Warum will eine junge Frau heutzutage noch Kürschnerin werden?

Obwohl immer mehr Modehäuser auf Pelz verzichten, macht Sophie Weinlinger eine Ausbildung zur Kürschnerin.

Ihr Ausbildungswunsch will auf den ersten Blick nicht so ganz in das Bild der jungen Generation passen, die sich wie keine andere zuvor mit den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Sophie Weinlinger lässt sich zur Kürschnerin ausbilden.

Die erstaunten Reaktionen von Freunden und Bekannten ist die 21-Jährige mittlerweile gewohnt: „Wenn ich erzähle, dass ich in einem Pelzbetrieb arbeite, sagen die meisten zuerst: Oh Gott!“, erzählt Weinlinger. In Zeiten, wo ein großes Modehaus nach dem anderen (siehe Infokasten unten) den Abschied von Pelz bekannt gibt, spricht für die Niederösterreicherin dennoch nichts dagegen, Tierfelle zu schicken Jacken und Mänteln zu verarbeiten. Nachhaltigkeit sei ihr dennoch sehr wichtig.

Bestehende Ressourcen

Wie passt das zusammen? Weinlinger hat ihre Ausbildungsstätte mit Bedacht gewählt. In einer unscheinbaren Straße nahe des Tullner Hauptplatzes lässt sich die junge Frau vom Gründer-Duo des Labels RE Refurried in die Kunst der Kürschnerei einführen. Patrick Adam und seine Ehefrau Georgia Adam Richter verfolgen seit dem Jahr 2017 ein etwas anderes Konzept: Bei AR Refurried werden ausschließlich alte Pelzmäntel zu neuen Kreationen umgearbeitet. Neue Tierfelle sind für das Paar tabu.

„Ich finde die Arbeit mit Pelz sehr spannend, in einem anderen Unternehmen wäre diese Lehre jedoch nicht für mich infrage gekommen“, erklärt Weinlinger, die bereits ihre Ausbildungen zur Damen- und Herrenschneiderin abgeschlossen hat. „Das Upcycling-Konzept hier hat mich überzeugt. Warum sollte sich jemand einen Kunstpelz aus Plastik kaufen, wenn man bereits bestehende Ressourcen so toll nützen kann?“

Der Winter ist für das dreiköpfige Team die stressigste Zeit des Jahres. Obwohl die Auftragsbücher schon vor der Coronakrise voll waren, hat das Ausmisten während der Lockdowns noch mehr Neukundschaft gebracht. Oft handelt es sich um Erbstücke aus der Familie, die Weinlinger lernt, zu etwas Neuem umzuarbeiten. Kostenpunkt: 800 bis 2600 Euro.

Als eingestaubt sieht die 21-Jährige den Beruf der Kürschnerin nicht an: „Man kann wirklich coole Sachen aus den alten Mänteln machen. Ein Pelz muss ganz und gar nicht altbacken aussehen.“ Machbar ist vieles: Von kleinen Reparaturen bis zum Ummodeln in ein kaum wiedererkennbares Kleidungsstück ist alles dabei.

©Kurier/Juerg Christandl

Erinnerungsstücke

Zwischen 40 und 50 Jahre alt ist die durchschnittliche Kundschaft von AR Refurried. Manchmal wird aus einem alten Pelzmantel sogar ein emotionales Erinnerungsstück für zwei Generationen: „Wir hatten einmal eine Mutter und ihren Sohn, die den Ledermantel mit Lammfell des Vaters bzw. Opas zu zwei Kleidungsstücken ändern ließen. Die Mutter ließ sich einen Parka mit dem Lammfell anfertigen, der Sohn bekam eine schöne Lederjacke aus dem restlichen Material“, erinnert sich Patrick Adam.

Der Nachhaltigkeitsaspekt stehe für viele Kundinnen und Kunden im Fokus. Familiäre Geschichte steckt jedoch nicht hinter jedem Pelz, verrät der Kürschner. „Es kommen witzigerweise oft Leute zu uns, die sich gerade ein Haus gekauft haben und dort im Keller ein paar Pelzmäntel gefunden haben. Und dann einfach sagen: Na gut, dann machen wir etwas daraus.“ Sophie Weinlinger möchte nach Ende ihrer Ausbildung künftig als Kürschnerin arbeiten und das neu erworbene Wissen mit jenem aus der Damen- und Herrenschneiderei kombinieren.

Die für sie größte Faszination an Pelz: „Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht, wie toll er sich reparieren lässt“, sagt die Nachwuchs-Kürschnerin. „Bei einem Stoffmantel müsste über ein großes Loch ein Stück Material genäht werden und er sähe trotzdem nicht mehr so aus, wie früher. Pelz macht es möglich, selbst eine größere Beschädigung so zu reparieren, dass sie nicht mehr sichtbar ist.“

Pelzindustrie
Die Verwendung von neuem Echtpelz gerät zunehmend aus der Mode. Zahlreiche Modehäuser verzichten bereits auf ihn, darunter Gucci und Versace. Moncler steigt bis 2025 aus

 

Kürschnerei
Boomte in den Achtzigerjahren die Ausbildung, gab es im Jahr 2020 nur mehr wenige Dutzend aktive Kürschner in Österreich

 

3 Jahre
dauert  die Lehre zur Kürschnerin oder zum Kürschner. Wer maturiert hat, bekommt ein Jahr angerechnet.    Ein Jahr dauert sie für jene, die bereits eine Schneiderei-Ausbildung haben

 

Maria Zelenko

Über Maria Zelenko

Seit 2015 beim KURIER. Schreibt seit über einem Jahrzehnt über alles, was die Mode- und Kosmetikwelt bewegt.

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