Eine Liebesbrief-Schreiberin über Aristoteles, die Bibel und den Kapitalismus
Wie Aristoteles, die Bibel und der Kapitalismus unsere Sicht auf die Liebe beeinflussen – und über die vergessene Kunst des Liebesbrief-Schreibens.
Es geht um die ganz tiefen Gefühle. Um das erste Kennenlernen. Die Schmetterlinge im Bauch. Aber auch um Höhepunkte und Krisen, die man gemeinsam bewältigt hat. Und dennoch gibt es Menschen, die nach fünf Sätzen nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Denn wenn es um die Liebe geht, wird es oft kompliziert.
Als vor vier Jahren im ersten Lockdown alle mit ihren Handys zu Hause gesessen sind, wollte Veronika Fischer ein analoges Zeichen setzen. Denn bis heute verzichtet die Schriftstellerin auf ein Smartphone, also richtete sie einen Liebesbriefservice ein.
Die Liebesgrüße der professionellen Liebesbrief-Schreiberin gelten keinesfalls nur Paaren: "Es kann ein Brief von Eltern an ihre Kinder sein, wenn diese ausziehen, von Enkelkindern an ihre Großeltern oder wenn Menschen vor einer Operation nicht wissen, ob sie diese überleben werden. Die Anfragen sind bunt und vielfältig: Zum Beispiel wollte eine Frau für ihre 150 Freundinnen einen Liebesbrief – eine Hommage an die langjährigen Freundschaften."
Die Tätigkeit erinnert an jene von Therapeuten, wobei sie sich diesen Vergleich nicht anmaßen möchte. "Die Menschen berichten aber tatsächlich, dass der Prozess des Erzählens und des Zuhörens viel in ihnen auslöst. Der Liebesbrief ist keine Einbahnstraße, sondern macht mit Sender und Empfänger was."
Selbstliebe: Was Aristoteles und Miley Cyrus eint
Generell glaubt Fischer, dass es mehr Achtsamkeit braucht, wann und wie man den Begriff "Liebe" einsetzt. Ein "Update" sei notwendig, damit die Gesellschaft den Begriff nicht nur in einem romantischen Kontext betrachtet: "Hollywood zeigt eine bunte und aufregende Liebe – super Stoff für das Kino. Aber die Geschichten hören meistens auf, wenn das Paar sich findet und heiratet. Was wir gesehen haben, ist aber nur die Phase der Verliebtheit, die Liebe würde erst jetzt beginnen, aber von Liebe in einer Langzeitbeziehung bekommen wir weniger zu sehen."
Schon Philosophen wie Platon und Aristoteles verwendeten den Begriff, verstanden aber nicht das Gleiche darunter. Übrigens sind beide brandaktuell, wie vor wenigen Tagen die Grammy-Awards in den USA zeigten: "So singt Miley Cyrus in ihrem Lied ‚Flowers‘ über Selbstliebe, dass sie sich selber Blumen kaufen kann, alleine tanzen gehen kann – dass sie für diese Dinge keinen Mann braucht. Diese Selbstliebe hat schon Aristoteles beschrieben: Erst wenn man sich selbst liebt, ist man überhaupt in der Lage, mit anderen in einen guten Kontakt zu treten."
Im Altgriechischen gibt es mit „eros“ für Liebe und Lust, „philia“ für Freundschaft und „agape“ für Nächstenliebe drei Verwendungsweisen: "Das war für mich aber nicht ausreichend, um das Phänomen Liebe zu definieren."
Aus diesem Grund veröffentlichte die studierte Philosophin einen Essay über die Liebe (Verlag Kremayr & Scheria) mit sechs verschiedenen Verwendungsweisen für die Herzensangelegenheit. "Lange Zeit gab es in der Philosophie und Literatur einen rein männlichen Blick auf die Liebe: Ich wollte das aufbrechen und den Begriff moderner gestalten – in meinem Buch zeigen auch viele Frauen, Feministinnen und queere Menschen ihren vielseitigen Blick auf die Liebe."
Wie Tag und Nacht
Die Anfänge für den Begriff Liebe beginnen in jeder Kultur mit dem Schöpfungsmythos, so die Autorin. "Mit einer Verschmelzung des Männlichen und Weiblichen, mit Tag und Nacht, Himmel und Erde. Auch die Bibel beginnt mit dem Ursprung des Menschen."
Nicht nur Religion und popkulturelle Einflüsse haben Auswirkungen darauf, was wir unter Liebe verstehen – auch das kapitalistische Denken ist mit dem Liebesbegriff heutzutage eng verwoben. Das zeigt sich in Formulierungen wie "Ich bin wieder auf dem Markt", "Mein Marktwert sinkt" oder "Wir investieren in unsere Beziehungen".
Und wen liebt Fischer? Ihren Mann, ihre Kinder, die Haustiere – und ihren Beruf.
Buch-Tipp: Veronika Fischer: Liebe, Kremayr & Scheriau. 128 Seiten. 20 Euro
Kommentare