
Maßschuhe als Luxusobjekt: Zu Besuch im teuersten Schuh-Labor Wiens
Stilvoll, teuer und beste Qualität: Markus Scheer ist mehr als ein Schuhmacher, nämlich Orthopäde.
Kunden aus aller Welt pilgern hierher, um sich Maßschuhe machen zu lassen und dabei einen Hauch von Luxus und österreichischer Geschichte einzuatmen.
Wer das versteckte Geschäft von Rudolf Scheer & Söhne in der Wiener Bräunerstraße betritt, atmet Stille ein. Und dann knarrt plötzlich die alte Holzstiege im Raum.
Markus Scheer steigt gelassen von oben in den Verkaufsraum herab, gekleidet in einen strahlend weißen Arbeitsmantel, wie ihn Ärzte tragen, bietet erst Kaffee an, bevor er durch die weiten Geschäftsräume führt.
Und nach dem ersten Überraschungsmoment wird klar: Man ist hier nicht nur in einem Maßsalon, sondern auch in einer Art Kunsthandwerkslabor, wo alles seinen Platz hat: von der kaiserlichen Urkunde an der Wand bis zum modernen Maßschuh auf dem Spiegeltablett.

Maßgeschneiderter Luxus: Rudolf Scheer & Söhne verbinden Vergangenheit mit Zukunft
©kurier/Wolfgang WolakUnd was könnte in diesen Zeiten mehr Vertrauen einflößen als ein weißer Kittel? So ein Arbeitsmantel vermittelt auch Kompetenz. Sei es bei Marina Abramović, die ihn in etlichen Kunstperformances zu ihrem Stilmittel machte, oder eben bei Markus Scheer. Der gelernte Orthopäde verkörpert darin sein Handwerk: das des Schuhmachers und des Schuhdesigners. Auch in ihm steckt eine künstlerische Ader, seine
Schuhe und Accessoires sind maßgeschneiderte Kunstwerke. Als ehemaliger kaiserlicher und königlicher Hof- und Kammerschuhmacher zählt sein Betrieb seit sieben Generationen zu den traditionsreichsten Unternehmen Österreichs.

Orthopäde Markus Scheer kontrolliert das Handwerk genau und designt Accessoires und Maßschuhe selbst
©kurier/Wolfgang WolakWas sich seit 1816 in Sachen Schuhmacherei veränderte? „Ich war ja nicht immer dabei“, lacht Scheer, „aber man nimmt das beste Wissen aus Geschichte und Gesundheit und fügt zeitgemäßes Design, neue Technologien und Materialien hinzu.“

Von des Kaisers Schuhspitzen bis zum designten Halbschuh – bei Scheer & Söhne stehen seit Generationen Gesundheit, Stil und Handarbeit im Fokus
©kurier/Wolfgang WolakSein Geschäft ist mit luxuriösen Unikaten und österreichischer Geschichte befüllt, die in Glasvitrinen ausgestellt sind, wie ein Paar schwarzer Stiefeletten samt dazupassenden Leisten von Kaiser Franz Joseph, bis zu kostbaren Unikaten aus Schlangenleder, und gleicht einem Museum oder einer Galerie. Vom sorgfältig renovierten Geschäft, in dem alle Schichten der Vergangenheit an Wänden und Innenarchitektur

Luxus nach Maß. Heute ergänzen luxuriöse Lederaccessoirs das Sortiment von Scheer & Söhne
©kurier/Wolfgang Wolaksichtbar geblieben sind, führt eine Stiege, verkleidet mit echtem, hellen Rauleder, hinunter in einen Kellerraum. Auch diese Lederstufen selbst bezeugen die Qualität des Hauses: das helle Rauleder wirkt trotz jahrelanger Benützung wie neu. In dem ehemaligen Kohlebunker sind über 5.000 bis zu 200 Jahre alte Schuhleisten der Reichen und Mächtigen ausgestellt. Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm gehörten zu den Kunden von Rudolf Scheer & Söhne genau wie König Georg der I. und II., oder Schriftsteller Franz Kafka, Fürst Karl Schwarzenberg und Maler Jörg Immendorff.

Das sanft renovierte Geschäft verbindet Vergangenheit mit Zukunft, und zeigt maßgeschneiderten Luxus von Rudolf Scheer & Söhne
©kurier/Wolfgang WolakGesundheit im Fokus
Dass Leisten nicht gleich Leisten ist, schätzen Kunden heute wie damals. Wer hätte gewusst, dass das Carre der schwarzen, schlanken Holzleisten für Kaiser Franz Joseph so lange überarbeitet wurde, bis ihm die Form auch optisch gefiel? Denn der Kaiser wurde damals gleich an seinen Schuhspitzen erkannt – sie durften nur für ihn und ausschließlich von Scheer & Söhne gefertigt werden und galten als Code des Kaisers.

Mode im Set: maßgeschneiderter Luxus von Rudolf Scheer & Söhne
©kurier/Wolfgang WolakHeute verlassen maximal 300 Paar Schuhe im Jahr, gefertigt nach orthopädischen Grundlagen und oft extravaganten Kundenwünschen, wie mit Diamanten besetzte Monogramme, die noble Maßschuhmanufaktur. Dutzende Modelle, Farben und Ledersorten stehen bereit, Markus Scheer hat sie in einem übergroßen, in Leder gebundenen Katalog zusammengestellt, der im schicken Geschäft für Kunden aufliegt. Über 4.000 m² Leder hat der Schuhmacher eingelagert, das reicht für weitere zwei Generationen. Beim Einkauf wird auf die möglichst regionale Herkunft aus der EU, Gerbereien mit kurzen Lieferketten und das Tierwohl geachtet. Python und Straußenleder kommen aus Züchtungen. „Tierunglück bringt keine gute Lederqualität“ ist der Schuhmacher überzeugt. „Die Produkte sollen ja einen ganzen Lebenszyklus halten. Unser Handwerk bedeutet einen natürlichen, menschlichen Umgang mit Leder, es muss reparierbar sein“. Deshalb setzt der Betrieb auf reine Handarbeit, nur in der Verwaltung wird KI eingesetzt. Und damit auch der Produktionsabfall möglichst gering bleibt, werden alle Lederreste weiterverwertet.

Die Auswahl an Ledersorten und Farben ist groß
©kurier/Wolfgang Wolak„Für ein Paar Maßschuhe braucht man circa einen halben Quadratmeter. Auch die kleinsten Lederreste verarbeiten wir weiter, etwa zu Schlüsselanhängern“. Bis zu 60 Stunden Handarbeit stecken in dem ersten Paar Maßschuhe, 40 Stunden brauchen die Schuhmacher für Folgepaare. Kunden müssen nach einem Termin für die Maßabnahme noch etwa drei Monate auf das fertige Paar warten. Die Wartelisten sind zwar lang, richten sich aber nach Bedürfnissen der Kunden.

Heute arbeiten bereits 14 Schuhmachr in ersten Stock an den Kundenbestellungen
©kurier/Wolfgang WolakIm ersten Stock sitzen 14 Schuhmacher mit ihren Werkstücken und arbeiten geräuschlos vor sich hin. Nur ein leises Klopfen ist zu hören, unterbrochen von den Schritten Scheers auf dem alten Sternparkett, wenn er durch die Räume schreitet um einzelne Produktionsschritte zu kontrollieren. Vier Gewerke befinden sich im Haus: für Schuhe, Kleinlederwaren, Taschen und Scheer-Home. Dafür wurden drei Täschner eingestellt. Die ehemalige Küche des K. u. k.-Betriebs zur Färberei umgestaltet, „Wir nehmen die Tradition des Kochens mit und färben hier heute Sohlen und Absätze oder pechen Drähte zum Nähen“, so der Orthopäde. „Aber Grundstein für die reine Maßarbeit ist immer die Gesundheit. Die ist heute umso wichtiger, da es unseren Füßen nicht mehr so gut geht wie früher. Wir gehen mit unserem Körper nicht so bewusst um wie früher und benützen alle möglichen Gesundheits-Apps, weil wir weniger spüren und auch weniger mobil sind.“

In der ehemaligen Küche werden Ledersohlen gefärbt
©kurier/Wolfgang WolakWas die Qualität der Schuhe letztlich ausmacht? Nach innen muss die Passform genau stimmen, nach außen werden persönliche Kundenwünsche in den Leisten eingearbeitet. Wie beim alten Kaiser geht es heute nicht um Norm, sondern um Individualität als Luxusgut. Dass der Trend in diese Richtung läuft, bestätigt Scheer. „Immer mehr Menschen fühlen sich von den sündteuren Limited Editions einiger Luxusmarken enttäuscht und entdecken den echten Luxus handgemachter Maßarbeit. Dabei setzen Kunden gerne auf Sets: Maßschuhe werden im selben Leder mit Accessoires vom Gürtel bis zur Laptoptasche bestellt.“
Kommentare