Sex mit anderen: "Die offene Ehe ist die ehrlichste Form der Liebe"
Nach 20 Jahren Ehe wollte ihr Mann mehr als Monogamie. Die 42-jährige Anna Weiss erzählt, wie die offene Beziehung ihr Leben verändert hat.
Als ihr Ehemann Anna Weiss eröffnete, dass er bisexuell sei und Personen außerhalb der Beziehung treffen möchte, brach für die Berlinerin eine Welt zusammen. "Ich dachte, das war's mit uns", sagt sie im Gespräch mit uns. "Heute weiß ich, dass das nicht das Ende war. Sondern ein neuer Anfang."
Weiss und ihr Mann Alex kennen einander seit der Schulzeit und sind seit 25 Jahren verheiratet. Seit fünf Jahren führen sie eine offene Beziehung und sind "glücklicher denn je", wie die 42-Jährige erzählt. Ihre Erfahrung mit dem alternativen Liebesmodell hat sie nun in einem persönlichen Buch mit dem nicht ganz jugendfreien Titel "Co-Fucking" aufgeschrieben.
Wie waren die Reaktionen aus Ihrem Umfeld, als Sie Ihre offene Ehe öffentlich gemacht haben?
Anna Weiss: Sehr gemischt. Viele haben keinen Bezug dazu, finden es aber interessant. Auf der anderen Seite gibt es bei einigen Menschen, die uns nicht kennen, ein großes Ablehnen. Ich merke, dass dieses Thema manche immer noch sehr triggert, sodass sie gar nicht erst versuchen, sich damit auseinanderzusetzen, sondern meine Beziehung per se abwerten. Dabei werden viele monogame Ehen geschieden, viele Menschen gehen fremd. Man verheimlicht lieber dem Partner bestimmte Dinge, als offen darüber zu reden.
Warum ist das so, glauben Sie?
Ich denke, Freiheiten können auch Angst machen. Es geht ja nicht nur um meine eigenen Freiheiten, sondern um die, die ich meinem Partner gebe. Ich kann mir auch vorstellen, dass es Menschen mit ihren eigenen Beziehungsproblemen konfrontiert. Wenn jemand wie ich daherkommt und sagt, wir machen das nicht nur, wir sind auch glücklich - dann ist das vielleicht ein Spiegel, den man nicht vorgehalten bekommen möchte. Gleichzeitig gibt es immer noch ein Tabu, was Frauen und Sexualität angeht. Das freie Ausleben wurde uns lange ausgeredet.
Auch Ihr Mann hatte mit Vorurteilen zu kämpfen, als er sich als bisexuell outete.
Es hieß, dass er in Wahrheit sowieso schwul sei und nur mit mir zusammen, um den Schein zu wahren. Das negiert nicht nur unsere Beziehung, sondern auch seine sexuelle Identität - und die vieler anderer Menschen. Das ist das Interessante an diesem Prozess: Ich dachte, es sei ein persönlicher Weg, der mich und meinen Mann betrifft. Aber es sind gesellschaftliche Themen. Wenn man die Norm verlässt - und die ist nun mal das monogame, heterosexuelle Leben -, dann wird man schneller angegriffen.
Was fühlten Sie in dem Moment, als Ihnen Ihr Mann vorschlug, die Ehe zu öffnen?
Ich kannte nur das Modell der Monogamie, alles andere hat mir Angst gemacht. Man hat ja gelernt, dass das Drama anfängt, sobald eine dritte Person dazukommt. Nicht, dass es andere Möglichkeiten gibt, die funktionieren können. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, dass mein Mann das mit mir zusammen machen möchte, nicht ohne mich. Es war nicht das Ende unserer Liebe, es war ein neuer Anfang.
Sie haben also nicht nur alleine, sondern auch als Paar neue sexuelle Erfahrungen gemacht?
Zusammen und jeder für sich, ja. Mein Mann trifft Männer und Frauen, ich vor allem Männer.
Junge sind offener für alternative Beziehungen
Bei einer offenen Beziehung gestehen sich beide Partner die Freiheit zu, mit anderen Personen Sex zu haben. Unter Polyamorie versteht man hingegen eine Form des Liebeslebens, bei der eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem eine Liebesbeziehung pflegt. Bei beiden Modellen stehen Ehrlichkeit, offene Kommunikation und eine emotionale Bindung im Vordergrund. Vor allem bei Jungen werden nicht-monogame Beziehungen normaler, wie 2023 eine Studie von Elitepartner zeigte. Jeder zweite Erwachsene unter 30 hält offene Beziehungen für ein Modell mit Zukunft (aber nur jeder dritte in der Gesamtbevölkerung). Jeder dritte Mann in dieser Altersgruppe kann sich selbst eine nicht-monogame Partnerschaft vorstellen, jedoch nur jede fünte Frau. Die Psychologin Lisa Fischbach begründet den Trend unter anderem mit dem schwindenden Einfluss der Religionen und dem stärkeren Hinterfragen von tradierten Wertvorstellungen. Auch prominente Beispiele tragen zu einer Enttabuisierung bei: Tilda Swinton lebt seit Jahren mit zwei Männern, auch Will Smith und Jada Pinkett führten lange eine offene Beziehung. Im deutschsprachigen Raum sorgte "Kommissar Rex" Gedeon Burkhard für Aufruhr. Er teilt Haus und Bett ganz offiziell mit seinen zwei Freundinnen.
Oft ist es so, dass ein Partner eine offene Beziehung möchte und der andere skeptisch ist. Was raten Sie in diesem Fall?
Wenn eine offene Beziehung funktionieren soll, müssen beide Seiten das wirklich wollen. Deswegen heißt mein Buch "Co-Fucking", das geht nur zusammen. Wenn jemand das gerne möchte, muss er den Partner mitnehmen und ihm Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. So etwas geht nicht über Nacht. Aber wenn man gemeinsam den Sprung wagt, kann etwas Tolles und Neues daraus entstehen.
Kommunikation ist das A und O einer offenen Beziehung. Auf welche Regeln haben Sie sich geeinigt?
Das Grundlegende: Kein Sex ohne Kondom. Wir sagen einander auch, mit wem und wo wir uns treffen. Das andere hat sich ergeben, als wir gemerkt haben, Offenheit tut uns gut: Was gefragt wird, wird beantwortet. Und wir machen keine Übernachtungsdates, weil wir gerne nebeneinander einschlafen und aufwachen.
Viele quält Eifersucht, wenn sich der Partner mit anderen trifft. Wie war das bei Ihnen?
Ehrlichkeit ist der Schlüssel. Ich habe gemerkt, dass es oft mit mir selbst zu tun hatte, wenn ich eifersüchtig war. Wenn ich meinen Wert kenne und weiß, auch mein Partner mag mich so, wie ich bin, dann ist das Risiko für Eifersucht geringer. Ich habe es immer gleich offen angesprochen, wenn mich etwas eifersüchtig gemacht hat. Das nimmt die Angst raus. Wir machen das jetzt seit fünf Jahren, und er kommt immer wieder zu mir zurück und ich zu ihm. Das ist eine sehr schöne und wichtige Erkenntnis. Ich finde, die offene Ehe ist die ehrlichste Form der Liebe, weil man sich sehr verletzlich gibt.
Das ideale Modell, also?
Für mich ja, aber ich verstehe auch total, warum die monogame Beziehung für viele Menschen gut ist. Die Frage ist: Wünscht man sich eigentlich etwas anderes innerhalb der Beziehung und traut sich nur nicht, sich das einzugestehen? Ich glaube, wenn man sich selbst negiert, wird man unglücklich. Es geht nicht nur um Sex, sondern um die Freiheit, sich selbst so zu zeigen, wie man ist.
Wie hat die Öffnung Sie und Ihre Beziehung verändert?
Ich würde sagen, es hat mich insgesamt selbstbewusster gemacht. Ich stehe mehr für mich und meine Bedürfnisse ein, formuliere klar, was ich möchte und wo meine Grenzen sind. Ich habe gemerkt, wie eine sexuelle Freiheit auch Freiheiten in anderen Lebensbereichen auslösen kann. Wir sind uns viel näher als zuvor, vertrauen einander mehr. Mir gehört der Partner nicht, ich habe keinen Anspruch auf ihn - diese Einstellung hat viel verändert. Wir geben uns Freiheiten und sind uns trotzdem das Wichtigste im Leben.
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