Marktgeschichten: Paradeisisch
Die Marktstände biegen sich im goldenen September unter der Pracht der reifen, bunten Früchte.
Spätsommerheiterkeit liegt in der Luft, als ich an diesem Samstagvormittag über den neu eröffneten, blitzeblanken Bauernmarkt spaziere. Wie im Schlaraffenland präsentieren sich die Standln, nie ist die Fülle an Farben und Formen größer als zur Erntezeit im September. Mein Blick schweift über die bunten Bauerngartenblumen wie Astern, Dahlien und Goldruten zu den alten Paradeisersorten. Ich staune wie jedes Jahr über nie gekannte Sorten – grün-gestreift, pflaumenblau, sonnengelb, klein, groß, dick und dünn, so lässt sich der Herbstanfang feiern. Wie schön, dass so viele Menschen wieder in die Stadt zurückgekehrt sind, wie immer, Ende August kommt mit dem Schulbeginn emsiger Trubel auch in unser Café.
Beim wohlverdienten Frühstück bespreche ich mit dem Liebsten meine Paradeiserprojekte. Das heutige Abendessen wird einfach, den herrlich milden Ziegenfrischkäse vom Markt werde ich mit frischen Kräutern vermischen und zu den bunten Paradeisern servieren, ein wenig extra gutes Olivenöl darüber, ein Hauch bestes Salz – mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.
Morgen gibt es dann eine Paradeiserquiche, am Montag eine frische Suppe und aus den weichen Exemplaren koche ich unsere berühmte Paradeisermarmelade ein. Sie gehört zum Himmelblau wie der Zwetschkenfleck zum September, und alles zusammen macht mein Leben seit vielen Jahren reicher.
Wie schön es ist, neue Besucherinnen daran zu erkennen, dass sie sich die pikante Marmelade aufs Frühstückssemmerl schmieren wollen, Kenner wissen, dass mit ihr fast alles, aber vor allem Eierspeisen, noch besser schmecken. Christina, unsere junge Köchin, schmunzelt: "Ja, die Paradeisermarmelade ist richtig gut – süß, säuerlich und ein wenig scharf – so muss sie sein!" Während der Liebste genüsslich seine Ham and Eggs mit der Marmelade verputzt, sprudelt aus mir allerlei Wissenswertes über die Nachtschattenpflanze heraus.
"Hast du gewusst, dass der Name 'Tomate' von den Azteken kommt?", frage ich ihn. "Nur bei uns heißt sie 'Paradeiser', wahrscheinlich von dem Ausdruck 'Paradiesapfel'". Anfang des 16. Jahrhunderts ist sie nach Europa gekommen und wurde erst als Zierpflanze angebaut. Um 1900 gab es die ersten Tomaten auf den Wiener Märkten. Wir haben vielleicht ein Glück, dass wir heute so viele verschiedene Sorten bekommen!“
Ich schaue auf den frisch gebackenen Opa, der sich das neueste Foto von unserem Pipsi, der Enkeltochter, anschaut. Wie ist es möglich, ein Menschlein so liebzuhaben, nur weil es auf der Welt ist und süß dreinschaut? "Vielleicht sind wir zwei am Anfang des Septembers unseres Lebens", lasse ich die weise Frau raushängen. "Der Schock, dass es herbstelt, ist mit dem Mittfünfziger überwunden, ab jetzt heißt es, die goldenen Zeiten zu genießen. Und die Früchte, in diesem Fall die Paradeiser, einzukochen, solange sie reif sind!"
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