Faible für extreme Charaktere habe? „Ich habe mich schon auch ins Komödiantische begeben“, entgegnet Wokalek, die an der Seite von Til Schweiger in „Barfuss“ spielte. Aber ja: „Es ist schon reizvoll, sich in extreme Rollen zu begeben.“ Dass in den Figuren auch Facetten von ihr persönlich stecken, hält sie für möglich. Dennoch: „Im Prinzip entstehen sie aus der Vorstellungskraft, aus der Fantasie. Das finde ich auch das Faszinierende an der Schauspielerei.“

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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