"Dua Lipa und Rita Ora wären im Kosovo keine Weltstars geworden"

Die Violoncellistin Rina Kaçinari erklärt, warum am Popstar-Himmel so eine hohe Dichte an jungen Frauen aus ihrem Heimatland herrscht.

Viele Menschen vom Balkan haben einen gemeinsamen Nenner: die bewegte Vergangenheit. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Auch Rina Kaçinari-Mikula hat eine Lebensgeschichte zu erzählen, die viele Umzüge beinhaltet. 

Die klassisch ausgebildete Musikerin, Tochter eines der ersten Komponisten und Dirigenten in Prishtina, zog ihrer großen Liebe wegen aus ihrer kosovarischen Heimat weg.

In Zagreb setzte sie ihre Ausbildung fort, nach sechs Jahren in Kroatien inskribierte sie an der Grazer Musikuniversität. Den ersten Job bekam sie aber in Maribor, wohin sie täglich von der steirischen Landeshauptstadt aus hin pendelte. 2006 kam sie schließlich - mit zwei Magisterabschlüssen und "frischer österreichischer Staatsbürgerschaft" - nach Wien. Heute unterrichtet sie in zwei Musikschulen und arbeitet als freischaffende Künstlerin.

Im Gespräch mit MEHR PLATZ erzählt sie darüber, warum sie ihre Heimat verlassen musste, wie sie jahrelang mit einer Serbin ein Duo bildete und wie der Kosovo von Dua Lipa und Rita Ora profitieren könnte.

Als Sie als 15-Jährige Prishtina verließen und nach Zagreb zogen, war Jugoslawien noch ganz, der Krieg noch fern. Was hat Sie denn ins Exil getrieben?

Rina Kaçinari: Ich bin nach Kroatien gesiedelt, weil ich keinen Cello-Lehrer mehr in Kosovo hatte. Das war damals der einzige Weg, um meine musikalische Ausbildung weiterzuverfolgen.

Was war passiert?

Mein Lehrer wurde krank und in den späten 80er Jahren wollte niemand für nur eine Schülerin einen Cello-Lehrer engagieren. Ich war alleine gelassen und gezwungen, woanders hinzugehen, wenn ich weiter Musik machen wollte. Das war mein Lebensweg. Andere junge Frauen hatten das Glück, gewollt oder ungewollt -  in den Ländern gelandet zu sein, wo ihr Talent entdeckt werden könnte.

Sie reden hier von bestimmten Künstlerinnen?

Ich rede beispielsweise von Rita Ora und Dua Lipa. Was viele nicht wissen: Diese beiden Pop-Stars kommen auch vom Kosovo. Ihre Eltern sind durch die Kriegswirren in den USA bzw. England gelandet.

©Wolf-Dieter Grabner
Wie stehen Sie den beiden gegenüber? Was ist Ihre fachliche Einschätzung?

Ich höre sie auch gerne, weil mich eines total interessiert: "Was ist dran an der Musik dieser jungen Frauen, die auf der ganzen Welt so gut ankommen?" Pop ist eben Pop, die Frauen sind bildhübsch, tolle Performerinen und singen gut. Ich persönlich mag die Stimme von Rita Ora mehr. Ich finde, sie hat eine spannendere Stimme. Bebe Rexha mag ich ebenso, weil sie selber komponiert und für andere Stars Lieder schreibt.

Wie ist das zu erklären, dass derzeit eine ganze Reihe an kosovarischstämmigen Stars am Popstar-Himmel mitmischen?

Ich werde tatsächlich ständig gefragt, wie es dazu kam, dass in so kurzer Zeit mit Rita Ora, Dua Lipa und Bebe Rexha gleich drei junge Damen mit Kosovo-Wurzeln nach ganz oben kamen. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass diese Kids nicht am Kosovo, sondern in England und den USA geboren wurden bzw. dort aufwuchsen. Diese Länder haben einfach eine viel längere und größere Popgeschichte als wir hier in diesem Teil Europas. Und ja, die Mädchen hatten das Glück, in diesen Ländern auf die Welt gekommen zu sein. Wir sind zwar ein talentiertes Volk, das Talent wird aber aufgrund von mehr Möglichkeiten eher im Ausland erkannt und gefördert.

Sprich, Dua Lipa und Rita Ora wären in Prishtina Nobodys geblieben ...

Ich glaube, damit jemand wirklich so bekannt wird, da müssen mehrere andere Faktoren in derselben Zeit zusammenkommen müssen. Das Talent allein reicht nicht. Die Studios, die Stimmlehrer, die ganzen Bedingungen sind in westlichen Ländern einfach viel besser. Also, eine Popakademie gibt es im Kosovo, so viel ich weiß, nicht. Höchstens Musik-Shows im TV, die aber auch aus dem Westen kommen. 

Rein pragmatisch gesehen: Täte Kosovo nicht gut daran, mit diesen Popstars Werbung für sich zu betreiben?

Durchaus vorstellbar. So könnte man zumindest Hoffnung schöpfen, dass Menschen etwas Positives über ein Land hören, das in Vergessenheit geraten oder in einem negativen Kontext bekannt ist. Kosovo ist ein wunderschönes Land mit sehr viel Gastfreundschaft und einer wunderschönen Natur. Es wird sowieso immer wichtiger im Tourismus werden. 

Wie wichtig ist den Kosovaren die Musik?

Ich glaube, in den letzten Jahrzehnten ist dort die Musik noch wichtiger geworden, weil man durch sie so manches leichter verdaut. Natürlich ist in dieser Zeit auch viel Mist-Musik (Tallava) entstanden. Das ist wiederum auch typisch für diese turbulenten Zeiten. Heutzutage ist es wahnsinnig leicht, eine CD aufzunehmen und die zu produzieren. Wenn man ein bisschen Geld hat, geht es ganz schnell.

Der Kosovo hat den Ruf eines ewigen Pulverfasses. Wie lebt es sich gerade dort?

Ich war Ende 2021 zum ersten Mal seit dem Pandemie-Ausbruch bei meiner Mutter in Prishtina. Meine eigene Sicht schildere ich an dieser Stelle nicht, aber die der Touristen, die aus Prishtina zurückkommen und mir davon erzählen. Sie würden alle wahnsinnig viel Herzlichkeit spüren, hätten alle wahnsinnig viele freundliche Menschen kennengelernt. Die Menschen unten führen tatsächlich ein superaktives Leben. Es gibt unglaublich viele Lokale, in denen sich alle treffen. Die Menschen leben viel mehr Nähe als hier. 

Apropos Nähe: Sie haben jahrelang ein aus politischer Sicht brisantes Duo mit einer Serbin gebildet ...

Ja, vor vielen Jahren gründete ich mit Jelena Popržan das Duo "Catch-Pop String-Strong". Wir haben unsere eigene Musik bzw. unsere eigenen Kompositionen gespielt - mit Bratsche, Cello und dazu unsere Stimmen. Das war zu der Zeit etwas Neues, etwas anderes, was es mit klassischen Instrumenten so in dieser Form nicht wirklich gab. Es ist sehr gut angekommen und ein großer Pluspunkt war, dass uns das österreichische Ministerium sehr unterstützt hat. Wir sind sehr viel gereist, von Usbekistan bis Mexico. Wir hatten die Möglichkeit, die ganze Welt zu bereisen und auf verschiedenen Festivals und verschiedene Bühnen aufzutreten.

Wie erklären Sie sich diesen Zuspruch von Ministerien?

Das war etwas ganz Neues. Zudem war unsere Musik wirklich eine Erfrischung. Sie wurde mit klassischen Instrumenten gespielt, aber die Musik war nicht wirklich klassisch. Es war spannend, auch für Menschen, die andere Musikrichtungen mögen und lieben. 

Haben Sie die Multi-Kulti-Karte bewusst gespielt?

Überhaupt nicht. Wir wussten zwar, dass es wie ein Projekt der Grünen aussah, mit dem Ziel, dass sich die Völker wieder gut vertragen. Wir haben uns aber zufällig bei einem Musical-Projekt in Graz kennengelernt. Die Zusammenarbeit hat sich auch zufällig ergeben, da wir beide in Wien lebten. Und das war harte Arbeit, etwas Neues zu kreieren - mit zwei Streichinstrumenten, wofür es kaum Literatur gibt. Das war die Herausforderung. Viele Jahre waren wir sehr viel und sehr gut unterwegs. Ich glaube, dass das in unseren Herkunftsländern so nicht möglich gewesen wäre.

Haben Sie jemals Gegenwind gespürt? 

Indirekt schon. Diese Sachen erfährt man aber nicht sofort. Dabei sind wir in Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Sarajevo, Prishtina - fast ganz Ex-Jugoslawien aufgetreten. Das war nie ein Problem, zumindest hat uns nie jemand etwas ins Gesicht gesagt. Erst dann, nachdem wir nicht mehr miteinander gespielt haben, erfährt man, dass es manchen nicht gepasst hat. Mir ging es aber hauptsächlich um die Musik. Es war jetzt Zufall, dass meine Partnerin nicht aus Tansania war, sondern aus Novi Sad.

Die zwei Kroaten Luka Šulić und Stjepan Hauser haben als 2Cellos Ihr Instrument in den Mainstream-Himmel gehievt. Könnten Sie sich diesen Weg auch vorstellen?

Die beiden sind top Cellisten. Sie hätten wahrscheinlich lieber eigene Musik gespielt, denke ich. Es ist leider schwer da herauszukommen, wenn man mit Bearbeitung von Hits beginnt und über Nacht bekannt wird. Dann erwartet die ganze Welt nur deine nächste Bearbeitung von Michael Jackson oder Sting. Es ist zwar super gespielt, aber genau das, was ich nie machen möchte: Jahrelang auf der ganzen Welt touren, in vollen Stadien spielen, dazu mit Musik von anderen. Das ist nicht meins. Ich weiß, dass ich mit meiner Musik am besten die Emotionen übertragen kann.

rinakacinari.com

Mirad Odobašić

Über Mirad Odobašić

In Bosnien-Herzegowina zur Welt gekommen, im deutschen Ruhrgebiet aufgewachsen, in Wien seit 2003. Bei KURIER.at seit 2007. Berichtet über den Balkan und die ausländischen Communitys in Wien. LIMVO LIKČE!

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