Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe: Zauber der Romantik

Der nächste Advent kommt bestimmt. Höchste Zeit, sich um einen Kalender zu kümmern – etwa für Paare. Was er davon hält, was sie sich davon verspricht. Oder auch nicht.

Sie

100 Prozent Romantik: Das verspricht der Paar-Adventkalender eines deutschen Start-ups. In einer feschen Box aus Graspapier stecken "tägliche Erlebniskarten mit kleinen Paar-Challenges, die die Zweisamkeit versüßen sollen“. Viele davon  geradezu ideal, sie  gleich in der Früh, beim Frühstück, zu lösen. Nette Idee, aber  nicht für jeden.

Ich weiß zwar nicht, welche Challenges in der Box schlummern, kann mir aber vorstellen, was passiert, wenn  ich den Mann gegenüber beim Milchkaffee zum vorweihnachtlichen Frühstückspaarlauf verführen möchte. Ich ihm also –  Überraschung, Hase! – eine Karte neben sein Kaffeehäferl knalle, die zum gemeinsamen Yoga animiert. Dann müssten wir uns zum  synchronen "Urdhva Mukha Shvanasana“ ("heraufschauender Hund“) – verabreden, um die Wirbelsäule und die Liebe zu mobilisieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde sich der Gute erst an seinem Frühstückskipferl verschlucken, um dann zu fragen, ob ich neuerdings bewusstseinsverändernde Substanzen zu mir nehme. 

120 Sekunden umarmen?

Am ehesten würde er  sich wohl auf die Paar-Challenge "Umarmt euch für 120 Sekunden“ einlassen, sie jedoch  mit einem kleinen Powernap in meinen Armen verbinden. An Aufgaben wie „Gemeinsamer Auflauf“, sprich: Kochen im Duett, zu Musik und Wein – würde er zerbrechen, weil er beim Zwiebelschneiden immer sehr weinen muss. Mit organisierter Romantik kann der Gute insgesamt wenig anfangen.

Nur im Früh-Früh-Stadium seines Eroberungsfeldzugs legte er diesbezüglich das eine oder andere Überraschungsei. Aktuell aber klammere ich mich in aller Bescheidenheit an das, was er am besten kann: über die Liebe plaudern. Und so labe ich mich an Hufnaglscher  Poesie, etwa: Ich habe nur Blödsinn im Kopf  –  und dich. Das gewinnt zwar nicht den Romantik-Literaturpreis „Güldener Augenaufschlag“, aber besser als nix. Und vielleicht sogar besser als das Romantikdate beim heraufschauenden Hund. 

Er

Sie schreibt: Ich weiß zwar nicht, welche Challenges in der Box schlummern, … – und ich glaube kein Wort. Die Vorstellung, dass meine Frau die Kombination aus "Romantik“ und "100 Prozent“ gelassen lächelnd ignoriert, ist etwa so, als würde Hund Gustav einen Knochen  demonstrativ verschmähen. Das passiert nie. Stattdessen gibt es zwischen uns seit jeher die Diskussion darüber, wie der Begriff zu definieren sei. Warum soll ein Spaziergang im Sonnenuntergang romantischer sein als ein aussichtsreicher Platz in der malerischer Flutlicht-Atmosphäre des Fußballstadions? Oscar Wilde schrieb: "Das Wesen der Romantik ist die Ungewissheit.“ Diesen Satz zitiere ich gerne. Um darauf zu verweisen: Was passiert, wenn die Sonne am Horizont verschwindet, wissen wir. Wie hingegen das Match ausgeht, erzeugt jedes Mal aufs Neue das belebende Prickeln der Neugier. 

Gefühlsbetont

Aber solche Vergleiche will die Kerzenlichtanbeterin nicht hören und konfrontiert mich mit Wörterbuch-Synonymen: Da steht gefühlsbetont, schwärmerisch, verträumt, stimmungs- und geheimnisvoll. Und ich antworte: "Eben. Was genau davon trifft auf ein WM-Finale nicht zu?“ Worauf sie dem spitzfindigen Gedankenspiel ein Ende bereitet: Zum Beispiel der Umstand, dass ich völlig gelangweilt neben dir sitze.

Spätestens dann weiß ich, dass ich die Ergänzung "Und wenn ich dir auf der Tribüne ein Teelicht in die Hand drücke?“ unausgesprochen lasse. Und die zweite Stufe der Philosophie-Rakete (Wie sehr ist Zweisamkeit das Wesen romantischer Wahrnehmung?) eher nicht zünde. Besser ist in solchen Augenblicken: Gnä Kuhn in Herzlichkeit dort abzuholen, wo sie emotional steht. Also sagte ich diesmal: "In der Erlebnisbox gibt es sicher ein Kärtchen mit der romantischen Empfehlung Achteltrinken bei Vollmond.“ Daher haben wir gestern (gleich nach dem Schlager Barcelona – Real Madrid) mit Blick auf den Himmel um 22:24 Uhr auf unser Wohl angestoßen. Und schön war’s.
 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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