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Recht kompliziert

Enterben – geht das?

Zwei Anwälte, zwei Ansichten, eine Rechtslage: Das Wiener Duo erzählt Geschichten aus seiner Ehe, beantwortet Fragen, die uns im Alltag beschäftigen, erklärt, was vor Gericht zählt – und wie er oder sie die Causa sehen.

Der Fall: Laurenz ist außer Kontrolle geraten. Die Schule hat er bereits vor Jahren geschmissen, mit seinen Freunden hängt er den ganzen Tag im Park herum, konsumiert Drogen. Zukunftspläne hat er nicht. Eine Ausbildung auch nicht. Er hat eine Tochter, aus einer flüchtigen Begegnung, um die er sich aber nicht kümmert. Das Verhältnis zwischen Laurenz und seinen Eltern ist schwierig. Sie waren selten da, haben immer gearbeitet und empfinden Gefühle eher als hinderlich. Darüber gesprochen wurde in seiner Kindheit nie, ebenso wenig wurde Zuneigung gezeigt oder Lob ausgesprochen. Aber ihr Sohn ist ihnen wichtig, genauso wie ihre Enkeltochter. Sie haben aber Angst, dass Laurenz ihr Lebenswerk und ihr Vermögen, das sie sich hart erarbeitet haben, zerstört und überlegen, das Vermögen zu spenden oder ihrem Enkelkind zu vermachen. Aber kann man sein eigenes Kind enterben?

Mag. Carmen Thornton: 

Unterschiedliche Ansichten und Familienstreitigkeiten gehören zum Leben. Familie sucht man sich – abgesehen vom Ehepartner – nicht aus. Manche Familienmitglieder versteht man besser, andere weniger. Grundsätzlich kann man frei entscheiden, wen man finanziell unterstützt und wen man lieber übergeht, wenn Lebensauffassungen und Wertesysteme auseinandergehen. Das gilt nicht nur zu Lebzeiten, die Testierfreiheit ermöglicht es, auch nach dem Tod bestimmte Personen zu bedenken und andere nicht. Zwei Ausnahmen gibt es: Den Ehepartner und die Nachkommen, also Kinder, Enkelkinder und – wenn man Glück hat – Urenkel. Sie sind im Erbfall davor geschützt, grundlos übergangen zu werden: Nachkommen und Ehepartner sind Pflichterben und haben daher Anspruch auf einen Teil des Vermögens. Das folgt aus der Fürsorge- und Unterhaltspflicht, die man auch zu Lebzeiten gegenüber seinen Kindern und dem Ehepartner hat. Eine vollständige Enterbung ist nur in Ausnahmefällen möglich – und das ist gut so.

In Laurenz“ Familie bedeutet das konkret: Stirbt ein Elternteil ohne letztwillige Verfügung, erhält der Ehepartner ein Drittel, die Kinder den Rest – Laurenz als einziges Kind also zwei Drittel. Wer damit nicht einverstanden ist, kann den Anteil im Testament auf die Hälfte reduzieren. Die Eltern könnten Laurenz also ohne Angabe von Gründen auf den Pflichtteil setzen; er bekommt dann nur ein Drittel des Vermögens. So wahrt das Gesetz die Balance zwischen Verantwortung und Freiheit.

Nur in Ausnahmefällen möglich

Manchmal geraten Kinder völlig aus der Bahn, so wie Laurenz: Schule abgebrochen, Drogen, keine Ausbildung, kaum Zukunftspläne und eine Tochter, um die er sich nicht kümmert. Dieser Lebensentwurf gefällt wohl keinem Elternteil, mag man noch so tolerant sein. Für solche Fälle gibt es die Möglichkeit der Enterbung aus guter Absicht: Wenn Laurenz’ verschwenderischer Lebensstil die Sorge nährt, dass sein Pflichtteil das Enkelkind, also Laurenz Tochter nicht erreicht, können die Eltern den Anteil direkt zugunsten der Enkelin einsetzen. Man kann damit also eine Generation überspringen, wenn das Vertrauen in die Enkelkinder größer ist und das eigene Kind das Geld nur beim Fenster rauswerfen würde.

Gänzlich enterben kann man einen Pflichtteilsberechtigten nur, wenn ein Enterbungsgrund vorliegt: vorsätzliche Straftaten gegen den Verstorbenen oder Angehörige, absichtliche Vereitelung des letzten Willens (etwa die Fälschung eines Testaments), schwere seelische Verletzungen oder grobe Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten. Der Grund muss nicht im Testament stehen, sinnvoll ist es aber, da die Beweislast beim Erben liegt.

46-215498249

Carmen Thornton ist Rechtsanwältin in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

Das Gesetz bietet Lösungen

Man kann dem eigenen Kind aber auch anders Grenzen setzen, indem man ihm mit einer letztwilligen Verfügung Auflagen erteilt: Wer das Vermögen bekommen möchte, muss bestimmte Bedingungen erfüllen – etwa das Studium eines Dritten finanzieren, die Grabstätte oder Haustiere pflegen oder ein Veräußerungsverbot akzeptieren, damit die Liegenschaft nicht verspielt wird. Wer die Auflage missachtet, verliert die Zuwendung.

So erlaubt das Erbrecht, Kinder zu fördern, zu schützen und Grenzen zu setzen, ohne die fundamentale familiäre Verbindung zu zerstören. Und falls das Kind später seinen Lebensstil drastisch ändert und einsichtig wird, kann eine Enterbung durch Widerruf und Verzeihung rückgängig gemacht werden.

Mag. Johannes Kautz:

Dass jemand gegen den Willen des Verstorbenen einen Teil der Verlassenschaft bekommt, ist nicht selbstverständlich und geht weit über den Versorgungszweck hinaus. Denn Unterhaltspflichten gehen ohnehin auf die Erben über und meistens profitieren die Angehörigen schon zu Lebzeiten vom Wohlstand. In Wahrheit beruht das Pflichtteilsrecht auf einer Erbherrenmentalität und der Vorstellung, dass das Familienvermögen von Generation zu Generation in der Stammesfamilie weitergegeben werden soll.

Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, den engsten Angehörigen sein Vermögen zu hinterlassen. Im Gegenteil: Die meisten werden das freiwillig tun und wenn man den Nachkommen oder dem Ehepartner nicht einmal den Pflichtteil gönnt, muss in der Beziehung einiges schiefgelaufen sein. Trotzdem kann es nachvollziehbare Motive dafür geben, eine Person nicht zu bedenken, selbst wenn kein gesetzlicher Enterbungsgrund vorliegt. Der Staat sollte sich nicht anmaßen, darüber zu entscheiden, wem man sein Vermögen zu hinterlassen hat.

Vorsicht bei belasteten Liegenschaften

Selbst bei Verfügungen zu Lebzeiten greift das Gesetz im Erbfall noch korrigierend ein. Denn es steht zwar jedem frei, vor dem Tod alles zu verprassen oder zu verschenken. Bei der Vermögensverschleuderung können die Erben nur zusehen, wie sich die erhoffte Erbschaft dahinschmilzt. Schenkungen sind hingegen bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Pflichtteilsberechtigte müssen sich Schenkungen unbefristet anrechnen lassen, bei allen anderen Personen werden nur Schenkungen in den letzten zwei Jahren vor dem Tod berücksichtigt. Auch wenn am Ende kein Vermögen mehr vorhanden ist, können also Pflichtteilsansprüche bestehen. Reicht die Verlassenschaft nicht aus, werden die Beschenkten zur Kasse gebeten.

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Johannes Kautz ist Rechtsanwalt in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

Wer eine Immobilie bekommt, die mit einem Wohnrecht oder Fruchtgenussrecht des wohlmeinenden Spenders belastet ist, sollte bedenken, dass bei der Schenkungsanrechnung der Wert der unbelasteten Liegenschaft auf den Todeszeitpunkt aufgewertet wird, obwohl man bis dahin nichts von der großzügigen Zuwendung hatte. Im Erbfall ist ein Geschenk also nicht immer ein Gewinn.

Wie man den Pflichtteil umgeht

Auch wenn das Pflichtteilsrecht manchmal als Einschränkung empfunden wird, gibt es durchaus Möglichkeiten, unerwünschten Folgen der staatlich angeordneten Verwandtschaftstreue etwas abzumildern. Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken, aus Gründen des Anstands oder aus sittlicher Pflicht werden nicht berücksichtigt. Und auch das, was vom laufenden Einkommen übrig bleibt, kann man verschenken, ohne dass es zu einer Anrechnung kommt. Durch regelmäßige Zuwendungen kann also ein Teil des Vermögens weitergegeben werden, ohne dass die Pflichtteilsberechtigten davon partizipieren. Außerdem besteht die Möglichkeit, den Pflichtteil zu stunden, in Ausnahmefällen sogar für bis zu 10 Jahre.

So kann verhindert werden, dass die Erben das Haus oder ein Unternehmen verkaufen müssen, um die Pflichtteile auszuzahlen. Wer sicherstellen möchte, dass auch die zukünftigen Generationen vom erarbeiteten Vermögen profitieren, sollte eine Nacherbschaft anordnen. Bei alledem ist aber zu bedenken, dass selbst gut gemeinte Verfügungen oft zu Streitigkeiten unter den Erben führen. Und schon so manches Verlassenschaftsverfahren hat damit geendet, dass nach jahrelangen Gerichtsverfahren letztlich alle Erben weniger bekommen haben als den Pflichtteil. Davor schützt das Gesetz nämlich nicht.

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