Stundenlange Ekstase: Wie es zum „Ganzkörperorgasmus“ kommt

Statt wenigen Sekunden des Höhepunkts über eine lange Zeit hinweg Wellen sexuellen Glücks spüren: Herrlich! Aber wie geht das?

Zwischen 10 und 51 Sekunden: So lange dauert der durchschnittliche Orgasmus, auch „Gipfelorgasmus“ genannt. Das ist nicht viel, und trotzdem sehnt sich jeder nach diesen Momenten einer Mini-Ekstase. Dabei ginge es noch viel besser – Ekstase ohne Ende, quasi. Der mythenumrankte „Ganzkörperorgasmus“, wie er im Tantra beschrieben wird. Wie das geht, deutet Diana Richardson in ihrem bekannten Buch „Zeit für Liebe“ an: „Wir können unsere sexuelle Energie in der herkömmlichen Weise in Richtung Orgasmus steuern oder wir können sie zurückführen, damit sie uns mehr Energie und mehr Liebe schenken kann.“ Das klingt auf den ersten Blick nicht nur kompliziert, sondern erfordert auch jede Menge Geduld, Bewusstsein, Praxis. Weil wir gewohnt sind, rasch ans Ziel zu kommen, Spannung zu entladen, den Orgasmus als ultimatives Gipfelerlebnis anzupeilen. Der Körper ist an kurze genitale Orgasmen gewöhnt und braucht Übung, damit er kapiert: Das geht auch anders!

Entspannung ist alles

Ganzkörperliches Fühlen und eine Ekstase, die viel länger anhält als der punktuelle Höhepunkt, kann sich einstellen, wenn wir aufhören zu „tun“ und zu „denken“, um stattdessen einfach zu sein und zu fühlen. Dieser sogenannte „Talorgasmus“ entsteht nicht aus der Anspannung, sondern aus der Entspannung heraus. Sodass man sich irgendwann beinahe körperlos fühlt. Das Geheimnis lautet also tatsächlich Entspannung. Die meisten Menschen aber sind viel zu fixiert und damit angespannt, weil sie die sexuelle Energie in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Kann sich diese Energie jedoch frei und eigenständig bewegen, wird Sex zu einer Mischung aus Leidenschaft und Stille. Für einen „Orgasmus“, der nicht nur in den Genitalien spürbar und erlebbar wird, braucht es Zeit, so Richardson: „Sexuelle Energie braucht Stunden, um zu entspannen, anzuwachsen, aufzublühen und das tiefe Glück eines erfüllenden Liebesakts zu schenken.“ Dabei wird Sexualenergie nach innen und oben umgelenkt, das funktioniert nur, wenn sich der Körper und die Genitalien entspannen und nicht mehr aufs Kommen konditioniert sind. „Dann kann sich diese Energie ausbreiten und wohlig über den Körper ausdehnen“, so Richardson.

Eine große Rolle dabei spielt der gemeinsame rhythmische Atem, möglichst im Gleichklang, damit bleibt die sexuelle Energie im Körper. Man atmet tief und langsam, nach unten durch das Zwerchfell hin zu den Genitalien. Zugleich ist es wichtig, sich von der Vorstellung zu lösen, dass es ein „Ergebnis“ geben muss. Der Orgasmus ist nicht mehr das wichtigste Ziel, hingegen schaut man nach innen, um den Körper von innen zu fühlen. Es gibt nichts zu tun, der Augenblick zählt. Dafür braucht es ein tiefes Vertrauen in den eigenen Körper und dass das, was geschieht, richtig ist. Man lässt vielmehr geschehen. Richardson: „Stell dir vor, was passieren könnte, wenn du dich, statt auf den Höhepunkt zuzustreben, ins Tal hineinentspannen und zu einer Welle im Ozean werden würdest. Wenn du deinem Körper erlaubst, sich zu entspannen, gehst du zur Quelle deiner Sexenergie.“ Dann wird der Höhepunkt zu einem Zustand, zeitlos schön, verzückt, ekstatisch. Ein bisschen wie Meditation.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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