Doodle-Art: Aus Krixi, Kraxi wird plötzlich Kunst
Schon Urzeitmenschen und Leonardo da Vinci haben Doodles gekritzelt. Die Skizzen, die Menschen gedankenverloren aufs Papier bringen, sind mittlerweile eine eigene Kunstform.
Für Winston Churchill waren es die Flugzeuge, für Queen Victoria Esel, für Alexander Puschkin waren es Gesichter. Und Leonardo da Vinci mochte einfach alles. An Seitenrändern seiner Notizbücher kritzelte das Universalgenie zukunftsweisende Kreationen – etwa einen Roboter oder einen Hubschrauber. Menschen fertigen einfach mit Vorliebe ihre sogenannten Doodles an.
Die Kritzeleien, die wir mit einem Stift gerne auf ein Blatt Papier bannen, gelten oft als ein Produkt der geistigen Abwesenheit. Kringel, Zacken, Figuren entstehen so nebenbei, wenn wir telefonieren, in einem Meeting sind, oder einfach nur tagträumen.
Ein Stift, ein Blatt Papier und kreisende Gedanken: fertig ist das Doodle. Und das macht die Menschheit offenbar schon zigtausend Jahre. 73.000, um genau zu sein – so alt dürften die ersten von Urzeitmenschen angefertigten Kreidestriche in einer südafrikanischen Höhle sein. Forscher entdeckten auch in einer 1.300 Jahre alten Ausgabe des Neuen Testaments, das sich nun in der Bodleian Bibliothek in Oxford befindet, eingeritzte Schriftzeichen und schräge Gestalten. Der holländische Forscher Erik Kwakkel fand auch auf mittelalterlichen Manuskripten Karikaturen, comicartige Figuren oder geometrische Formen.
Sunni Brown, Autorin des Buches „The Doodle Revolution“, sagte einmal der BBC: „Dieses Verhalten ist universell. Es findet sich bei unterschiedlichen Kulturen und quer durch unterschiedliche Schichten. Es ist wie atmen, singen oder tanzen. Es ist etwas, das für Menschen ganz normal ist.“
Stress abbauen
Das Vorsichhinkritzeln reduziert Stress, verbessert das Kurzzeitgedächtnis und bereitet einfach nur ein angenehmes Gefühl. Laut Brown sei die Tätigkeit irgendwie befreiend. Doch die wichtigste Funktion sei, die Tür für die unbewusste Kreativität zu öffnen. „Man bestimmt das Ergebnis nicht von vornherein. Man erlaubt dem Geist, sich überall hinzuentfalten.“ Jeder Mensch habe dabei einen individuellen Stil.
Nicht immer passieren Doodles nebenbei und zufällig. Architekt Frank Gehry holt sich aus den geschwungenen Formen Ideen für seine Gebäude. Und seit einiger Zeit haben sich Doodles zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Grafiker arbeiten oft und gerne mit skizzenartigen Spielereien. Sam Cox aus England, besser bekannt als Mr. Doodle, bemalt ganze Häuser mit seinen Kreationen. Getränkekonzern und Lifestyle-Marke Red Bull streckt gerne die Fühler nach dem Zeitgeist aus und hat einen Doodle-Art-Wettbewerb ins Leben gerufen. Dabei lässt man Kreative aus unterschiedlichen Regionen mit Stift und einem Blatt Papier gegeneinander antreten.
Österreichs diesjährige Vertreterin beim großen Finale in Amsterdam war Sophia Wolff, die ein Wimmelbild abgeliefert hat, aus dem sich der Schriftzug Smile löst.
Kurz vor der Deadline hat sie das Bild eingeschickt. Normalerweise male sie anderes. Etwa schräg-düstere Szenen aus dem Alltag, die sie auf ihrer wohlklingenden Instagram-Seite shit_n_trash veröffentlicht. „Aber im Unterricht oder so nebenbei, das habe ich immer schon gemacht. Das macht ja jeder.“
Wie Tattoos
Die 22-Jährige hat 3-D-Animation und Visual Effects studiert. Ihre Ausbildung im Hintergrund merkt man dann schon auch bei ihrer Herangehensweise. „Prinzipiell sollte so ein Bild schon auf einer Komposition aufbauen. Wenn die steht, male ich, was mir in den Kopf kommt. Da gibt es nichts, worüber ich groß nachdenke.“ Wobei sie die klassischen Regeln des Bildaufbaus dann auch über Bord wirft. „Das muss man nicht machen. Immerhin macht es ja das Doodle aus, dass man einfach so losmalt.“
Ästhetisch erinnert das an die vielen kleineren und einfarbigen Tätowierungen, die man gerade auf den Körpern junger Menschen sieht. „Viele hingekritzelte Sachen ergeben in beiden Bereichen ein gutes Endergebnis.“ Und Tattoos und Doodles inspirieren sich ständig gegenseitig. Wolff selbst mag es richtig gedrängt. „Ich mache wirklich viele Details, sodass das Auge viel zu verarbeiten hat. Man soll eine halbe Stunde auf ein Bild schauen und immer noch etwas Neues entdecken können.“ Dem Auge will sie keine Pause gönnen. Das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner einzelnen Teile. Schon als Kind habe sie Bücher, die voll von Wimmelbildern waren, geliebt.
„Auch wenn ich größer male, werden die Details nicht größer.“ Für ein Bild, das lediglich 20 x 20 groß ist, werke sie gut und gerne sechs Stunden. Für ein A3-Bild können schon Wochen draufgehen. Anders als bei den Doodles aus dem Alltag fertig sie vorher auch eine Skizze an, die sie mit Tuschstiften vollendet. Da ist sie Perfektionistin.
Für die freizeit kreiert sie auf Wunsch etwas Sommerliches. In eine Sonne kommt ein Eis, ein Rad, ein Sonnenschirm, Obst und Bäume – alles, was ihr gerade so in den Sinn kommt.
Loslassen kann sie dann nicht. Sie gibt den Stift nicht weg, bevor sie nicht das Gefühl hat, das Bild sei halbwegs fertig.
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