Paaradox - Szenen einer Redaktionsehe: Tore und Topfen

Termine zu koordinieren, ist dieser Tage eine Herausforderung: Die Erde ist rund, der Ball muss ins Kreuzeck. Und er will immer dabei sein.

Von Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl

SIE

Im Supermarkt, zwischen Bananen und Freilandgurken, fragte ein netter Herr, ob mich der Mann gegenüber aktuell noch wahrnimmt, *zwinker, zwinker*. Dahinter stand seine Frau mit einer Dose Nüsschen und grinste. Und ich? Ich kannte mich nicht aus, zumal ich mich darauf konzentrierte, die vergessene Einkaufsliste zu memorieren. Statt an die EURO zu denken, war ich auf Bröseltopfen fokussiert. Pardon. Wobei ich gestehe: Ich habe sie auch abseits der Bröseltopfen-Fokussierung nicht auf dem Radar. 

Irgendwann habe ich aufgehört, so zu tun, als würde mein Herz für diesen Ballsport pochen, davon überzeugt, dass es möglich ist, sich in einer Beziehung auch getrennt über etwas zu freuen: er über das Tor von Fabián Ruiz, ich über die Tatsache, dass der Transit-Jupiter optimal im Trigon zu meiner Sonne steht und ich die Nacktschnecken im Garten besiegen konnte.

Wunderbar!

Ich hier, er dort – nur unterbrochen von raren Spielpausen, in denen mich Whatsapp-Nachrichten erreichen, die  so lauten: Eh alles gut bei dir? Auf die ich  äußerst knapp mit einem unerschütterlichen „Wunderbar, wunderbar!“ antworte, weil ich weiß, dass ihn die Geschichte vom gerissenen Staubsaugerbeutel und der Stecknadel in meiner Ferse aktuell nur  bedingt interessieren würde. Also lasse ich ihn  Match-Statistiken malen, Tor! und   Trottel! schreien, zur EURO auch noch Golf und Tennis schauen, während ich an Blumen zupfe, Wolken zähle und mit Herrn Gustav über seine Liebe zum Schwimmen plausche. Und so antwortete ich meiner Einkaufsbegegnung nach einer  längeren Reaktionszeit auch recht fröhlich: „Danke der Nachfrage, alles bestens, ich bin sehr stark und brauche kein männliches Händchen, das mich über die Supermarktschwelle zum Bröseltopfen trägt.“ Bin mir zwar nicht sicher, ob er wirklich verstanden hat, was ich versuchte, auszudrücken, aber: egal. Denn wie heißt es so schön? „Die Einstellung ist besser als die Aufstellung.“

ER

Unlängst, nach dem Medizin-Check, stellte ich  dem Arzt die Frage, wann ich wieder voll belastbar sei. Er lächelte und antwortete: „Wenn Sie wollen, schreibe ich Ihnen eine Verordnung zur absoluten Ruhe bis zum Ende der EURO, die können Sie dann Ihrer Frau zeigen.“ Der gute Mann ist Paaradox-Leser, daher im doppelten Sinn ein Spezialist, selten habe ich mich so angenommen gefühlt. Zumal er en détail nicht erahnen kann, welche Gratwanderung der WM-EM-Rhythmus alle zwei Jahre tatsächlich ist. Aber immerhin, das muss ich der Königin der Wuchtel-Wurschtigkeit lassen: Ihre Lernkurve ist bewundernswert steil. Es gab Zeiten, da organisierte sie Restaurant-Besuche für den Finalabend, freute sich über die  erstaunliche Verfügbarkeit von Tischen und kommentierte meine Frage, ob sie von allen guten Geistern verlassen sei, mit einem trotzigen: Meine Güte, kann ja keiner wissen, dass dieses Dings genau an dem Tag ist. Und fügte hinzu: Eigentlich kann man nie etwas unternehmen,  irgendein Match ist  immer.

Prioritäten-Gespür

Aus dem Grant wurde irgendwann milder Spott, sie beließ es in Anbetracht unfreiwilliger Terminkollisionen bei einem: Jössas, das Weltereignis Achtelfinale! Oder: Ups, Eure Sofa-Majestät mögen verzeihen! Mittlerweile jedoch zeigt gnä Kuhn vor immer seltener werdenden Arrangements nicht nur den Willen zur Spielplan-Koordinierung, sondern wähnt sich darüber hinaus im Besitz eines Prioritäten-Gespürs. Das klingt dann ungefähr so: Ich habe geschaut, da spielt kein Großer, nur Schottland gegen Schweiz. Darauf adäquat und ohne ärztliches Attest zu reagieren, ist natürlich äußerst fordernd. Mein Argument, dass die Erde ja nicht zufällig eine Kugel sei, hat nie funktioniert. Aber immerhin erkennt  sie  mein Zögern in Sekundenschnelle und sagt: Egal, ich muss eh noch Schnecken inspizieren. Worauf ich erwidere: „Versprochen, am 27. Juni helfe ich dir dabei.“ Und sie: Spielfreier Tag, oder? Hm. Von wegen keine Expertin.

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