Bilderbücher für die Kinder von gestern und die Erwachsenen von morgen

Das MAK zeigt anspruchsvoll gestaltete Druckwerke - von abstrakten Kunstprojekten bis zu illustrierten Märchen

Schauen, lesen, greifen und be-greifen: Sich in ein Bilderbuch zu vertiefen, ist eine ästhetische Erfahrung auf vielen Ebenen. Und obwohl dies jedem klar ist, besteht ein Missverhältnis zwischen dem Platz, den Bilderbücher im persönlichen Kanon wertvoller Dinge einnehmen (wer hütet nicht sein liebstes Buch aus der Kindheit wie einen Schatz?) und jenem Ort, der ihnen in der Hierarchie der Künste zukommt. Und das, obwohl namhafte Kunstschaffende das Buch als Medium nutzen.

Hier Balance zu schaffen, ist ein Anliegen der kleinen, aber gehaltvollen Ausstellung „Bilderbuchkunst“ im Wiener MAK (bis 5. 3. 2023). Das Museum verfügt selbst über eine umfangreiche Sammlung künstlerischer Bücher – nun lud man aber den Sammler Friedrich C. Heller ein, eine Auswahl an Museums- und Privatbeständen in dem ehemals als Direktionsbüro genutzten zentralen Saal zu arrangieren.

©Lawrence Weiner/MAK

Heller hat ein Faible für minimalistische Bücher, die mit wenigen Zeichen oder Zeichnungen die Fantasie auf Reisen schicken. Oft gelingt das über den Umgang mit Material: Etwa, wenn die Japanerin Katsumi Komagata Wolken durch ausgeschnittene Formen in unterschiedlichen Papieren darstellt oder die in England lebende Chisato Tamabayashi, ebenfalls auf Basis japanischer Traditionen, Regen mit feinsten Schnitten im Papier verbildlicht.

Kunst und Ware

Derlei handgefertigte Buch-Objekte entstehen nur in kleiner Zahl – doch der Kunstanspruch erstreckt sich durchaus auch auf Produkte, die in großer Auflage von Verlagen produziert werden, wie Kurator Heller erläutert.

Barbe-Bleue, 2007
Gestaltung und Text: Chiara Carrer

©Chiara Carrer/La Joie de Lire S.A., Genève

In seiner Auswahl verschwimmt letztlich die Grenze zwischen Büchern, die abstrakte Ideen und formale Konzepte ausloten und solchen, bei denen die Kunst irgendeine Art von Zweck erfüllt – etwa jenen, das ABC zu visualisieren.

Doch auch Bild-Geschichten im traditionelleren Sinn haben ihren Platz: So sind etwa mehrere unkonventionelle „Rotkäppchen“-Illustrationen in einer Vitrine versammelt, ein anderer Schaukasten widmet sich Büchern, die sich mit Krisen und Kriegen befassen.

Die etwas ausufernden Erklärtexte an den Pappstellwänden will man bei so viel Sinnlichkeit gar nicht lesen – die Lust am Vertiefen in die Bücher überwiegt. Dass diese nur in Vitrinen präsentiert werden, soll die Werke nicht nur schützen, sondern sie auch aufwerten und bei der Entschleunigung helfen, sagt die zuständige MAK-Kustodin Kathrin Pokorny-Nagel. Und tatsächlich: Inmitten des Blätterns und Scrollens im Alltag ist es eine Wohltat, minutenlang auf eine Buchseite zu starren.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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