Von Frauenhand: Die berühmte Savile Row erfindet sich neu
Die Savile Row ist die nobelste Modemeile der Welt. Und hätte die Krise beinahe nicht überlebt. Doch in der Straße weiß man sich zu helfen. Etwa dank Daisy Knatchbull. Sie rockt als Schneiderin für Damen die altehrwürdige Männerbastion.
Totgesagte leben länger. Und tatsächlich schien die Savile Row bis vor nicht allzu langer Zeit dem Ende nahe zu sein: In der legendären Straße in London, zwischen Regent, Bond und Oxford Street, in der die besten Herrenschneider ihren gut betuchten Kunden edle Maßanzüge auf den Leib schneidern, forderte die Krise erste Opfer. Häuser mit großer Tradition sahen sich gezwungen zuzusperren – darunter Chester Barrie oder Hardy Amies, ein echter Sir und einer der berühmtesten Couturiers Britanniens, der auch als Hofschneider von Queen Elizabeth fungierte.
Die Unwägbarkeiten des Brexits und mangelnde Kundschaft setzten der feinsten Männermodemeile der Welt gnadenlos zu. Obendrein schlitterten die Betriebe noch in die Corona-Krise. Feiner Zwirn war nicht mehr gefragt. Die Geschäfte blieben geschlossen. Der Absatz von Anzügen in Großbritannien ging in den vergangenen fünf Jahren um 2,3 Millionen Stück zurück. Und so mancher Schneider verlor sein letztes Hemd.
Nicht ohne Grund war die britische Öffentlichkeit aufs Höchste alarmiert. Immerhin gehört die Savile Row zu England wie der Big Ben, Bobbys und die Tea Time. Und zur britischen Lebensart gehört es eben – außer man fühlt sich eher vom Stilgefühl der Punks von den Sex Pistols angezogen – im feinen Zwirn aufzutreten: in den besten Materialien und optimal zugeschnitten.
Bespoke Tailoring
"Bespoke Tailoring“ nennt sich die Methode, einer Person den ihren spezifischen Bedürfnissen und Wünschen angepassten Anzug anzufertigen. Der Kunde ist König – und Kommunikation ist alles. Jedes Detail wird besprochen, bis zu 30 unterschiedliche Maße genommen, Schnittmuster angefertigt. Bis zu zehn Helferlein machen sich dann an die Ausführung, und in 50 Arbeitsstunden wird ein Einzelstück genäht, das für die Ewigkeit bestimmt ist.
Diese Exklusivität hat naturgemäß ihren Preis: Ab 5.600 englische Pfund bepreist sich ein Zweiteiler etwa bei Dege & Skinner. Bei Hackett ist man dafür schon ab 1.900 Pfund mit im Spiel.
Entstanden ist die Savile Row 1740, als die ersten Schneider sich hier ansiedelten. Benannt wurde sie nach Lady Dorothy Savile, der Frau des Earl von Burlington. Die Liste an Namen jener, die sich in der bloß 300 Meter langen Gasse im Zentrum des Stadtteils Mayfair seitdem einkleideten, sind elitär wie exklusiv und umfassen gekrönte Häupter ebenso wie Prominenz von Weltrang. Napoleon III. nahm hier ebenso Maß wie Winston Churchill, Charlie Chaplin genauso wie Charles Dickens, Zar Alexander II. von Russland, der Kaiser von Japan, Buffalo Bill, Henri de Toulouse-Lautrec, Cary Grant, Michael Jackson, die Beatles und die Rolling Stones. Und dennoch: Etwas Neues musste her, vielleicht sogar etwas, das mit steifen Traditionen bricht und dennoch das goldene Handwerk nicht aus den Augen verliert.
Da kam Daisy Knatchbull wie gerufen. "Die Savile Row ist ein unglaublicher Ort“, sagt sie uns, als wir sie zum Interview am Telefon in London erreichen. "Und es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass Orte wie dieser gedeihen und lebendig bleiben.“ Genau das hat die extrovertierte Unternehmerin selbstbewusst getan. Mit The Deck hat sie die erste Damenschneiderei in die Savile Row gebracht – und brach damit in eine echte Männerbastion ein. Zwar war es Frauen schon zuvor möglich, sich einen Anzug machen zu lassen, auch von Frauen.
Kathryn Sargent, Chefschneiderin bei Gieves & Hawkes, war 2016 die erste (heute hat sie ihren eigenen Laden in der Brook Street). Und Phoebe Gormley widmete sich im ersten Stock von Cad & The Dandy erstmals nur der Damenmode. Doch Knatchbull ging einen großen Schritt weiter: Sie eröffnete 2019 ihr eigenes Geschäft mit eigener Ladenfront – eine große Sache, die frischen Wind brachte und eine neue Business-Blüte.
"Das gibt der Straße, was sie gebraucht hat“, erklärt Knatchbull: "Nämlich dass sich etwas bewegt, dass sie ein bisschen moderner wird. Dabei gilt es, eine feine Balance zu halten: modernisieren ist gut, aber es darf nicht alles verschwinden, was die Menschen am Erbe der Savile Row lieben und schätzen.“
Das Geschäft mit Frauen boomt
Ein neues Gesicht auf der Savile Row ist Daisy Knatchbull nicht. Als Kommunikationsdirektorin von Huntsman, einem der renommiertesten Edelschneider der Savile Row, mischte sie bereits fünf Jahre im Modegeschäft mit. Auch der Look ihres Geschäftslokals weist deutlich aus, wie sich The Deck vom Image der Alteingesessenen abhebt: es ist heller, freundlicher und einladender, als man das hier sonst zwischen einschüchterndem Mahagoni und goldgerahmten Gemälden mitunter gewohnt ist. Der Preis für einen maßgeschneiderten Anzug für die Frau beginnt bei ihr bei 2.800 Pfund. Drei Termine zur Anpassung sind dafür vonnöten. Das zieht auch prominente Frauen an: Kate Moss, Lauren Hutton, Elizabeth Hurley, Twiggy, Elle Macpherson, Gillian Anderson oder Maggie Gyllenhaal – sie alle sind illustre Kunden von The Deck.
"Unser Geschäft boomt bei den Frauen“, erzählt uns Knatchbull stolz. "Wir haben unser Business jedes Jahr verdoppelt.“ Das Ziel sei, dass Kundinnen sich mit einem Anzug und wenigen Key-Pieces eine Vielzahl unterschiedlicher Outfits zusammenstellen. "Es gibt Frauen, die unsere Anzüge nicht zwangsläufig im Büro tragen, dafür die Hose mit Sneakers, wenn sie ihre Kinder zur Schule bringen“, so Knatchbull. "Dann gehen sie im ganzen Anzug zu Mittag zum Lunch. Und abends ziehen sie dazu High-Heels an und gehen in dem Outfit aus.“ Ihr Sortiment hat Knatchbull inzwischen erweitert, mit Kleidern oder Schals. "Vor allem aber ging es mir darum, eine einladende Umgebung zu schaffen, die sich ausschließlich auf Bedürfnisse von Frauen und ihre emotionale Beziehung zu Kleidung konzentriert.“
Skepsis oder Ressentiments von den Platzhirschen erfuhr Knatchbull übrigens nicht. "Ich weiß, viele Leute hätten auf ein bisschen Drama gehofft. Aber ich wurde nicht als Bedrohung gesehen, wurde sehr unterstützt. Man wusste, die Zeit ist reif für einen Shop für Frauen. Wir haben also viele Glückwünsche zur Eröffnung erhalten – und andere Schneider empfahlen uns den Ehefrauen ihrer männlichen Kunden.“
Rock ’n’ Roll in der Savile Row
Die Savile Row bleibt also spannend. Einerseits liegt das am Flair alter Tage. Prinz Harry kauft bei Dege & Skinner ein. König Charles III. lässt sich seine Anzüge, schon seit er als Prinz firmierte, bei Gieves & Hawkes anlegen. Auch bei Davies & Son wurden bereits Könige und Präsidenten vorstellig. Huntsman, Henry Poole & Co oder Norton & Sons, sie alle bieten englische Maßware. Andererseits findet man zum Teil auch unkonventionelleren Style. Ozwald Boateng etwa setzt auf bunte Anzüge, als Erster aus der Savile Row zeigte er eine Kollektion bereits auf der Paris Fashion Week. Und Cad & The Dandy bietet moderne Schnitte.
Zudem zeigte die Savile Row auch stets eine Schwäche für den Rock ’n’ Roll. Die Beatles adressierten hier mit ihrer Firma Apple Corps. Auch ihr berühmtes Rooftop-Konzert fand da statt. Und die Straße hatte Edward Sexton, die große Ikone: In den Sixties brachte er das Swinging London in die Savile Row, kleidete David Bowie und Elton John ein. Die Beatles trugen auf dem legendären „Abbey Road“-Cover seine Anzüge. Und Mick Jagger heiratete in einem Outfit von ihm. Dieses Jahr ist Sexton verstorben.
Die Savile Row öffnet sich weiter den Zeitläuften. Und bleibt dennoch zeitlos.
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