Modell Liebe 3.0: Wie es Paaren hilft, ihre Beziehung besser zu verstehen

Liebe 3.0: Lebendiger denn je, aber auch näher am Abgrund. Warum das so ist, erzählt Paartherapeut Michael Mary im Interview.

Was hält Paare heute zusammen? Das fasst Michael Mary, einer der bekanntesten deutschen Paarberater Deutschlands, in seinem neuen Buch "Die Paarliebe" (Verlag Nordholt) zusammen.

Er ist überzeugt, dass in modernen Beziehungen drei unterschiedliche Liebesformen existieren – die partnerschaftliche, die freundschaftliche und die leidenschaftliche Liebe. Mary nennt das "Liebe 3.0"

Jeder Liebesdimension liegen spezielle Bindungsmotive zugrunde, die unterschiedliches Verhalten erfordern. Das zu unterscheiden und zu wissen, worauf ihre Beziehung beruht, kann Paaren helfen.

Die Paarliebe hat sich enorm verändert – wie und warum genau?

Michael Mary: Heutzutage erwarten Paare voneinander andere Aufmerksamkeiten, andere Leistungen. Sie erwarten die Ganzliebe, also die Bestätigung vom Partner, dass man so, wie man ist, vollkommen okay ist – mit all seinen Eigenheiten. Das hängt mit der zunehmenden Individualisierung und der damit verbundenen Vereinzelung zusammen.  

Die Liebe ist damit aber komplexer denn je…

Ja, weil es heute eine Gleichzeitigkeit dreier Liebesdimensionen gibt - partnerschaftlich, freundschaftlich und leidenschaftlich. Das macht es so anspruchsvoll. Wer da nicht unterscheidet, kann sich schnell im Dschungel der Paarbeziehung verlieren. 

Sie schreiben vom "Paradoxon der heutigen Paarliebe" – was ist damit gemeint?

Das Paradoxon ist, dass sich die drei Liebesdimensionen gegenseitig nicht zwingend fördern, sich aber blockieren können. Wenn ich beispielsweise sehr zuverlässig bin und in der Beziehung immer meine Pflichten erfülle, werde ich deshalb nicht automatisch leidenschaftlicher geliebt. Wenn ich sehr fair bin und dem Partner viel Gutes tue, heißt das nicht, dass er das mit Begehren zurückzahlt.

Und dann? Kann eine Beziehung beispielsweise auch ohne die leidenschaftlich-emotionale Dimension funktionieren?

Ja, es gibt oft Paare, die sagen: Wir sind ein großartiges Team, aber sonst nichts. Das sind Menschen, die eine sehr gute partnerschaftliche und freundschaftliche Bindung zueinander haben, aber keine leidenschaftliche mehr. Es gibt viele, die damit klar kommen, wenn sie sich dessen bewusst sind. Umgekehrt gibt es Paare, die sagen: Bei uns läuft’s im Bett, aber sonst nicht. Manche sind zufrieden damit, sie sagen: 60 oder 70 Prozent, die funktionieren, sind doch auch schon gut, oder? Andere schauen sich woanders um, um "alles" zu bekommen.  

"Alles" heißt, sich neu zu verlieben …

Ja, doch das Gefühl, dann endlich ALLES zu haben, ist ja nur scheinbar und von kurzer Dauer. Wer verliebt ist, schaut über alle Differenzen hinweg. Im Laufe der Zeit tauchen die Unterschiede erneut auf, es gibt wieder Probleme. Aber: Probleme gehören zur Partnerschaft nun einmal dazu. Die Vorstellung, dass die Paarbeziehung auf Dauer einfach bleibt, kann man über Bord werfen. 

Michael Mary über die Gegenwart der Paarliebe.

©Michael Mary

Einer der häufigsten Tipps, die Paaren ans Herz gelegt wird, wenn sie Probleme haben, lautet: Macht eine Paartherapie! Ist sie die Lösung für alles?

(lacht). Nein! Ich sage meist: Schaut, wie weit Ihr selbst kommt. Zum Profi sollte man nur gehen, wenn man sich festgefahren hat und es keine Lösung mehr gibt, weil nichts mehr in Bewegung kommt, sondern alles immer noch vertrackter wird. Dann ist der Blick von außen sicher sehr hilfreich. 

Miteinander reden gilt als wesentliches Gestaltungstool, um die Liebe lebendig zu halten. Ein Garant?

Nein, ebenso nicht (lacht). Man kann die Beziehung auch zerreden. Wie gesagt, man muss sie in jener Logik lösen, in welcher der drei Liebe-Dimensionen das Problem auftaucht. Es gibt beispielsweise Paare, die in die Beratung kommen und sagen, dass sie ein gemeinsames Hobby brauchen, um einander wieder näher zu kommen. Die versuchen, auf der Ebene der Interessen oder Hobbys ein leidenschaftlich-emotionales Problem zu lösen. In Wirklichkeit weiß der eine nicht mehr, wie es im anderen aussieht, keiner öffnet sich mehr. Das ist ein leidenschaftliches Problem, das ist nicht mit gemeinsamen Hobbys zu lösen.

Sie sagen, dass Beziehungen heutzutage näher am Abgrund sind. Worin besteht heutzutage die größte Gefahr für die Liebe?

Die größte Gefahr für die Beziehung sind die Partner selbst, in ihrem Sein als Individuum. Für mich ist eine Beziehung die Geschichte der gegenseitigen Reaktionen aufeinander. Doch es ist unmöglich vorauszusagen, wie wer von den Beiden auf etwas reagieren wird und wie es dann weitergeht. Es kann sich bei jedem Menschen ja jederzeit die Bedürfnislage ändern, etwa auf Ebene der Leidenschaft. Jemand, der bisher sexuell sehr interessiert war, findet Sex auf einmal nicht mehr so wichtig. Beim anderen ist es anders. Auf einmal wird die bisherige Beziehung infrage gestellt. Ob und auf welche Weise es dann weitergeht, muss man sehen. Die Gefahr kommt also über die Unterschiedlichkeiten und die Individualität. Insofern ist Beziehung heute besonders intensiv, aber auch besonders verletzlich

Wann ist eine Trennung sinnvoll?

Wenn keine Bereitschaft mehr besteht, miteinander weiterzumachen, muss man weg. Trennung ist allerdings keine einfache Sache – genauso wenig wie das Zusammenkommen. Es ist aber auch nicht zu verteufeln. Die Huldigung der Dauer ist ein Relikt, das heute nicht mehr passt. Heute wird mehr nach Qualität als nach Dauer gesucht. 

Letzte Frage: Was ist Liebe für Sie?

Ich sehe darin zweierlei. Einmal ein Gefühl, das ich für jemanden habe - der Verbundenheit. Und natürlich eine bestimmte Art der Kommunikation. Meinem Liebespartner teile ich Dinge mit, die ich niemandem anderen mitteile. Heißt, es ist beides: Es ist Gefühl und Kommunikation. DIE Liebe gibt es für mich nicht. Liebe ist immer in Veränderung, abhängig von den gesellschaftlichen Umständen werden sich Liebesvorstellungen verändern. 

Buch von Michael Mary: Paarliebe

Erschienen im Nordholt-Verlag, € 18,50

©Nordholt-Verlag
Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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