Symbolbild: Schimpfen im Auto

Warum fluchen wir im Auto viel häufiger als sonst?

Verflixt & zugenäht: Was dahinter steckt, dass wir beim Autofahren so gerne auszucken.

Schon seit längerem glaube ich, dass ein Auto bloß ein Charaktertest auf vier Rädern ist. Die Kraxn bringt zum Vorschein, was hinter unserer blendend aussehenden Fassade noch alles verborgen liegt. Nicht immer hätte man das unbedingt wissen müssen. Manchmal lässt es sich halt nicht vermeiden. Man steigt zu jemandem ins Auto, die Tür macht klack, und unversehens schnappt die Falle zu.

Ich erinnere mich an einen Klassenkollegen, der in der Schule schweigsam wie ein Trappistenmönch und lammfromm wie Buddha war. Aber wehe, man ist zu ihm ins Auto gestiegen. Auf Teufel komm raus wurde überholt, als hätte Niki Lauda aus der letzten Reihe gestartet und es deshalb ein bissl eilig. Unmotivierte Vollbremsungen ließen die Rippen im Gurt knacksen. Wer heil wieder ausstieg, betete erstmal drei Ave Maria. Geflucht hat er dabei wie ein Seemann.

Aber sind wir selber so viel anders? Was den Fahrstil betrifft: ja. Schimpfen tun wir aber schon gern. Der Grund ist eh klar: Wir können viel besser Autofahren als die ganzen anderen Trotteln.

Das Auto als "Ich-Erweiterung"

Es lässt sich aber auch klüger erklären. Gesellschaftshistorisch steht das eigene Auto für Unabhängigkeit, Mobilität und Status, weiß Psychologin Romi Sedlacek (lebensthemen.at). Je nach Persönlichkeit ist diese historisch gewachsene Identifikation mit dem Auto mehr oder weniger stark ausgeprägt. Geraten wir also in eine Stress- oder Konfliktsituation, verteidigen wir diese „Ich-Erweiterung“. Sprich, wir hupen, schimpfen wie die Rohrspatzen und zeigen lustige Fingerspiele.

Zudem fühlen wir uns im eigenen Auto anonym, geborgen und privat. Die soziale Kontrolle durch andere fällt weg, was uns dazu animiert, ungehemmt zu fluchen. Diese Gefühle sind es auch, die zu sogenannten Power-Posing-Aktionen provozieren.

Damit ist gemeint, wenn Autofahrer etwa andere, die sich an Geschwindigkeitslimits halten, durch knappes Auffahren bedrängen oder riskant überholen. In Tateinheit damit wird ebenfalls liebend gern geflucht. Schimpfen ist aber auch Ventilfunktion für Alltagsfrust und die Lust am Regelbruch: Wer sonst nicht darf, lässt halt gern im Auto die Sau raus.

Frage der Freizeit

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

Kommentare