Kritik

Henning Mankell, bereit für den ersten Wallander

Sein fast 45 Jahre alter Roman wurde erstmals übersetzt. Er ist sensibel und sozial und die Hölle

Zwei Jahre nach dem Krieg: Es kommt ein junger Mann aus Stockholm in den Norden Schwedens. Er heißt Bertil Kras und will sich umsehen, sagt er. Er hat niemanden mehr in der großen Stadt. Im Sägewerk nimmt er einen Job an. Es ist ein Familienunternehmen.

„Familienunternehmen sind nichts Gutes.“ – „Warum?“, fragt der Personalchef. „Es ist falsch, dass eine einzige Familie über so viel Geld und so viele Leute bestimmen kann.“

„So einer bist du also.“

„Ja.“

„Der Verrückte“ aus dem Jahr 1977 war der erste Roman von Henning Mankell, dem er Spannung mitgab. Für die Hauptfigur – fleißiger Arbeiter, der abends zwei Flaschen Bier trinkt und ab und zu tanzen möchte – wird der Neubeginn zur Reise in die Hölle aus Gerüchten und Verleumdungen. Das Sägewerk wird brennen, Bertil Kras gerät in Verdacht.

Verehrte Nazis

29 war Mankell. Und er war ziemlich „fertig“ – bereit schon damals für „Mörder ohne Gesicht“, den ersten Wallander-Krimi, der 14 Jahre später kommen sollte.
Der Verrückte“ – so sensibel, so sozial – ist sprachlich sehr genau: Sogar bei den Holzsesseln, die Mankell erwähnt, schreibt er dazu, dass sie auf den Beinen Gummikappen haben.
Es überrascht, dass dieses Buch erst jetzt, fast 45 Jahre nach Veröffentlichung in Schweden, übersetzt wurde.

Bei beiden vorangegangenen Romanen „Der Sprengmeister“ (war Mankells Debüt im Alter von 24) und „Der Sandmaler“ suchte er noch, wie er Geschichtsbewusstsein und Engagement für mehr Menschlichkeit am besten verpacken sollte.
Der gar nicht Verrückte Bertil Kras schließt sich einer Gruppe „Roter“ an, die 1947 erreichen wollen, dass die „Braunen“ zur Rechenschaft gezogen werden (unter ihnen der Polizeichef, der Sägewerksbesitzer ...) Es war nämlich im Ort, während die Deutschen Finnland und Norwegen besetzten, von ihnen ein Lager errichtet worden, in das „politisch Unzuverlässliche“ gesperrt wurden.

Schweden war zwar neutral, aber es gab nicht wenige, die mit den Nazis sympathisierten bzw. sie verehrten. Bertil Kras, vom Leben durchgebeutelt, denkt: „Ich muss die Zeit begreifen, in der ich lebe.“ Henning Mankell bemüht sich, ihn zu retten.

 

KURIER-Wertung: ****

Zsolnay Verlag

Der Verrückte

€ 26,95

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Peter Pisa

Über Peter Pisa

Ab 1978 im KURIER, ab 1980 angestellt, seit November 2022 Urlaub bzw. danach Pension. Nach 25 Jahren KURIER-Gerichtsberichterstattung (Udo Proksch, Unterweger, Briefbomben) im Jahr 2006 ins Kultur-Ressort übersiedelt, um sich mit Schönerem zu beschäftigen. Zunächst nicht darauf gefasst gewesen, dass jedes Jahr an die 30.000 Romane erscheinen; und dass manche Autoren meinen, ihr Buch müsse unbedingt mehr als 1000 Seiten haben. Trotzdem der wunderbarste Beruf der Welt. Man wurde zwar immer kurzsichtiger, aber man gewann an Weitsicht. Waren die Augen geschwollen, dann Musik in wilder Mischung: Al Bowlly, Gustav Mahler, Schostakowitsch und immer Johnny Cash und Leonard Cohen.

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