Von Shogun bis J-Beauty: Warum uns die japanische Kultur so fasziniert

Die japanische Kultur zieht immer mehr Europäer in ihren Bann. Das hat einen Grund - und birgt auch Irrtümer.

Konnichiwa – guten Tag! Viele merken es derzeit: Der Ferne Osten ist uns neuerdings ganz nah. Japan und seine kulturellen Facetten liegen im Trend. Einen großen Teil dazu trägt die erfolgreiche Serie „Shogun“ bei, die im Internet und per Mundpropaganda eifrig diskutiert wird. Bildgewaltig fährt sie mit schwertschwingenden Samurais, geheimnisvollen Schönheiten und rätselhaften Ritualen rund um Ehre und Gemeinschaft auf. Mittendrin: Ein europäischer Held, der sich an die Sitten und Traditionen Japans des 17. Jahrhunderts erst gewöhnen muss. 

Ein „wahres Meisterwerk“ konstatiert das Time Magazine. Von einem „Serienhype“ spricht Die Zeit. Und auch der Streaminganbieter Disney+ meldet den Erfolg: Bereits die erste Folge verzeichnete neun Millionen Aufrufe. Damit katapultierte sich die Bestsellerverfilmung nach James Clavell auf Platz eins der Serien weltweit – und glänzt als populärkulturelles Aushängeschild der Stunde für die steigende Faszination an Japan.

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Japan als Gegenpol

Warum das Reich der aufgehenden Sonne dermaßen fasziniert? 

„Japan ist eine Projektionsfläche für Sehnsüchte nach einer homogenen Gesellschaft, wie sie die Leute in Europa als verloren glauben“, sagt Wolfram Manzenreiter, Professor für Japanologie und Vize-Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften. „Es gilt als Gegenpol zur Globalisierungswelle, durch die viele Gewissheiten dessen verloren gingen, was früher als beständig und gut wahrgenommen wurde“ - etwa traditionelle Verhaltensformen und Ästhetik.

So bunt und flashig sind Mangas - das gefällt: Die Umsätze haben sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht

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Die Präsenz Japans zeigt sich auch in Videospielen wie etwa dem Playstation 5-Actionspiel „Rise of the Ronin“ oder im Boom von Manga-Comics wie „Dragonball“. „In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Umsätze mit Manga am deutschsprachigen Markt vervierfacht“, so Kai-Steffen Schwarz, Programmleiter für Manga bei Carlsen Comics. Bei einem Gesamtumsatz der Comicbranche von 264 Millionen Euro entfiel auf Mangas laut Buchreport ein Anteil von 125 Millionen. 

Zudem finden Mangas den Weg ins Fernsehen: Netflix landete mit der 18 Millionen Euro-Verfilmung der Reihe „One Piece“ einen Hit. Als ausschlaggebend dafür hält Schwarz die zeichnerische Ästhetik, die emotionale Erzählform, durch die Leser sich mitten im Geschehen fühlen und die Fortsetzungsstrategie, durch die jeder Band nicht in sich abgeschlossen ist, sondern an den vorherigen anschließt. Auch die stetig wachsende Cosplay-Szene, bei der Fans sich als ihre Lieblingsfiguren aus Manga, Anime & Co mit teils selbst geschneiderten Gewändern verkleiden, sieht er positiv: „Cosplay ist ein Gemeinschaftserlebnis und unglaublich kreativ.“

Bei Cosplay (Abkürzung für "Costume Play“) verkleiden Fans sich als ihre Lieblingshelden aus Manga, Anime und Games

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Vom Sinn des Lebens

Die japanische Philosophie wiederum verspricht meist nicht weniger als Seelenfrieden. Ikigai heißt die Methode, mit der am stressigen Alltag verzweifelnde Europäer wieder Lebensfreude und innere Zufriedenheit erlangen sollen. Frei übersetzt bedeutet der Begriff „wofür es sich zu leben lohnt“ bzw. „wofür du morgens aufstehst.“

 Was ist wichtig für das eigene Glück? Ikigai soll das Leben entschleunigen und konzentriert sich auf vier Säulen: Leidenschaft (Was liebst du zu tun?), Berufung (Was kannst du gut?), Mission (Was ist dein Beitrag zur Welt?) und Beruf (Wofür kann man dich bezahlen?). Darüber hinaus soll es helfen, rund 100 Jahre alt zu werden. Ken Mogi landete 2020 mit „Ikigai. Die japanische Lebenskunst“ einen Bestseller. Mit „Nagomi – Der japanische Weg zu Harmonie und Lebensfreude“ zog er nach. Wieder wurde der Ratgeber des Neurowissenschaftlers ein Erfolg.

Leichtigkeit, Ausgeglichenheit, Wohlbefinden – die präsentierten Rezepte für den Sinn des Lebens überzeugen mit ihrer Schlichtheit. Und sind wohl gerade deshalb so einleuchtend. Der Glaube, dass die Japaner Zugang zu Geheimnissen der Existenz verfügen, die anderen vorenthalten sind, ist in Europa jedenfalls fest verankert. Wobei die meisten Stereotype, von besonderer Naturverbundenheit bis zur Beibehaltung traditioneller Ästhetik, an der Realität vorbeigehen, weiß Manzenreiter. 

Augen zu und Stress abbauen: Waldbaden setzt auf die Heilkraft der Natur

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Ob Zen, Ikigai, der ästhetische Minimalismus von Aufräumprofi Marie Kondo oder Stressabbau durch Waldbaden (Shinrin-yoku): Für den Japanologen werden damit oft marginale Traditionen eher beliebig, aber dafür verkaufsträchtig in philosophische Trendkonzepte übersetzt. Erfolgreich sind sie vor allem aufgrund der spirituellen Defizite des Westens, der Faszination des Unbekannten und der Mystifizierung Asiens. Aktuelle Probleme Japans würden dagegen gerne ausgeblendet – darunter die restriktive Abschottungspolitik oder extreme Überalterung der Gesellschaft.

Chado: Die Teezeremonie kann in Kursen erlernt werden und beruht auf Harmonie, Respekt, Reinheit und Stille

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Tee trinken und J-Beauty

Auch anderweitig ist Japan hierzulande angesagt. Die Teezeremonie (Chado), die Achtsamkeit in den Fokus rückt, erfreut sich in Kursen großer Beliebtheit. Der dabei zubereitete Matcha-Tee gilt ohnehin als Hipster-Genuss. Und auch in Sachen Schönheit mischt Japan vorne mit: Nach der K-Beauty aus Korea liegt J-Beauty im Trend und damit Pflegeöle und Peelings, welche die subtile Schönheit japanischer Frauen versprechen. Das Schönheitsideal nahezu porenfreier Haut wird Mochi-Hada genannt und beruht auf, erraten, als typisch japanisch geltenden Geheimnissen: traditionellen Wirkstoffen und dem Einklang von Körper und Geist.

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Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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