Socken in Sandalen: Warum Modesünden von gestern heute so angesagt sind

Muss das sein? Was gestern als No-Go galt, gilt heute als Trend. Warum wir vor Mode zum Wegschauen nicht gefeit sind.

Hitzewelle, Strom teurer, Iggy-Pop-Konzert verschoben – und dann das noch: Beim Frühstück, beim gemütlichen Durchscrollen durch die Instagram-Bubble, haut es einem ins Auge, als erspähe man Daniela Katzenberger beim Literarischen Quartett. Eine Werbung für Mode, für Schuhe, um genau zu sein, und sie preist eine Sandale an, getragen mit Socken. An männlichen Kammerdienerwadeln hochgezogene, stramm sitzende, schneeweiße Tennissocken. Mode zum Wegschauen, jedenfalls für mich. Die Welt ist Mallorca geworden.

Und steht Kopf. Denn wenn man sich auf nix mehr verlassen konnte, gab es doch stets ein paar wenige, dafür unumstößliche Gesetze in diesem Universum. Einige davon: Bauchtaschen, das trug man nicht; Leoparden-Leggings und Ed-Hardy-Leiberln sind No-Gos. Und Tennissocken und, als Schreckensmaximierung aus der Hölle: Tennissocken mit Sandalen, sind böse. Sehr, seeehr böse.

Alles kommt zurück

Dabei vergisst man schnell: Mode verläuft in Zyklen. Ihre Gesetze von Zeit zu Zeit völlig auf den Kopf zu stellen, ist Teil des Systems. Ihre Unüberschaubarkeit und die sich permanent verschiebenden Grenzen, die dazu führen, dass wir gestern noch unfassbar cool aussahen und heute rumlaufen wie der letzte Depp (und umgekehrt) – ist der gezielte Spaß des ganzen Zirkus.

„Trends kommen stets zurück, allerdings in anderen Varianten“, konstatiert Barbara Vinken, Modetheoretikerin und Kulturwissenschaftlerin, im Gespräch. „Dabei kommt es oft zu einer Umcodierung der Tradition: zum Beispiel gilt, was gestern als männlich angesehen wurde, heute als weiblich.“ Auch werden eben noch belächelte Teile auf cool umgedeutet, so feierte schon das Hawaiihemd und die gesamte Y2K-Mode der Nullerjahre ein Comeback – anfangs als ironisches Statement, dann von der breiten Kaufmasse dem aktuellen Modekanon einverleibt. Gefeit vor der ewigen Wiederkehr der schlimmsten Modesünden sind wir nicht. „Erst wenn wir eine Mode gründlich vergessen haben, kann sie wiederkommen. Sonst erinnerten wir uns ja glatt noch an ihre Hässlichkeit – siehe weiße Tennissocken in Sandalen“, so Vinken.

Frage der freizeit

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Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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