Literatur

Patricia Highsmith: Ihr Seelenleben lag unter der Bettwäsche

18 Tage- und 38 Notizbücher sind gesprächiger als die Amerikanerin, die im Tessin in einer Festung lebte

Die Leute sollen sie in Ruhe reifen lassen, hat Patricia Highsmith gebeten. Wie alter Wein wollte sie werden.

Damals war sie 21.

Der alte Wein war dann gebrochen, zuletzt lebte die Amerikanerin aus Texas – weltberühmt durch ihren mörderischen Serienhelden Mr. Ripley – mit ihren Katzen in einer Festung im Tessin.

Allen misstraute sie und fuhr ihren Stachel aus. Kaum jemanden hielt sie aus. Und musste sie, wegen ihrer Bücher, mit der Außenwelt in Kontakt treten, antwortete sie oft nur mit Ja.

Oder mit Nein.

8.000 Seiten

Daniel Keel (Gründer des Schweizer Diogenes Verlags, 2011 gestorben) erinnerte sich: Ein Jahr habe er gebraucht, bis Patricia Highsmith zu einem richtigen Gespräch mit ihm bereit war.

Diogenes bekam die Weltrechte am Nachlass ... von dem ein Teil in Highsmiths Wäscheschrank gefunden wurde, kurz nach dem Tod der 74-Jährigen 1995. Unter der Bettwäsche holte ihre Lektorin Anna von Planta 8.000 gesprächige Seiten hervor, 18 Tage- und 38 Notizbücher, beginnend 1941 mit dem Satz „Here is my body“ – hier habt ihr das Ganze, meinen Körper; nicht bloß den Kopf, der ja ohnehin aus den Romanen über das Böse herausschaut.

Anna von Planta lässt uns nicht allein, wenn sie mit Patricia Highsmith von Jahr zu Jahr geht. Sie hat auf 1.300 Seiten reduziert, und weil sie die Schriftstellerin kannte, ist sie überrascht, wie glücklich und hungrig nach Leben und Liebe diese Frau anfangs war ... ehe Highsmith selbst vom großen Hass in ihr berichtete.

Guter Wagner

Liest sich gut. Hat, trotz viel Alkohol und vielen Affären mit anderen Frauen, wenig mit verbotenem Durchs-Schlüsselloch-Schauen zu tun. (Männer fand sie fantasielos, bei Richard Wagner ließ sie immerhin gelten: „Die Musik von Wagner – fast alles geeignet, um dazu miteinander zu schlafen.“)

Die Herausgabe des Privaten war nämlich eine abgemachte Sache. Patricia Highsmith sprach manchmal sogar die Leser gewissermaßen aus dem Grab an: „Ist Ihnen schon aufgefallen ..?“

Dass sie abwechselnd in vier Sprachen schrieb, sollte zunächst Neugierige fernhalten. Übersetzt haben Melanie Walz, Pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg.

Vorgezogenes Postscriptum 1) Den Piaristenkeller in Wien fand sie „anheimelnd“.

Vorgezogenes PS 2) Bei Peter Handke – es gab Sympathie auf beiden Seiten – stellte sie erfreut fest: „Peter hat das weiche Gesicht eines Mädchens.“

Zu Highsmiths Seelenleben gehört auch ihr immer stärker werdender Antisemitismus. Der Eintrag „Juden – warum stört mich andauernd irgendetwas an ihnen?“ (da war sie 23) wird zwar veröffentlicht, das meiste aber bekommt jetzt keine Bühne. Das ist durchaus verständlich, allerdings wäre ein begleitender Essay im Buch fürs Gesamtbild wünschenswert gewesen.

(Eintrag 12.3.1975:

„Paradoxerweise ist bessere Allgemeinbildung mit gesteigerter Dummheit verbunden.“)


Patricia Highsmith:
„Tage-und
Notizbücher“
Herausgegeben von
Anna von Planta.
Diogenes Verlag.
1.392 Seiten.
32,95 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Peter Pisa

Über Peter Pisa

Ab 1978 im KURIER, ab 1980 angestellt, seit November 2022 Urlaub bzw. danach Pension. Nach 25 Jahren KURIER-Gerichtsberichterstattung (Udo Proksch, Unterweger, Briefbomben) im Jahr 2006 ins Kultur-Ressort übersiedelt, um sich mit Schönerem zu beschäftigen. Zunächst nicht darauf gefasst gewesen, dass jedes Jahr an die 30.000 Romane erscheinen; und dass manche Autoren meinen, ihr Buch müsse unbedingt mehr als 1000 Seiten haben. Trotzdem der wunderbarste Beruf der Welt. Man wurde zwar immer kurzsichtiger, aber man gewann an Weitsicht. Waren die Augen geschwollen, dann Musik in wilder Mischung: Al Bowlly, Gustav Mahler, Schostakowitsch und immer Johnny Cash und Leonard Cohen.

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