Wandel einer Institution: Vom Heurigen zum „Neurigen“

Auf einen Mix aus Nostalgie und Innovation setzen bereits viele Heurige - demnächst auch die Heurigenstraße in Stammersdorf.

Von Agnes Preusser und Stefanie Rachbauer 

„Aus Alt mach Neu“ ist die Devise in der Stammersdorfer Kellergasse: Der Bezirk will die Heurigenstraße – wienweit bekannt für die Veranstaltungen „Mailüfterl“ und „Stürmische Tage“ – weiterentwickeln.

Geht es nach den Anrainern, soll aber dennoch das Traditionelle im Vordergrund stehen und eine Modernisierung nur in Maßen stattfinden.

Eine erste Befragung hat ergeben, dass weniger Autoverkehr, mehr konsumfreie Zonen, aber auch größere Bereiche für Ab-Hof-Verkauf geschaffen werden sollen.

Bezirksvorsteher Georg Papai (SPÖ) hat gemeinsam mit der Gebietsbetreuung für Floridsdorf und die Donaustadt nun einen Beteiligungsprozess gestartet. Eine erste sogenannte Planungswerkstatt findet im Frühjahr statt, die Umsetzung soll 2023 starten.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Heurigen und Buschenschanken neu erfinden – aber gleichzeitig bei den traditionellen Werten bleiben. Von neuen Geschäftskonzepten über neue Produkte: Der KURIER hat den Überblick.

Speisen und Getränke

Beim Heurigen rümpft man die Nase, wenn ein Bier bestellt wird? Nicht bei den Maurer Heurigenwirten Viktoria und Michael Edlmoser (23., Maurer Lange Gasse 123).

Als „Braufreunde Laessiger“ interpretieren sie bekannte Bierstile neu. Das Erstlingswerk, das sogenannte Citra-Pils, wurde 2019 aus der Taufe gehoben.

In Liesing hat man neben Wein auch eigenes Bier im Angebot.

©Laessiger Braufreunde

An ein anderes kulinarisches Wagnis traute sich der Heurigen Weingut Feuerwehr Wagner (19., Grinzinger Str. 53) bereits vor zehn Jahren heran.

Hier werden – inspiriert durch ein veganes Familienmitglied – neben Klassikern wie Surschnitzerl oder Backhendlsalat auch vegane Speisen angeboten, etwa Tofu im Blätterteig oder Spinattascherl.

Lokal-Konzepte

In Meidling befinden sich gleich zwei Heurige, die ihr Geschäftsmodell erweitert haben. Das Heu und Gabel (12., Meidlinger Markt) ist Stadtheuriger und Feinkostladen zugleich.

Neben klassischer Brettljause gibt es etwa auch Mangalitza-Salami oder marokkanische Merguez-Würste. Das 5er-Pflug (12., Khleslsplatz 5) hat 2016 den Heurigen kurzerhand um einen Eissalon erweitert, um noch mehr Gäste anzulocken.

Beim Heurigen Heu und Gabel gibt es mitten in Meidling Brettljause. 

©Heu und Gabel

Öffnungszeiten

Seit mittlerweile zwei Jahren haben die Winzer theoretisch die ganze Woche und bis Ende Dezember aus’gsteckt. Die Pandemie brachte nämlich eine Liberalisierung der Öffnungszeiten.

Traditionell dürfen Buschenschanken nur am Wochenende und lediglich von April bis Oktober Gäste bewirten. Um die Lockdowns abzufedern, hat der Landtag aber eine Ausnahmeregelung beschlossen.

Geschichte

Weinausrufer 
Bevor die Bezeichnung „Heuriger“ aufkam, gab es den „Leutgeb“. Das waren Weinhauer, die selbst produzierten Wein ausschenken durften. Ein Weinausrufer mit einem Tannenreisig in der Hand benachrichtigte die Bevölkerung, wo das Leutgeben stattfand

Henkelgläser
Am 17. August 1784 schaffte Kaiser Joseph II. die rechtliche Grundlage für den Heurigen. Früher wurde fast alles mit den Fingern gegessen. Darum gibt es noch heute Gläser mit Henkel, da man darauf die fettigen Abdrücke nicht so sieht


 

Laut dem Büro des zuständigen Stadtrats Jürgen Czernohorszky (SPÖ) hat die Hälfte der rund 90 Wiener Winzer davon Gebrauch gemacht – wobei es abhängig vom Wetter Schwankungen gab. Ob es die Sonderregelung auch heuer geben wird, werde demnächst entschieden.

Anbauweise

Mit dem Zeitgeist geht man beim Weingut Cobenzl (19., Am Cobenzl 96), dem Weingut der Stadt Wien. Im Jahr 2020 wurde alles auf rein biologisch-organische Bewirtschaftung umgestellt. Gedüngt wird zum Beispiel mit Bio-Kompost, statt mit Insektiziden werden Schädlinge mit „Duftwolken“ verwirrt.

Dank dieser Pheromonfallen kommt es zu keiner Fortpflanzung der Schädlinge. Den ersten Bio-Jahrgang kann man nächstes Jahr verkosten. Der Bio-Anteil an der bewirtschafteten Rebfläche in Wien beträgt übrigens 30 Prozent, das entspricht etwa 197 Hektar – wobei manche Flächen davon aktuell noch umgestellt werden.

Erweiterung nach draußen

Ohne die Wein- und Heurigenkultur kommen die Wiener schlecht aus. Das zeigt sich besonders dann, wenn die Lokale pandemiebedingt geschlossen sind.

In diesen Zeiten trifft man sich kurzerhand im Weingarten auf ein Achterl aus dem Plastikbecher. Auf die negativen Begleiterscheinungen dieser alternativen Nutzung, etwa zurückgelassenen Müll, reagieren die Winzer mit Aufpassern: In Neustift am Walde etwa gibt es einen Weingarten-Hüter.

Er achtet darauf, dass Besucher die Weingärten sauber hinterlassen. Interesse an derartigen Hütern gibt es in Grinzing und Sievering.

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