Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe: Weisheiten - jo eh

Der Mann gegenüber mimt den Coach und gibt ihr Tipps in Sachen "Bewusstseinsveränderung“. Das findet sie nur bedingt spannend – ausgerechnet er!

Sie

Zuletzt fühle ich mich immer öfter, als hätte ich beim Mann gegenüber Coachingeinheiten gebucht, aber ohne es zu wissen. Korrigiere: … als hätte der Mann gegenüber Coachingeinheiten für mich gebucht – bei sich, als mein Coach. Stimmt, das klingt wirr. Aber vielleicht hängt das  mit meinem "Mindset“ zusammen, von dem der Selfmade-Mentor neuerdings parliert – davon überzeugt, dass meine Denkweise es sei, die  mühsam ist. Und nicht seine. "Du musst dein Mindset verändern“, mahnt er, wenn ich beklage, dass er mit dreckigen Schuhen ins Wohnzimmer latscht. Statt ihn zu kritisieren, möge ich mich bei ihm gefälligst mit Handibussi bedanken –  für die tolle Trainingsgelegenheit: "Hurra, Bodenwischen verbraucht 350 Kalorien, dafür kann ich sieben Nudeln mehr essen … In ewiger Verbundenheit, oh Meister!“  

Erleuchtet, Baby

Wirklich seltsam ist aber die Art und Weise seiner Unterweisung. Das ganze Mindset-Getue erinnert mich an meine Mutter, die nie müde wurde, zu rufen: "Heb die Haxn beim Gehen, sonst haut’s dich hin!“ Dabei schaut er wie jemand, der davon überzeugt ist, nicht mehr reinkarnieren zu müssen, weil: erleuchtet, Baby! Da sage ich nur: Mindset – genau. Predigt ausgerechnet der, der bei jeder unabänderlichen Petitesse in eine akute Adrenalinkrise schlittert und dann nicht jugendfrei flucht – egal, ob er beim Autofahren einer Bim nachzuckeln muss, mehr als drei Hansln an der Kasse im Baumarkt stehen, Regentropfen auf sein Haupt plumpsen oder die Fernbedingung des TV-Geräts streikt, obwohl gerade sein Lieblingsverein spielt. In erschöpfender Kenntnis seines  Zornbinkerl-Potenzials haue ich daher  lieber nix Coachmäßiges raus, wie etwa: "Ein Problem ist immer das, was du daraus machst. Schon mal darüber meditiert, Hase?“  Stattdessen frage ich ihn zur Ablenkung, ob wir die Tage auf ein Cordon bleu gehen, und ja eh: mit doppelt Käse. Das ist, finde ich, ganz großes Mindset-Können, erlernt im Kurs "Mein Leben mit Hufi“. Also nix für Feiglinge.  

Er

Ich weiß nicht, wie oft mir einst belehrend mitgeteilt wurde: "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ Ich weiß nur, die Worte erklangen im mahnenden Verbund mit "junger Mann“ verlässlich, sobald ich in meiner Rolle als Stürmer und Dränger in sonderbar anmutenden Positionen verharrte – und von denen gab es naturgemäß viele. Klar ist, dass der französische Schriftsteller und Maler Francis Picabia dieses Sprachbild vor rund hundert Jahren als Ausdruck der Rebellion erschuf. Leider war ich als Teenager nicht spitzfindig genug, diese zum Widerstand gegen die Weisheiten der Alten einfach umzudrehen. Das muss meine Frau heute quasi büßen. Nämlich immer dann, wenn sie mir mit Fassungslosigkeit begegnet. 

Sinnfragen

Sie kann nicht verstehen, warum man an einem strahlend schönen Sonntag lieber hintereinander drei Matches aus drei Ligen vom Sofa aus betrachtet als drei Schritte durch den sonnigen Winterwald zu spazieren (Lieblingszitat: Das tät’ dir echt nicht schaden). Sie kann noch weniger verstehen, dass man dabei mit Leichtigkeit einen ganzen Sack Schnitten verputzt (Lieblingszitat: Aber nicht jammern, wenn dir schlecht ist). Und sie kann am wenigsten verstehen, wenn ich womöglich genervt reagiere und sage: "Du bist du, und ich bin ich“ (Lieblingszitat: Geh’ bitte, Michael!!!) Und während ich mit nahezu buddhistischer Gelassenheit schweige, wenn gnä Kuhn beispielsweise bei 90 km/h Sturm die Terrasse fegt, ist sie stets bemüht, Sinnfragen zu stellen … um sie dann gleich selbst zu beantworten. In so einem Moment erschien mir unlängst der Satz vom runden Kopf, ich musste lächeln und mir entglitt: "Du musst dein Mindset verändern“. Und zack: Diskussion. Die aber bei gutem Essen dankenswerterweise – wie so oft – von einem Augenzwinkern begleitet wurde. Und diesmal auch von Francis Picabia: "Die Vernunft ist ein Licht, das uns die Dinge so sehen lässt, wie sie nicht sind.“ 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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