Autorin Iris Blauensteiner im Interview: "Menschen wurden ersetzt“

Die Autorin und Filmemacherin schreibt über einen Jobverlust zu Beginn der Digitalisierung – und liest bei „Rund um die Burg“ aus „Atemhaut“.

„Es wurde Zeit für diesen Roman, in dieser Intensität, mit dieser Sprache“, schrieb KURIER-Literaturkritiker Peter Pisa. Dieser Roman, das ist „Atemhaut“ (Kremayr & Scheriau) der Wiener Filmemacherin und Autorin Iris Blauensteiner.

Es ist ein Roman, bei dessen Lektüre man sich ertappt fühlen darf: Es geht um einen Lagerarbeiter im Versandwesen, also um einen jener Menschen, die in der Pandemie auf Hochtouren arbeiten mussten, um anderen ein sicheres Leben zu ermöglichen. Da schaute man lieber weg (ja, man weiß von den Arbeitsbedingungen und von den Gehältern, aber man will es lieber nicht wissen).

Hier aber ist man noch nicht im Onlinehandel-Jetzt, sondern Ende der 90er-Jahre, als Edin im Sekretariat mitgeteilt bekommt, dass er nicht mehr mithalten kann. Weder körperlich noch mit den beginnenden digitalen Prozessen. Damals, sagt Blauensteiner im KURIER-Gespräch, „gab es immer mehr Austausch zwischen Mensch und Maschine – und auch mehr Konkurrenz. Menschen wurden ersetzt, veränderten ihre Identitäten und machten sich das auch zu Nutze.“

Rund um die Burg 2022

Lesungen
Das traditionelle Literaturfestival findet am Freitag (ab 14.45 Uhr) und Samstag (ab 10 Uhr) erstmals wieder live statt – bei freiem Eintritt im Café Landtmann. Dort gibt es auch die Möglichkeit, Bücher zu kaufen und signieren zu lassen. Die Lesungen werden zusätzlich live gestreamt:
rundumdieburg.at

 

Autorinnen
Es lesen u. a. Renate Welsh, Iris Blauensteiner, Chris Lohner, Christine de Grancy, Lilian Klebow und Anna Herzig

 

Und Autoren
Ebenso Daniel Wisser, Otto Brusatti, Doron Rabinovici  oder Michael Schottenberg

Leerstelle

Wie Edins Freundin, Vanessa, die den Computerkurs absolviert hat, den Edin versäumte – und Karriere macht. Edin aber wird ganz rasch gedemütigt: Ein paar Jahre nach dem Ende der Lehre kann er nicht mehr mithalten. Was macht das mit ihm? „Wenn sich Menschen sehr über Arbeit und Leistung definieren, dann beziehen sie daraus auch Würde“, sagt die Autorin. „Das ist Teil ihrer Selbstidentifikation. Wenn das weg ist, fehlt ein großer Teil. Es wird eine Leerstelle.“

Eine Leerstelle, die sich – das macht der Roman fast körperlich spürbar – in Edins Existenz einmischt, und auch nicht in das Leben passt, das ihm vorgegeben ist: eines, in dem man seinen Job nicht verlieren darf, in dem man etwas leisten muss. „Er hat sein Leben ganz klar in einer geraden Bahn gesehen, die auch die Generation vor ihm gefahren ist“, sagt die Autorin. „Ja, das ist eine Art Imperativ an ihn, sein Umfeld fordert das, wenn auch unbewusst. Und ja, er scheitert daran. Was aber nicht schlecht sein muss, weil dann kommt etwas Neues.“

©Marisa Vranješ

Das war für die Autorin, auch der Ursprung Edins als Hauptfigur: „Ich hatte begonnen, über eine WG zu schreiben“, sagt sie. „Eine der Figuren war Edin, und er hatte bestimmte Diskurse in sich: Arbeitslosigkeit, verbunden mit diesem Leistungswunsch, über den er sich definiert. Dann habe ich mich gefragt: Wann ist das entstanden? Und so bin ich auf seine jungen Jahre gekommen.“ Die verbringt Edin bald zwischen Jobsuche, Computerspielen und den neuen Fragen in seiner Beziehung. Am Ende steht, ohne zu viel zu verraten, ein besonderer Moment des Aufatmens. „Was ich gerne mag, sind poetische und realistische Erzählungen, also beides zugleich, auch wenn sich das vielleicht manchmal widerspricht“, sagt die Autorin mit einem Lachen.

Soundtrack

Zum Buch gibt es einen Soundtrack, den Blauensteiner mit der Klangkünstlerin Rojin Sharafi entwickelt hat und als „maschinelle Geräusche in Kontrast mit Menschlichem“ beschreibt (im Buch finden sich QR-Codes, mit denen die Klänge abgerufen werden können). Die erklingen nun auch bei der Lesung Blauensteiners bei „Rund um die Burg“.

Eins noch: Der zweite Roman gilt immer als der schwierigste. War das so? „Ja, ich habe mich auch gefürchtet“, sagt sie, abermals lachend. „Aber es war nicht so. Was nicht heißt, dass es leicht war.“ Und dann „tat es mir leid, dass es aus war“.

©Verlag
Georg Leyrer

Über Georg Leyrer

Seit 2015 Ressortleiter Kultur und Medien, seit 2010 beim KURIER, seit 2001 Kulturjournalist. Zuständig für alles, nichts und die Themen dazwischen: von Kunst über Musik bis hin zur Kulturpolitik. Motto: Das Interessanteste an Kultur ist, wie sie sich verändert.

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