Ein Korb voller Mistelzweige

Warum zu Weihnachten ein Mistelzweig über die Tür gehängt wird

Mistelzweigen wird seit Jahrhunderten magische und heilende Kräfte nachgesagt - heute gilt die Pflanze als Profiteurin des Klimawandels.

Misteln gelten seit Jahrhunderten als Symbol des Friedens, der Liebe und des ewigen Lebens. Zahlreiche Legenden ranken sich um das Familienmitglied der Sandelholzgewächse, das in vielen Regionen Europas und Nordamerikas als Weihnachtsschmuck beliebt ist.

Der trojanische Prinz Aeneas nutzte den immergrünen – auch im Winter blühenden – Zweig, um das Tor ins Totenreich zu öffnen. Die nordische Göttin Frigg, die Gemahlin von Odin, ließ alle Lebewesen und Steine schwören, ihren Sohn Balder niemals zu verletzen. Doch auf die Mistel hatte sie vergessen und so wurde ihr Sohn mit einer aus einem Mistelzweig gefertigten Waffe ermordet. Nach seinem Tod verwandelten sich die Tränen seiner Mutter in die weiß schimmernden Beeren. Aus Wut verbat Frigga der Mistel, jemals wieder den Boden zu berühren: Die Pflanze sollte nach dem Mord als Symbol für Frieden und Freundschaft dienen. Bei den Kelten war die Mistel wiederum ein Allheilmittel, das vor Krankheiten und Geistern schützen sollte, sowie nur mit Goldsicheln aus den Bäumen geschnitten werden durfte.

Liebe und Medizin

Diese Mythen erklären, warum Misteln über Türen hängen: „Denn wo Menschen aus- und eingehen, kann auch das Glück oder Unglück hereinkommen“, erklärt der deutsche Naturschutz-Experte Stefan Bosch. Anfang des 18. Jahrhunderts sei in England und Frankreich der Brauch entstanden, dass sich Liebende unter Misteln küssen. Nach jedem Kuss wurde eine Beere gepflückt: „Erst, wenn der Zweig vollständig abgepflückt ist, ist die Küsserei vorbei.“ Auch Heilkräfte werden dem Busch zugesprochen: Hildegard von Bingen beschrieb im Mittelalter die Wirkungen der „Birnbaum-Mistel“. Das Pulver sollte mit ebenso viel Süßholz vermischt und nüchtern eingenommen werden, um Schmerzen im Brustkorb und in der Lunge zu bekämpfen. Heutzutage werden tatsächlich Mistelpräparate zur Senkung des Blutdrucks oder in der begleitenden Behandlung von Krebs eingesetzt. Da Misteln leicht giftig sind und bei übermäßigem Verzehr u. a. Bauchschmerzen auslösen können, sollten Arzneien aber besser nicht selbst hergestellt werden.

Schmarotzer

In der Botanik gelten die weihnachtlichen Mistelzweige als Halbschmarotzer: Das Andocken an die Leitungsbahnen der Wirtspflanzen dauert laut Nabu rund ein Jahr. Zur Verbreitung bildet die Mistel weiße Scheinbeeren. Die klebrigen Samen werden von Vögeln über ihre Schnäbel oder ihren Kot an Wirtspflanzen abgestreift, die die Beeren fressen. Daher wohl auch der Ursprung des Namens: Das germanische mihst steht für Mist, Harn, Kot, Dünger.

Misteln können dann bis zu 70 Jahre alt werden. Werden sie im Sturm abgerissen, sterben sie nicht ab, sondern wachsen aus ihrem Stumpf nach. Jedes Jahr verzweigen sie sich beim Wachsen einmal, so dass man an der Zahl der Gabelungen ihr Alter ablesen kann.

Für alle Weihnachts-Fans gibt es eine gute Nachricht, denn die Pflanze gilt in Nordamerika, Australien und Mitteleuropa als Profiteurin des Klimawandels. Experten sehen die Ausbreitung allerdings kritisch, denn mit Hilfe von Saugwurzeln wachsen sie auf anderen Gehölzen und entziehen ihren Wirten Wasser und Nährstoffe.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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