Faszination Front Row: Wer ganz vorne sitzen darf - und wer nicht
Wer bei den Fashionweeks ganz vorne sitzt, erlebt Mode, Spektakel und Glamour erste Reihe fußfrei. Sind es wirklich die besten Plätze? Und hat die Front Row noch den alten Stellenwert?
Berühmte Leute sitzen ganze 15 Minuten in einem Raum, bevor sie zu einer Flotte verdunkelter Range Rover eskortiert werden. Mit lapidaren Worten rief die britische „Vogue“ zuletzt die Eröffnung der New York Fashion Week aus. Worte, die das Prozedere des hochgeschwindigkeitsgetriebenen Modezirkus ziemlich gut treffen. Mit bissiger Ironie, aber gut.
Denn die Mode ist eine Sache. Klar: Gold kommt wieder, Blumen-Muster werden Trend, kurze Blazer. Der Wirbel, der rundum tobt, hat damit aber nur wenig zu tun. Was zählt, ist: Welche Stars kommen? Wer sitzt in der ersten Reihe? Die Front Row als Statusbeweis: Weiter vorn geht nicht. Wo wir sind, ist vorn.
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Die Namen, die in der Stirnreihe der Fashionshows Platz nehmen, sind der Relevanz-Index eines Designers. Schön zurechtgemacht sitzen sie dann da, die Stars und Entscheidungsträger, die Presse, Blogger und einige Günstlinge, während vor ihnen Gigi Hadid, Anna Ewers oder Irina Shayk in all ihrem Mannequin-Hochmut vorbei defilieren. Hinter ihnen, ab der zweiten Reihe, glimmt die Bedeutsamkeit der Augenzeugen im Scheinwerferlicht behände aus.
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Wer bestimmt die Gästeliste?
Das Leben besteht aus Hierarchien und das Mikrouniversum Mode führt diese so leicht nachvollziehbare Strukturierung gerne fort. Bei Modeschauen geht es ziemlich sicher um Mode, und klar, Ralph Lauren, dessen Comeback in New York nach vier Jahren Pause unisono gefeiert wurde, hatte sich redlich Mühe gegeben: Ein altes Lagerhaus in Brooklyn verzauberte er in eine Luxus-Countrystube rustikaler Romantik. Als Krönung zog Supermodel Christy Turlington in Gold in die Scheunen-Arena ein.
Doch was danach ebenso die Schlagzeilen dominierte, war die Star-Riege, die dem Designer die Ehre gegeben hatte: Jennifer Lopez war da, Diane Keaton, Julianne Moore, Cara Delevingne – und viele mehr. Von zahlreichen Shows wird ohnehin ausschließlich über den Promi-Faktor berichtet. Blake Lively begeisterte bei Michael Kors im weit ausgeschnittenen Jumpsuit in Gold. Neben ihr nahm Halle Berry Platz. In London kamen bei der Fashion Week Kylie Minogue zu Burberry, Lily James zu Erdem und Alexa Chung zu Ashley Williams. Alles penibel von Medien und Blogs mit Bildergalerien und Liveberichten in die Welt hinaus rapportiert.
Wer bestimmt nun, wer eingeladen wird? Mächtige PR-Agenturen wie Loews oder Schoeller & von Rehlingen etwa, und, wie bei Giorgio Armani, der das Zepter der Kontrolle ungern aus der Hand gibt, der Designer selbst. Journalisten müssen sich Jahr für Jahr aufs Neue ein bis zwei Monate vor den Shows dafür akkreditieren. Dann tagen die Gremien.
Oft steht einen Tag vor der Show noch nicht fest, ob man es für eine Schau auf die Presseliste geschafft hat. Mode-Kapazunder wie Anna Wintour oder Edward Enninful ersparen sich diese strapaziöse Korrespondenz naturgemäß. Als Chefs der US- bzw. der britischen „Vogue" sind sie in der Front Row gesetzt. Testimonials sind natürlich ebenso eingeladen (wie Cate Blanchett, die für die gesamte Beauty-Linie von Armani wirbt), dazu kommen die Star-Gäste für den Medienrummel. Und der hat es in sich.
Für das aufkommende Blitzlichtgewitter und die mediale Aufmerksamkeit heißt es nämlich gerüstet zu sein. Für die Ankunft der großen Stars zur Show werden Straßen gesperrt, Absperrgitter errichtet, kleiderschrankgroße Männer in schwarzen Anzügen, mit Sonnenbrillen und Headsets wachen über das Entree.
Konnte vor 30 Jahren Caroline von Monaco unbehelligt in den Saal spazieren, sieht das heute anders aus. Steigt Kim Kardashian aus einer eleganten Limousine, johlt die kiebitzende Menge laut auf. Besonders ohrenbetäubend ist der Kreischalarm oft bei asiatischen Gästen: Da so gut wie jede große Linie einen Star aus dem Korean-Pop, kurz: K-Pop, als Werbeträger engagiert hat, herrscht bei den Fans des schrillen Musikphänomens Partystimmung.
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Blogger sitzen in Reihe eins
Dafür müssen die Stargäste dann auch eine würdige Performance abliefern. Und die beinhaltet vor allem aufwendige Outfits. Wer zu Michael Kors geht, muss auch Michael Kors tragen. Und wer danach eine andere Show besucht oder die Aftershowparty, muss natürlich Kleid und Styling wechseln. Allem geht stundenlanges Herrichten von Make-up und Haaren voraus.
Die Auftritte sind aber nicht immer nur Liebesdienste für die Designer. Für die mediale Verstärkung wird auch tief ins Börsel gegriffen. Superstars wie Jennifer Lopez spült es dafür bis zu 100.000 Dollar aufs Haushaltskonto. Andere machen ein Gegengeschäft und bekommen Kleidung geschenkt. Auf diese Weise lassen sich auch mögliche Störaktionen leichter verdauen. Bei der Show des Labels Coach stürmten etwa zwei Aktivistinnen der Tierschutzorganisation Peta den Catwalk. „Leder tötet“ hatte eine davon über den nackten Leib getextet.
Aber was heißt schon „Catwalk“. Die Fürnkranz-Zeiten, in denen die Models auf einem länglichen Podium einherschritten, sind vorbei. Helmut Lang war es, der die Mode erstmals auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Seitdem zeigt jeder Modeschöpfer seine Kreationen auf erdverbundenem Terrain, auf demselben Niveau wie die Gäste.
Die Mode ist übrigens tatsächlich am besten aus der ersten Reihe zu begutachten. Die Hackordnung ist das eine. Aber wer Genaueres über Rocklängen und Hosenschnitte zu erfahren gedenkt, ist an vorderster Front am besten aufgehoben. Ab der zweiten Reihe hilft nur eins: Handy hochhalten.
Also sitzen in Reihe eins die wichtigen Medienleute – „Wallpaper“-Chef Tyler Brûlé las dort sogar einst Korrektur, um zu demonstrieren, wie sehr er über den Dingen steht. Und natürlich Influencer wie Caro Daur und Leonie Hanne. Blogger wie Beka Gvishiani aus Tiflis sind nicht mehr wegzudenken. Kürzlich widmete die „New York Times“ ihm ein großes Porträt. Einen „Liebling der Front Row“ nannte sie ihn. In seinem Instagram-Feed „Style Not Com“ postet er blaue Quadrate mit Kurzbotschaften in weißen Lettern. Ein Mode-Liveticker für die Rezeptionsgewohnheiten der Generation Social Media.
Dabei können selbst kunstvolle Inszenierungen wie von Demna Gvasalia für Balenciaga der Front-Row-Hierarchie nichts anhaben. Auch bei bahnbrechenden Shows wie 2022 in Paris, als er seine Models im Schneesturm oder im Dreck paradieren ließ, bekamen Promis wie Salma Hayek die besten Plätze. Anders ist das höchstens bei Guerilla-Aktionen wie von Celebrity-Hochstaplerin Anna Sorokin. Aufgrund ihrer Fußfessel durfte sie nicht außer Haus, also lud sie kurzerhand zu einer Fashionshow auf der Dachterrasse ihres Apartments in New York. Da waren zwar jede Menge Influencer und Medien zugegen – Stars allerdings keine.
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